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Isabel Mundry bei einer Probe. Fotos: Charlotte Oswald
Isabel Mundry bei einer Probe. Fotos: Charlotte Oswald
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Isabel Mundrys Musiktheater „Ein Atemzug – Die Odyssee“ an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt

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Die Komponistin Isabel Mundry avanciert mit schöner Stetigkeit zu einer der prägendsten Figuren der gegenwärtigen Neue-Musik-Szene. Sie wurde 1963 im hessischen Schlüchtern geboren, wuchs in Berlin auf, studierte unter anderem bei Hans Zender und ist seit 1996 selbst Professorin für Komposition und Tonsatz, erst in Frankfurt am Main, jetzt in Zürich. Als Udo Zimmermann Intendant der Deutschen Oper Berlin wurde, gab er Isabel Mundry den Auftrag für ein Musiktheaterstück. So entstand „Ein Atemzug - Die Odyssee“. Es wurde jetzt an der Deutschen Oper mit enormem Erfolg uraufgeführt.

Zur Aufführung erschien ein Programmbuch, in dem die Komponistin, die Regisseurin und Choreographin der Uraufführung, Reinhild Hoffmann, der Dirigent Peter Rundel und die Dramaturgin Theresia Birkenhauer über den Entstehungsprozess, die musiktheatralische Konzeption und den intellektuellen Ansatz für die Auseinandersetzung mit Homers Epos ausführlich berichten – der informative Band demonstriert schon allein und für sich den Bewusstseinsstand, mit dem heute ein aktuelles, ästhetisch relevantes Musiktheater hergestellt werden muss, damit es Verbindlichkeit und Perspektiven nach vorn gewinnt.

Eine Literaturoper, ein musikalisiertes Abenteuerstück ist dabei selbstverständlich nicht entstanden. Isabel Mundrys Aneignung des Stoffes beschreibt sie so: „Die ,Odyssee‘ lese ich als eine vielschichtig angelegte Erzählung von der Suche nach dem, was Heimat sein könnte: Sprachraum, Resonanzraum, Ort der Erinnerung, des Vergessens. Die Suche spiegelt sich in verschiedenen Figuren – Odysseus, Telemachos, Penelope – und sie ist immer wieder davon gezeichnet, im handelnden Verstehen fremder Strukturen eigene Formen der Orientierung zu entwickeln. Die Gegenpole dieser Suche artikulieren sich in den Personen Odysseus/Penelope, bezogen auf die Parameter Raum und Zeit. Odysseus sucht seine Heimat räumlich... je weiter er sich räumlich und zeitlich von der Heimat entfernt, desto mehr wird die Idee der Rückkehr präzisiert. Schließlich erreicht Odysseus die „Heimat“ im Schlaf und erkennt sie nicht mehr. Erinnertes Bild und Gegenwart sind auseinander gefallen. Penelope hingegen entschwindet die Heimat gerade dort, wo sie räumlich immer gewesen ist. Ihr Hof wird von den Freiern bevölkert (unser Bild auf Seite 1), es wird von ihr gefordert, ihnen Haus und sich selbst zu überlassen. Penelopes listenreiches Verhalten konzentriert sich auf den Umgang mit der Zeit. Durch das nächtliche Auflösen des tags zuvor gewebten Teppichs schickt sie die Zeit in eine Schleife und relativiert somit das Tempo ihres Schicksals angesichts der Erinnerungen. So stellt sie dem allgemeinen Verlauf der Zeit ihr eigenes Maß entgegen – ihre ,Heimat‘ ist die Artikulation einer eigenen Zeit, geformt aus Erinnern und Vergessen“.

Was sich kompliziert anhört, findet sich bereits im Original Homers. Theresia Birkenhauer beschreibt eindringlich die wechselnden Perspektiven und parallelen Montagen von Ort und Zeit am Beginn des Epos. Isabel Mundry interessierten also nicht kontinuierliche narrative Elemente oder „psychologische Empfindungen“, sondern ausschließlich „Wahrnehmungsaspekte“.

