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Simulierte Kommandozentrale des Cyberwar. Das Nadar Ensemble performt „Generation Kill“ von Stefan Prins. Foto: Thomas Kujawinski
Simulierte Kommandozentrale des Cyberwar. Das Nadar Ensemble performt „Generation Kill“ von Stefan Prins. Foto: Thomas Kujawinski
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Ist doch toll, wenn aus wilden Jungen junge Wilde werden

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Das Kölner Forum neuer Musik sondiert das Terrain zwischen Krieg und Kunst
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Ein Bild des kollektiven Gedächtnisses. Gezogene Hüte, gereckte Arme, strahlende Gesichter. Kriegsfreiwillige ziehen im August 1914 durch Berlin. Teens noch, gerade Twens. Ausnehmend gut gekleidet. Anzug, Weste, Krawatte. Das verhasste Gewand der Zivilisation. Bald wird man es tauschen mit Feldgrau. Was die Jubler verbindet, ist ihre Jugend. Und die Bereitschaft, sie mit Hurra! auf den Lippen wegzuschmeißen. Die Schlachtbank dazu wird ja gerade installiert.

Das Foto ziert das Programmheft des Forum neuer Musik, das als „Internationales Werkstattfestival“ des Kölner Deutschlandfunk Anfang April seine fünfzehnte Ausgabe erlebte. Ein Festival, gut vernetzt im Kulturleben der Domstadt, versehen mit dem Ehrgeiz zu Eigenproduktionen und dem Willen, das weite Feld einer zeitge­nössischen Kunstmusik unter ein Thema (nicht nur unter ein Motto) zu stellen. Was im Jubiläumsjahr des Grande Guerre natürlich gesetzt war. Grund genug für eine Hauptabteilung Politik im Deutsch­land­funk, sich erst­mals mit einem die europäische Kriegs-Erinnerungskultur verhan­deln­den Sympo­sium ins Forum-Geschehen einzubringen und – viel beachtetes Novum – mit einer Hauptabteilung Kultur desselben Senders zu kooperieren.

Zugleich war man darauf bedacht, die griffigen Formeln der Zeithistoriker nicht einfach abzuschreiben, gehörte es doch schon in der Vergangenheit zur gepflegten Handschrift des vom Neue Musik-Redakteur Frank Kämpfer konzipierten Festi­vals, diesem stets eine eigene respektive eigenwillige Perspektive abzugewinnen. So auch in der aktuellen Ausgabe, wenn das Weltkriegs-Thema da auf einmal wie durch die Brille Sigmund Freuds gelesen schien, aufgefasst und aufgezäunt von seiner Triebdynamik her: Die wilden Jungen. 1914–2014.

Tiefenbohrung

Erkennbar eine schillernde, sich nach vielen Seiten öffnende Thematik. Im Subtext war damit ein roter Faden gespannt, an dem sich auch scheinbar Disparates noch aufeinander beziehen ließ – mit Anspruch auf Verbind­lichkeit, auf mehr jedenfalls als nur auf Entertain­ment. So gehörte es zum großen Spagat dieses Forum neuer Musik, sich mit einer in Lectures und Roundtables artikulierenden Gender- und „Männlich­keits-Forschung“, die wilden Jungen von 1914 vom Leib zu halten, um sie als junge Wilde im Programm eines Künstler-Festivals 2014 will­kommen zu heißen. Das Ziel anspruchsvoll: Wo politisches, historisches Befragen naturgemäß an Grenzen stößt, als originäres Kunst-Festival einen Schritt weiter­gehen, „Zusammenhänge von Gesellschaft, Fortschritt und Kunst – damals und jetzt“ kenntlich machen. Für Kurator Frank Kämpfer gilt er nach wie vor, der alte Anspruch von Kunst. Dass sie auf Erkenntnis geht, auf Einsicht in die Verwerfungen der Wirklichkeit, die heute als hyperthrophe Medienwirklichkeit der fünften Dimension längst das vermeintlich harmlose computer game in den Dienst des Cyberwar gestellt hat. Am Joystick die Drohne steuern, über Tod und Leben entscheiden und – sich für nichts rechtfertigen müssen. Es ist dieser Horizont, der in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, sich neben den klassischen auch medialisierten Konzertformaten zu öffnen. „Das Forum unternimmt Tiefenbohrungen künstleri­scher Art und versammelt dazu Musik, Film, Tanz, Bildende Kunst und Multimediales.“ Einen Dialog der Künste, den das Festival auch deshalb so weit fassen konnte, weil mit der Permutation der wilden Jungen zu jungen Wilden eine Programmatik etabliert war, die an jedem Knotenpunkt die Gretchenfrage ermöglichte, inwieweit eine medialisierte Kunst sich gegen die totale Medialisierbarkeit auch im Medium des ästhetischen Scheins zu behaupten vermag. Das Schibboleth dieser Konzertformate.

