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JESUS CHRIST SUPERSTAR. Frank Berg (Priester), Juan Carlos Falcón (Annas), Levente Páll (Kaiphas), Holger Ohlmann (Priester), Dirk Lüdemann (Priester). Foto: © Christian POGO Zach
JESUS CHRIST SUPERSTAR. Frank Berg (Priester), Juan Carlos Falcón (Annas), Levente Páll (Kaiphas), Holger Ohlmann (Priester), Dirk Lüdemann (Priester). Foto: © Christian POGO Zach
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Jesus, der Andere – „Jesus Christ Superstar“ als human-politische Klage am Münchner Gärtnerplatztheater

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Gesellschaftspolitisch ist es eine lange Diskussion wert: Was wäre, wenn er jetzt wiederkäme? Dieser Mann Jesus mit seinen human, politisch und moralisch zu dieser unserer Welt quer stehenden Ideen. Nach mehrfacher Beschäftigung mit dem Rock-Musical von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice betont Gärtnerplatz-Intendant und Regisseur Joseph E. Köpplinger die Züge einer tragischen Rock-Oper – mit umjubeltem Erfolg.

Leider verdient der von Szenenbeifall mehrfach unterbrochene und am Ende mit stehenden Ovationen gefeierte Abend auch eine Essiggurke: für die Tonabteilung, die sie sich mit den doch eigentlich Probe-hörenden musikalischen Assistenten und letztlich auch Dirigent Jeff Frohner teilen kann – alle schon hörgeschädigt aus ihrer Kopfhörer-Jugend? Dass „forte“ musikdramatisch „stark“ und nicht „laut“ bedeutet, ging in dröhnendem Rock-Konzert-Sound unter, der bis auf wenige Soli zuviel „zu-wummerte“ – die hörenswerten Texte der Diskussionen zwischen Jesus und Judas, selbst die großen Ausbrüche der Solisten, die trotz Mikroport zugedeckt wurden, sogar Ensembleszenen mit großen Chor.

Dabei wäre viel differenziert hörenswert gewesen, denn Frohner leitete vom Keyboard aus die Fassung für klassisches Orchester und Rock-Band. Webber hat da über den Hit Magdalenas „I don’t know, how to love him“ hinaus kontrastreich spannende Musik komponiert. Da gibt es coole Riffs und gespenstische Scratch-Sounds, da steht der ekstatischen „Hosanna“-Begeisterung wie dem „Crucify!“-Gegeifer ein quälerisch eindringlicher Gethsemane-Monolog gegenüber. Wie in Bann schlagend „leise“ sein kann, bewies Frohner dann zumindest im „Playout“ des bitteren Endes.

Regisseur Köpplinger ließ auf Rainer Sinells offener Spielfläche, hinter der das Orchester saß, die bislang dominierenden „biblischen“ Zutaten weg: kein Wallehaar, keine weißen Tunikas, keine römischen Soldaten etc. Im halbdunklen Raum der Reithalle steht vielfach projiziert „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wonach suchen wir?“ und auf der Fläche stehen sich zwei junge Männer gegenüber. Im Licht werden sie dann als Judas und Jesus erkennbar, inmitten einer turbulent durcheinander eilenden Menschenmenge von Heute, wie an jedem Arbeitstag in einer unserer Großstädte.

Diese als sinnentleert vorgeführte Massenhektik, die dann von der Musik „getaktet“ wird, will Jesus als „der Andere“ verändern. Er findet eine toughe, aber typen-differenzierte Gang in Jeans, Shirts, Turnschuhen und Stiefeln. Mit Girls gehen diese von ihrem neuen Anführer begeisterten Kerle durchaus machohaft um, auch mit Maria Magdalena, die im Buch, das Jesus hochhält, liest. In handwerklich bestechender Gruppen-, Chor- und Ensemble-Regie führt Köpplinger den Begeisterungssturm einer „En Marche“-Bewegung vor. Herabfallende Stoffbahnen mit Geldemblemen für die Finanz-Tempel von Heute, schniek-schmierige Kredithändler, gierige Konsumenten mit vollen Einkaufswagen werden in einer wilden Szene von Jesus „davongejagt“.

Dem stehen die schwarz gekleidete, kalt agierende Machtelite um Kaiphas (Levente Páll mit buchstäblich schwarzen Basstönen) und ein neurotisch an Alpträumen leidender, halb-ohnmächtiger Pontius Pilatus (eine glänzende Fall-Studie von Erwin Windegger) mitsamt Bodyguards im SEK-Look gegenüber – gipfelnd in der pailletten-glitzernden Bussi-Bussi-Schickeria um Herodes. Der kleine, wuselig agile Previn Moore macht aus seiner Begegnung mit Jesus einen be-swingt-charleston-haften Showauftritt, der so selbstentlarvend grell grotesk und gespenstisch gelingt, dass das Publikum erst runterschlucken muss, ehe der Beifall losbricht (auch für Ricarda R. Ludigkeits vielfältige, temporeiche Choreographie).

Dazu kontrastiert das stille „Letzte Abendmahl“-Bild. Bettina Mönch singt eine enthusiastische Maria Magdalena und spielt die unerfüllbar Liebende überzeugend. Armin Kahl ist figürlich und in der uneitlen Zurückhaltung ein kraftvoller Jesus, dessen entschlossen für seine alternative Lebensform einstehender Blick Pontius Pilatus einfach zu Boden schleudert. Vokal übertroffen wird er von dem Kapuzenmacho Judas von David Jacobs, dem man die Power des anfänglichen „Right Hand Man“ ebenso abnimmt, wie die Verbitterung, den selbstzerstörerischen Verrat und das Ende in rot leuchtenden Stricken.

Diese durchweg überzeugende aktualisierende Neudeutung, dieses Scheitern einer hoffnungsvoll beginnenden Alternative „nicht von dieser Welt“ gelingt Regisseur Köpplinger eindringlich und bedenkenswert. Er beendet sie mit einem bewegenden Zusatz: alles parabelhafte Spiel ist zu Ende; Jesus bekommt von Magdalena den schwarzen Allerweltsmantel des Beginns angezogen und steht zunächst allein da; im zunehmenden Dunkel kommt Judas gegangen, an ihm vorbei, dann halten beide inne – und geben sich die Hand: ja, jeder Aufbruch, jede Bewegung braucht auch die kritische Begleitung, wenn er nicht so enden soll wie dieser Mann Jesus… oder wie Gandhi.. oder Martin Luther King… oder wie im kalten Schneegeriesel diese, unsere Welt auf der Bühne. Was für ein aufwühlender Abend im Gewand eines vermeintlichen Musicals!

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