Es war im Jahr 1973, als etwas Seltsames in Ulrichsberg passierte, im schön-schrulligen Marktflecken im Dreiländereck von Niederbayern, Oberösterreich und Südböhmen, im Mühlviertel: Fünf Bluesgangster und Rock‘n‘-Roll-Freaks hatten, nach Jazzworkshops im nahen Burghausen, bei Professor Joe Viera (4 A) die verheißungsvolle Band „Trostlos“ gegründet, die sich später „Ohara Trost Band“ nannte. Uli Winter, Cellist, gehörte zum Kreis der „Trostlosen“.
Es war im Jahr 1973, als etwas Seltsames in Ulrichsberg passierte, im schön-schrulligen Marktflecken im Dreiländereck von Niederbayern, Oberösterreich und Südböhmen, im Mühlviertel: Fünf Bluesgangster und Rock‘n‘-Roll-Freaks hatten, nach Jazzworkshops im nahen Burghausen, bei Professor Joe Viera (4 A) die verheißungsvolle Band „Trostlos“ gegründet, die sich später „Ohara Trost Band“ nannte. Uli Winter, Cellist, gehörte zum Kreis der „Trostlosen“.Zum zweiten Mal machte er im Rahmen des „Kaleidophons“ (das zum 16. Mal abgehalten wurde) mit gewagt freigelassener Musik auf sich aufmerksam. Vor zwei Jahren mit „Wuf“, heuer mit „Lull“. Die Pointen, die bei diesen Bandnamen mitschwingen, sind durchaus beabsichtigt, denn sowohl „Wuf“ als auch „Lull“ spielen eine Musik, die an Intensität und Dichte durchaus mit vergleichbaren Musiken eines Ken Vandermark oder eines Mark Whitecage mithalten können: „Free Jazz“, die Losung des Ornette Coleman Doppelquartetts (Atlantic, 1960), ist sowohl Imperativ als auch Gattungsname, noch immer ergreifend aktuell, weswegen jedes Jahr vor Walpurgis ein buntes Jazzfanvolk ins Mühlviertel pilgert.Alois Fischer war zwölf, als es losging mit „Trostlos“, doch auch sein Herz schlägt im nervösen Puls der befreiten Jatztrommler. Deswegen lädt er auch immer wieder den Radikalanarchisten Han Bennink zum Schlussgong: Letztes Jahr jagte er mit dem Instant Composers Pool des Misha Mengelberg Ellington-Reminiszenzen durch den Stadel in der Badergasse, dieses Jahr schwang er mit dem Tenoristen Tobias Delius förmlich durch die Ritzen im Bretterverschlag. Das macht Spaß und deutlich, dass Free Jazz eben nicht verbiestert und knöchern zu sein braucht, eben nicht anachronistisch, und verstaubt schon gar nicht. Dafür sorgt schon allein das Aaly Trio aus Schweden: Mats Gustafson bläst Kinder-, Schlaf- und Wiegenlieder mit skandinavisch-schwermütig-fröhlicher Textur und dekonstruiert diese mit dem hymnischen Gestus eines Albert Ayler: Das ist, man muss das englisch aussprechen: re-search, ein ständig in Bewegung befindliches Suchen nach Tiefe, augenfällig am Fuße des Böhmerwaldes, wo Höhe ganz nah ist.
Gustafson lebt seit einigen Jahren in Chicago, wo er in Ken Vandermark einen musikalischen Zwillingsbruder getroffen hat. Beide spielen gemeinsam etwa im Peter Brötzmann Tentett und eben, wie beim 16. Kaleidophon, im Aaly Trio: Da ist wunderbar stimmige, weil so organisch nachvollziehbare Ergänzung, obschon da zwei befreite Tenoristen zugange sind. Doch Vandermark agiert amerikanischer, songhafter; Gustafson, der das ganze Volksliedarchiv im Tornister hat, dagegen dekonstruktivistischer, schroffer; Vandermark moderiert, präsentiert, Gustafson macht Er-leben plas-tisch, indem er mit dem Instrument ringt, um gar in es hinein und durch es hindurch zu brüllen, ganz im Geiste Tristan Tzsaras.
Ganz anders dagegen die Anwälte eines häufig buddhistisch-motivierten Reduktionismus, Soundadvokaten, Geräuscholympioniken. „Rotophormen“ nennen sich Annette Krebs, Gitarre, und Andrea Neumann, Innenklavier: Sie spielen weniger eine, als viel mehr mit einer Musik, die nicht mehr ist oder aber: noch nicht ist: Programmatisch kommen Rotorgeräusche, generiert von Taschenventilatoren, wie sie William Kotzwinkle in seinem Freakroman „Fan man“ besser nicht hätte beschreiben können.
Von dieser Sorte Musik war dieses Jahr recht wenig zu vernehmen, geht es dem Veranstalter Fischer, seiner aktuellen Jungvaterschaft wegen, schließlich um die ständige Neubesinnung auf den immer wieder aufs Neue errungenen Anfang, und der liegt, nach Fischers Ansicht, im Moment der Befreiung, nicht der Kasteiung.
Befreiung kann jedoch gewiss auch statthaben durch Konzentration auf einen Ton, vorgeführt etwa von Michel Doneda am Sopransaxophon, oder durch das Pastiche liedhafter Melodiekürzel, vorgestellt vom Gitarristen Martin Siewert, oder aber, extrem und radikal, als „wall of sound“, als Reminiszenz an die 70er-Jahre, an Emerson, Lake & Palmer oder The Nice, endlich weitergetrieben und sinnlich zu Ende gespielt vom „Steamboat Switzerland“.
Das Kaleidophon macht auf diese Weise jedes Jahr aufs Neue die Folie transparent, auf der improvisierte, komponierte, neue, – Alte Musik mit dem Signet „Jazz“ gegenständlich wird. Aus diesem Grund ist das Ulrichsberger Kaleidophon ein Seismograf des Heutigen und gehört zu den wichtigen Aktualitätsbörsen in Sachen avancierter Musik.