Head Bang

Deutschlandfunk, Kammermusiksaal. Vier Musiker in klassischer Streichquartett-Position. Vier Musiker, die dennoch alles andere tun als das schöne Wort von der (angeblichen) Unterhaltung von vier (angeblich) vernünftigen Leuten nachzustellen. Im Gegenteil. Im Forum-Eröffnungs­konzert war diese Konvention verlassen. Nicht nur, dass man sich nicht ausreden ließ, sich gegenseitig ins Wort fiel (eingeführt allerdings schon von Haydn in seinen frühen Quartetten) – jetzt konnte auch von so etwas wie ganzen Sätzen, geschweige denn von irgendeiner gearteten „Konver­sation“ nicht mehr die Rede sein, schienen die vier Asasellos doch von einem ganzen Schwarm von Furien verfolgt. In „Raga phi“ des japanischen Komponisten Hikari Kiyama, flogen tatsächlich die Fetzen. Asasello kombinierte eine wilde Augen- und Ohrenmusik krass und gut mit einem Klassiker der Moderne, einem beseelt, wenn­gleich auch hier mit extrem kantigem Asasello-Ton ausgeführtem 3. Streichquartett von Arnold Schön­berg. Und was „Raga phi“ anging, das 2009 bei der Mönchenglad­bacher Ensemblia uraufgeführte Stück, so war ihm die Lagerungszeit ausgesprochen gut bekommen. Eine sendeeigene Klangregie hielt Kiyamas lautsprecher­verstärkte noise-music bei aller Überlautstärke transparent, kammer­musikalisch durchhörbar. Und bei allen wilden Sprüngen auf dem Griffbrett, bei aller „Extreme Feroce“, „extremen Ungestümtheit“, die der Komponist verordnet hatte – die Bereit­schaft eines jungen, erst 2000 gegründeten Streichquar­tetts, diesen Tanz auf dem Vulkanrand mitzu­machen, verwandelte alles Anarchische schlussendlich in Ausdruck. Ein Gewinn. Dabei hatte Asasello wenige Wochen zuvor noch den Ausstieg ihres Cellisten verkraften müssen, stand zum Zeitpunkt des Konzerts noch immer „unter Schock“. Man hat es nicht gespürt. Eigentlich war auch gar keine Zeit dazu. Sämtliche Energie war hier ja sowieso absorbiert von der Exekution einer am Discolärm Maß nehmen­den Musik, in die sich die Asasellos wie die Derwische hineinstürzten, ihre Instru­mente schrubbten, bis sich die Bespannung in diesem Ausnahmezustand von „Death Metal Rock with Head Bang“ aufzulösen begann. Da war er dann auf einmal hörbar, der Bindestrich aus 1914–2014. Die wilden Jungen. Next Generation.

Potenzial

Neben dem Streichquartett, so glänzend mit Asasello besetzt, behaupteten sich in der aktuellen Forum-Ausgabe indes auch zwei weitere klassische Formate. Zunächst die solistischen Auftritte von Dominik Susteck und Thomas Günther. Ersterer mit den wilden, das Instrument transzendierenden Orgel-Kompositionen Mauricio Kagels; letzterer mit einem Solo-Klavierabend zu den russischen Futuristen, die unserem Bewusstsein so gut wie entschwun­den sind und die der Essener Pianist mit seiner Pianistik, seiner Anschlags­kultur wieder lebendig werden ließ: die mystische Dodekaphonie des Nikolai Obuchow, von der bis heute keine einzige Note in den Druck gegangen ist; die schwebende Harmonik des Arthur Lourié, Nikolai Roslawez und die der späten 5 Preludes Alexander Skrjabins.

Ein Abend, der demonstrierte, dass die Zukunft des klassischen Konzertformats seinerseits an der Kunst hängt, die Kunst der Interpretation, in diesem Fall ein kultiviertes Klavierspiel in den Dienst eines vergessenen künstlerischen Aufbruchs zu stellen. Was auch David Smeyers von der Kölner Musikhochschule, in der aktuellen Forum-Ausgabe zum fünften Mal dabei, wieder gelang. Hier: ein Studentensemble auf den Punkt motivieren, nachdem es ein Semester lang Musik des Krisenjahres „1914“ gesammelt und, wo nötig, arrangiert, „koloriert“ hatte – in Parallele zum Farbigmachen von Schwarz-Weiß-Filmen. Musik, gesetzt für die schwarzen und weißen Tasten des Klaviers, erhielt so Farbe und behielt seine Stimmung.

Hinter den symbolistischen Klängen von Lili Boulanger und Cécile Chaminade schimmerte Ravel und Debussy. Frappierend auch das geheimnis­volle Leuchten bei Ethel Smyth, deren e-Moll Streichquartett ins Gewand eines Studenten-Saxophonquartetts geschlüpft war. Ethel Smith? Noch so einer dieser vergessenen Namen an der Wiege zur Moderne.