Das betrifft ein höchst gegenwärtiges Phänomen: Je mehr der moderne Mensch die Welt durch Forschung und Wissen zu enträtseln versteht, desto mehr entzieht sich das „eigene Sein“ der Aufklärung: Es ist einer ständig wachsenden Entfremdung unterworfen: das Schicksal des Odysseus. Isabel Mundry sieht aus der Vielfalt der Möglichkeiten die einfachsten Fragen gleichsam unbeantwortet: „Was ist ein Ton, was sein Umfeld, was hält die Dinge zusammen, lässt sie auseinanderfallen, was ist Ferne, Nähe und so weiter? Indem ich komponierend die ,Odyssee‘ lese, lese ich auch mit der ,Odysse‘ das Komponieren“. Die unauflösbare Wechselbeziehung zwischen Textvorlage und Musik bestimmt die Struktur des ganzen Werkes. Die „räumliche Wahrnehmung“ in der „Odyssee“ korrespondiert mit der Räumlichkeit der Klänge. Das Orchester (der Deutschen Oper) befindet sich in einer kleineren Formation im traditionellen Orchestergraben, die anderen Musiker sind im Zuschauerraum platziert, im zweiten Rang in den hervorspringenden Seitenlogen und im Rang: die Lösung „nach oben“ ergibt einen für einen Theaterraum dieser alten Art unerwartet perfekten Raumklang, in dem „szenisches Denken“ (Mundry) und die Organisation des Raumklangs im Sinne einer „Klangrede“ ideal verschmelzen.

Was an Isabel Mundrys „Odyssee“ fasziniert, ist eben diese Beredtheit des Klanges, des Klingenden. Die Geschichte des Odysseus und der Penelope wird von der Musik, vom und im Klang erzählt. Die komponierten Zeichen und Gesten „erzählen“ alles, und auch die verarbeiteten Textelemente (von Unica Zürn, Carolin Emcke und Giovanni Pascoli) sind vornehmlich ein Element des Klanges, des Wortklanges. Mundry gibt dabei den Protagonisten eine, wie sie es bezeichnet, „instrumentale Spur“. Odysseus singt/spricht erst, als er in der „Heimat“ angekommen ist, zuvor übernimmt eine Trompete (großartig Markus Blaauw auf seinem Doppeltrichter-Instrument) für den „Helden“ die Klang-Sprache. Penelope wiederum erhält durch ein Akkordeon (brillant Teodor Anzellotti) ihre Klang-Sprache. Penelope hat sich in ihre eigene Webarbeit eingesponnen, hat sich gleichsam einkokoniert. Salome Kammer, mit einem die Individualität auslöschenden Seidenstrumpf über dem Gesicht, stößt einige langgehaltene, herrliche Klagelaute aus: Musik als Erstarrung, Klänge nur mehr Erinnerung.

Isabel Mundrys Musik ist in ihrem Erfindungsreichtum, ihrer dramaturgischen Überlegtheit, auch in der charaktervollen klangsprachlichen Eigenständigkeit so autonom, dass jeder Inszenator vor dem Problem steht: Was kann ich in diesem klangredegewaltigen Raum eigentlich noch inszenieren, für Bilder erfinden, die ebenso autonom funktionieren und nicht einfach nur Vorgänge und Zustände illustrieren. Aus der engen Zusammenarbeit mit der Regisseurin und Choreographin Reinhild Hoffmann schon beim Entstehen des Werkes entstand eine Aufführung, die nur selten illustrativ wirkte, vielmehr in den Bildimaginationen, zu denen auch die Ideen des Ausstatter-Kollektivs Bild Brigade beitrugen, starke optische Kontrapunktierungen und Intensivierungen erbrachte.

Die starke Wirkung, die das Werk ausübte,war auch dem intensiven Einsatz aller Beteiligten zu danken. Salome Kammer wurde schon erwähnt, Thomas Laske besaß als Odysseus eine bannende physische Präsenz. Der Countertenor Kai Wessel schlüpfte virtuos mit hohen „Klang“-Tönen in verschiedene Figuren: Athene, Hermes, Kirke, Teiresias. Dass Peter Rundel für fordernde Aufgaben wie diese der richtige Dirigent ist, weiß man. Wie er den großen Apparat zusammenhielt und die notwendigen Akzente setzte, verdient uneingeschränkte Bewunderung. Weniger erfreulich war es, dass die Produktion in Berlin nur fünfmal en suite gezeigt wurde und dann, wie man hört, niemals wieder. Da hat die Deutsche Oper endlich eine aufregende, zukunftsweisende Tat vollbracht, und dann versinkt alles wieder in Kleinmut und Erbsenzählerei. Es bleibt zu hoffen, dass bald eine andere Musikbühne sich an Isabel Mundrys „Odyssee“ wagt.

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