Darmstadt ist nicht Hamburg. Oder Berlin. Und die Centralstation hat wirklich so gar nichts vom Ratinger Hof in Düsseldorf anno 1980. Das war der Ort, wo die Fehlfarben sich die Hörner abstießen an den Bierflaschen, die ihnen während des ein oder anderen Konzertes an die Köpfe flogen.
Hier in der modernen Mehrzweckkulturhalle ist es voll, aber ohne Punkgehabe. Hier ist es so voll, dass Sänger Peter Hein nach eigenen Worten geradezu unwohl wird, wenn er bis in den hintersten Winkel Zuschauer stehen sieht („Wir sind doch nicht die Toten Hosen“). Dabei fliegt hier nicht einmal ein Alete-Fläschchen auf die Bühne. Braucht doch auch kein Mensch. Brauchen die Fehlfarben schon gar nicht. Die haben ihre Ironie und insofern keine Probleme mit den Hits von früher: „Oldies but Goldies“, grinst Thomas Schwebel ins Mikro – kurz bevor es alle anderen denken. Die Häuser wollten sie nochmal rocken, hatten die sechs Forty-Somethings kundgetan, als sie sich zur Tour aufmachten. Und dass Schwebel, Jahnke (beide Gitarre), Kemner (Bass), von Klitzing (Drums) und Hein rocken, ist sowieso klar. Aber auch die beiden Computerfachleute der Band, Fenstermacher und Dahlke (zwei Drittel von Der Plan), haben einen Heidenspaß an diesem Wall-Of-Sound für Fortgeschrittene. Vor allem der schlacksige Frank Fenstermacher hängt sich gern per Standtrommel und Tambourin beseelt in die satten Rhythmen. Ein entzückender Blickfang, da hinten rechts in der Ecke.
Der offensichtlichere Blickfang ist selbstverständlich Peter Hein. Auch der lässt sich mit Vergnügen in die rockmusikalische Midlifecrisis fallen und übertreibt es etwas mit der Selbstironie. Er hat ebenfalls keine Probleme mit seinen Gassenhauern für Indie-Hörer: Einmal „Grauschleier über der Stadt“ bitte und dann sein Kommentar: „Die Butterfahrt ist eröffnet, Heizdecken gibt es hinten am Verkaufs-Stand.“ Dazu wird eine geloopte Diaserie projiziert, die Fehlfarbens Deutschland zeigt: Einkaufswägen, Bild-Zeitung, Plattenbauten, Persil. Und das TV-Sendeschluss-Testbild, das heute niemand mehr kennt.
Aber dazu hört man eben auch Textfetzen aus der Zeit des Testbildes: „Was ich haben will, das krieg ich nicht. Was ich kriegen kann, gefällt mir nicht“, keift Hein in der sehr gelungenen neuen Liveversion von „Paul ist tot“. Und da ist sie dann wieder, diese ewig gültige, popkulturelle Verbalisierung der Unzufriedenheit. Dieses treffsichere Genöhle, das die Verweigerungsstrategien der Fehlfarben dem eindimensionalen Denken gegenüber so eingängig formulierte (und das sie immer auch auf Seiten ihrer Fans bemängelten). Mag ihre Reunion-Platte mit dem großartigen Titel „Knietief im Dispo“ aus dem vergangenen Jahr hier und da ein wenig altrockig klingen, so finden sich die Reflektionen über die Dinge, die nicht so einfach sind, wie sie scheinen, auch in neuen Liedern wie „Die Internationale“, „Sieh nie nach vorn“ oder „Schnöselmaschine“, das live faszinierend kompakt erklingt.
Einen Moment. Sagten wir eben „ewig gültige, popkulturelle Verballisierung der Unzufriedenheit“? Kann sein, dass auch die, wie das Testbild, heute niemand mehr kennt. Es heißt, mehr als die Hälfte der Erstwähler habe Anfang Februar 2003 in Hessen die bestehende Landesregierung bestätigt. Und das stellt man dann doch angesichts der Fehlfarben-Evergreens ganz unironisch fest.