Den von Ensemble 20/21 kannte man ja schon. Überraschend aber war dann doch die Leichtigkeit und der Charme, wie die Studenten mit dieser Fürsprache dem Forum einen glücklichen Festivalstart bescherten. Erstmals übrigens in Kooperation mit dem Kölner Museum Ludwig, das seinen Kinosaal aufgeschlossen hatte und den Forum-Statistikern prompt Anlass gab, Publikumsrekord zu vermelden. Ganz klar: Hier schlummert Potenzial.

Passé

Wobei seinerseits das Forum-Potenzial 2014 damit noch durchaus nicht erschöpft war. Über die klassischen Formate hinaus, so exquisit und entschieden sie auch immer ausgeleuchtet sind, gehört es zu Stil und Handschrift des von Frank Kämpfer konturierten Werkstattfestivals, ins aktualisiert Multimediale auszugreifen, was in dieser Ausgabe zu teils überraschenden, teils frappierenden, teils schockierenden Resultaten führte. Zu solchen auch, die sprachlos machten. Etwa wenn Niklas Seidl und Paul Hübner (Komponisten-Jahrgänge 1983, 1985), grob behauenes YouTube-Material zum Oberthema „Tanz“ als Endlosschleife ablaufen ließen, um dazu komponierte Musik einerseits, szenische Aktion andererseits einzustreuen. Die Hoffnung der in Trainingsanzügen auftretenden, sich bewusst linkisch benehmenden Truppe muss wohl als intendierte Publikums-Belustigung gedeutet werden. Allein, ihr „Clotilde Entertainment“ (nach Ausdruckstänzerin Clotilde von Derp) war von der zähfließenden Natur. Zuviel Schielen auf Comedy und Klamauk. Komik indes gab’s nur als Häppchen, wenn etwa für Sekunden Charles Chaplin in der Bilderflut auftauchte und einen Fingertanz vorführte. Da mussten wir lachen.

Dass das spezifische Gewicht dokumentarischen Materials heute gemeinhin unterschätzt wird, zeigte sich auch im Forum-Finale, in dem der Wiener Medienkünstler Marko Ciciliani, unterstützt von Perkussionist Jonathan Shapiro und Geigerin und Stimm-Performerin Barbara Lüneburg, eine Art Suite vortrugen. Eine lose Stücke-Folge
von zwar auskomponierten, aber mit Live-Elektronik, Licht und Laser versetztem Videozuspiel. Das konnte anrührend beginnen, wenn Ciciliani den Beatles-Klassiker „Yesterday“ mit brüchiger Stimme auf der Gitarre vortrug, um dann doch in einem Lautsprecherorkan zu enden. Immer wieder zog das Trio den Kürzeren, wenn es zugespielte Commercials, Werbe- und Schlagerstar­-Clips zu „verfremden“ suchte. Eine Lektion, die die Kulturindustrie mittlerweile gelernt hat. Passé, worauf Walter Benjamin noch hoffen durfte, als er die manipulierte Wirklichkeit mittels politisierter Kunst zu dekuvrieren trachtete. „Verfremden“ als Werkzeug von Analyse, von Distanzierung, hat wohl ausgedient, so jedenfalls der Eindruck.

Fadenkreuz

Kunst gegen eine manipulative Wirklichkeit und Medienwelt: Im Auftritt des belgischen Nadar Ensembles gewann dieses Projekt eine sehr spezifische Radikalität. In „Break Remove Demolish“ des jungen Berliner Komponisten Maximilian Marcoll (Jahrgang 1981) mischten sich vorproduzierte Sounds (Geräusche von Kreissägen, die Bäume vor Marcolls Wohnung fällen, wie der Programm-Packungsbeilage zu entnehmen war) mit Glissandoexzessen des Cellos. Dazu: Bassklarinette und Bohrmaschine, Klavier und Autobremse, Perkussion und Hammerschlag. Nur, dass das Maschinelle für Marcoll gerade nicht mit solch gemeinem Zuspiel zusammenfällt – jetzt sind es die Musiker selber, die mit dem Maschinensound mithalten müssen. Ähnlich im Fall „Point Ones“ von Alexander Schubert. Den vor seinem Ensemble stehenden Dirigenten hatte der Komponist mit Bewegungssensoren derart „erweitert“, dass dieser zuckte und ruckte wie ein Roboter. Stefan Prins schließlich (wie Schubert Jahrgang 1979) erfand für diese verzweifelt anmutende Suche nach dem Widerstands­­potential einer neuen erweiterten Kunstmusik das finale Stichwort „Generation Kill“. Schier atemstockend, wenn seine Simulation von Totalüber­wachung, gesteuert von vier PlayStation-Spielkonsolen in eine Generalpause mündet und das tonlose Video eines Drohnenangriffs über die Leinwand flackert. Bewegte Objekte im Fadenkreuz. Darauf läuft alles zu.

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