An Tagen, die voller (Er)Schrecken erinnern an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Sowjetarmee (27. Januar), die anlässlich dieses Tages des Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart gedenken, da belästigen uns ganz aktuell Meldungen, die durch die Nachrichten-Netzwerke geistern über altneue Deutungen der Weltgeschichte. Dergestalt nämlich, dass die Bundesrepublik Deutschland die Deutsche Demokratische Republik besetzt, annektiert habe, damals, als die Mauer fiel. Solches dringt von Ost nach West, aus dem Machtzentrum Russlands an unsere ungläubigen Ohren.
Zeitnah an so einem Tag offeriert die experimentell angelegte Bühne schwere reiter inmitten der aerea on deconstruction an der Dachauer Straße zu München land - eine annäherung. Da, wo nach dem Ende der Dekonstruktion die Konstruktion und Realisierung des heiß ersehnten Kreativitätsquartiers wahr werden soll, mit Ateliers und Bühnen und erprobungstechnisch geeigneten Räumlichkeiten für Hochschulzukunft, für Tanz, Theater, Literatur, Performance, für all die Innovationen, die heute noch keiner zu denken vermag. In direkter Nachbarschaft zur (gegenwärtig als faszinierendes Modell existenten) zentralen großen Moschee inmitten dezentraler Parkanlagen voller Migranten-Lebendigkeit. Da keimt Hoffnung, städtebauliche, künstlerische, denkerische.
Inmitten dieser Gemengelage präsentiert ein Kollektiv um Cornelie Müller und Robert Spitz punktgenau land – eine annäherung. Da geht es aber gar nicht um die Landnahme der BRD zu Lasten der DDR. Da spielt sich alles ab als Annäherung zwischen Israel und Bayern. Aus dem Bewusstsein heraus, dass doch alles immer wieder irgendwie miteinander zusammenhängt. Dramaturgisch grundiert ist der Abend als lange Reise über verschlungene Pfade, Umwege und Sackgassen von Bayern nach Israel und zurück zu verstehen. Recherchetechnisch dokumentierte Interviews, Begegnungen, Videos, Fotos, Erinnerungen, Verzweiflungen, Wahnsinnsanfälle zwischen Migration und Remigration.
Die archaisch-werkhallenmäßig anmutende Spielstätte ist strukturiert durch eine Konstruktion aus silbrigen, überdimensionalen, matt schimmernden Metallplatten, die eine Art Labyrinth markieren, mit Aus-und Einblicken vermittels ebenfalls matt schimmernden Maschendrahtzauns. Musikalische Collage-Elemente kommen von der Gitarre, virtuell aus dem Transistorradio, aus dem digitalen Speicher. Das sind O-Töne, Klänge von den Stimmbändern der agierenden Protagonisten, singend, sprechend, rezitierend. Die erzeugen ihrerseits ureigenste Klangwelten mit Steine-auf-Metall-werfender Attitüde, mit Schaben, Kratzen, mit rieselndem Sand, alles in stimmungsmäßig sich verändernder Lichtatmosphäre. Das Publikum wandelt labyrinthisch, in Sackgassen umkehrend, in der Spielfläche und auf einer Plattform oberhalb derselben. In ständiger Reibung, in nahezu hautnahem Kontakt mit den Protagonisten (herausragend Sarah Camp, Robert Spitz, Sophie Wendt in ihrer unverrückbar präzisen Präsenz). Ein breites rotes Band, von der Rolle heruntergespult, markiert echt Blut im Sand. Die Wortanteile sind dank der Präzision aller Darsteller bestens verstehbar.
Intuitiv wahrnehmbare Situation inszenieren
Was von den Inhalten nicht gleichermaßen gelten kann. Die müssten nachgelesen werden, um die situative, assoziative Logik jeweils begreifen zu können. Darum geht es aber der kreativen Riesengruppe um Cornelie Müller und Robert Spitz nicht. Die versuchen, eine intuitiv wahrnehmbare Situation zu inszenieren, die vom Alltäglichen weg ins übergeordnete Große und Ganze der Menschheitstragödien verweist, politisch, religiös, wirtschaftstechnisch. Das gelingt – wie so oft in diesen Zeiten – optisch, visuell höchst vorzüglich übers Auge. Das wirklich Kathartische des antiken Theaters, das sich in dieser Szenerie durchaus imaginieren möchte, bleibt etwas vage, fern.
Doch wenn kurz vor Schuss im sich verdunkelnden Raum jener harte Satz fällt, der Vorrat an Urvertrauen ist aufgebraucht, dann steht dem intuitiven wie dem intellektuellen Verstehen alles offen, Auschwitz hin, Gaza-Streifen her. Wir sind wieder gepackt vom alltäglichen islamischen Staat, von der Ostukraine, von allem, wie es immer war. Lernt in diesem Jahrtausend noch irgendjemand etwas aus der Kunst? Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt...
- weitere vorstellungen bis 07. februar täglich 20.30 Uhr
- die spielstätte kann täglich ab 13.00 uhr als ausstellung wahrgenommen werden
- schwere reiter musik, dachauerstraße 114, münchen