Das Publikum darf zu Klängen der Sonata sopra „Sancta Maria ora pro nobis“ aus der Marienvesper von Claudio Monteverdi seine Plätze einnehmen. Ausnehmend schön klingt die historisch informiert aufgeführte Musik aus den Lautsprechern des OPUS, der Werkstattbühne im Theater Hagen, die Platz für neue und experimentelle Formate gibt. Die Bitte um marianischen Beistand erscheint nicht deplatziert, wenn man bedenkt, was in den nächsten gut eindreiviertel Stunden ansteht: ein Musiktheaterexperiment in Sachen Kafka. Angesichts der irren, im Wortsinn geradezu phantastischen Wendungen, die Kafkas Geschichten nehmen, ist vielleicht nichts nötiger als göttlicher Beistand.
Kafkaeske Kafka-Collage – Ein Musiktheaterexperiment in Hagen
Die Spielfläche ist mittig zwischen zwei Zuschauertribünen platziert. In der Mitte ist ein Stahlgerüst aufgebaut, in dessen Innerem ein Großteil der Handlung spielt – wenn die Schauspieler nicht gerade auf, an und in besagtem Gerüst herumkraxeln. Alle weiteren Gegenstände von einem Tisch über eine Pritsche bis hin zu einer Hinrichtungsmaschine werden durch bewegliche Würfel aus den gleichen Stahlprofilen symbolisiert. Da ist dann die Imaginationskraft der Zuschauer gefragt, doch die – dafür sorgen schon Kafkas die Szenerie penibel beschreibende Texte und die exzellenten Schauspieler – wird ohnehin genügend angeregt an diesem Abend.
Francis Hüsers, Intendant des Theaters Hagen, hat aus Texten von Kafka einen Musiktheaterabend gebastelt, der mit Musik aus der Zeit Kafkas, aber auch zeitgenössischer Musik eine eindrückliche Collage aus Text und Musik bildet. Ineinander greifen beide Künste dabei nur selten, da während der musikalischen Beiträge so gut wie nichts weiter passiert. Ausnahmen gibt es nur wenige, etwa wenn Elizabeth Pilon, die mit Frl. Bürstner und Leni auch zwei Frauen aus den Werken Kafkas verkörpert, Lieder der britischen Komponistin Charlotte Bray singt. Stimmlich bleibt der Eindruck eher durchwachsen, thematisch passt das allerdings durchaus.
Musik und Text wechseln sich an diesem Abend ab, bieten Zeit zur Reflexion. Die ausgezeichneten Musiker spielen Musik von Arnold Schönberg und Anton Webern, die die stilistische Bandbreite von der Spätromantik bis zur Zwölftontechnik umfasst. Außerdem gibt es mit Karlheinz Stockhausens „Zyklus“ für einen Schlagzeuger, dem mehrsätzigen Zyklus „Voyage“ für Saxophonquartett von Charlotte Bray und „Olé“ von John Coltrane Modernes bis Jazziges. Musiktheater kann man das Gesamtkunstwerk nur bedingt nennen, es ist eher Musik mit Theater. Aber auch das hat seinen Reiz, was nicht nur an den vorzüglichen Musikern liegt.
Die Schauspieler dieser Inszenierung – Pascal Merighi, Urban Luig und als Kafka Simon Jonathan Gierlich – geben den zuweilen geradezu beklemmenden bis absurden Worten Kafkas präzise Raum, allen voran Urban Luig, der die Hinrichtungsmaschinerie mit erschütternder Rührungslosigkeit schildert und Simon Jonathan Gierlich, der seinen Kafka mit geradezu kafkaesker Intensität gestaltet. So bleibt am Ende ein zum Nachdenken anregender Abend, bei dem Musik und Text zwar nebeneinander stehen bleiben, sich aber dennoch gegenseitig befruchten.
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