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Matija Meić (Sir William Cecil), Nadja Stefanoff (Elisabetta), Christoph Seidl (Georg Talbot), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Christian POGO Zach
Matija Meić (Sir William Cecil), Nadja Stefanoff (Elisabetta), Christoph Seidl (Georg Talbot), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: © Christian POGO Zach
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Kalte, hitzige und blutige Frauenmacht – Szenische Erstaufführung von Donizettis „Maria Stuarda“ im Münchner Gärtnerplatztheater

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„Power tends to corrupt“ hat der englische Diplomat Lord Acton einzigartig prägnant formuliert. Nahezu alle Spielarten dieser bis heute realen Entsetzlichkeit wurden am Fall des Machtkampfes zwischen Maria Stuart und Elisabeth Tudor, zwischen Katholizismus und Anglikanismus, zwischen Schottland und England schon auskomponiert: über 50 Vertonungen lassen sich finden. Die berühmteste, die von Gaetano Donizetti gab es bislang in der Opernstadt München nur einmal konzertant. Doch das Staatstheater am Gärtnerplatz hat da eine herausragende Sängerin, die wohl nur im Ensemble zu halten ist, wenn sie pro Spielzeit einmal als Belcanto-Spezialistin brillieren darf: Szene frei für „Maria Stuarda“.

„Vergebens das Streben der Macht / durch Trophäen und tote Pracht / Unsterblichkeit zu erlangen / es sind doch nur Netze, den Wind einzufangen“ hat John Webster, ein Bühnenkonkurrent Shakespeares, zu Lebzeiten von Maria und Elisabeth I. gedichtet. Dass Münchens szenische Aufführung eventuell auch nur ein ‚Netz für Wind‘ werden könnte, war zu befürchten: zwei Tage nach Regisseur Michael Sturmingers Gärtnerplatz-Premiere geht bei den Salzburger Osterfestspielen seine „Tosca“-Inszenierung über die Bühne – also abzulehnendes Hin- und Hergeprobe, da jedoch in Salzburg die übliche „Harteros-ca mit wenigen Stellproben“ zu erwarten ist, konnte München vielleicht…

Nicht „konnte“: es wurde eine sinnfällige, musiktheatralisch packende Aufführung. Das ist wahrscheinlich auch der eminent bühnenerfahrenen Choreografin Ricarda Regina Ludigkeit als „Co-Regisseurin“ und Regieassistent Sebastian Kießer zu danken. Sie beide und Sturminger haben sich gegen eine vordergründige Aktualisierung – etwa Trump-Lady 1 gegen Trump-Lady 2 – entschieden. Auf der dunklen Bühne kreist ein halb durchsichtiger Glaspalast: gegliederte, im Licht glitzernde Flächen, kalt wie ein Edelstein. Er öffnet sich mehrfach und gibt verschiedene gegliederte Treppenpodeste frei: Thronsaal, Kabinett, Parkweite; zur großen Beichte Marias fährt ein Kerkerkäfig hoch und versinkt wieder, dann steigt sie die Stufen zum Schafott empor.

Glücksfall an Besetzung

Alle treten in diesen eher zeitlos abstrakten Räumen Andreas Donhausers und Renate Martins dann in deren stilistisch perfekten Renaissance-Kostümen auf. Das ergibt Wirkungen, wie wenn historische Bilder in einem modernen Museum präsentiert würden. Außerdem charakterisieren die fünf verschiedenen Königinnen-Kostüme die beiden Frauen stupend – was auch ein Glücksfall an Besetzung ist: in Sopranistin Nadja Stefanoff steht eine gertenschlanke, in Edelstein-Perlen-besetzten Gold-, Grün- und Grau-Roben straff und staatstragend wirkende Elisabeth I. einer weiblich weicher, durchaus verführerisch wirkenden Maria gegenüber, was Sopranistin Jennifer O’Loughlin in zwei edlen schwarzen Roben unaufgesetzt verkörperte. Sie beide, der von ihnen begehrte Graf Leicester und Ratgeber wie Vertraute waren textbezogen geführt und reagierten „szenisch sprechend“ auf den Gesang des Anderen; ein dramatisches Beziehungsgeflecht wurde sichtbar und verständlich. Prompt stellte sich ein, was bei verkrampften Modernisierungen oft verloren geht: dies waren exemplarische Figuren, bei denen es um mehr als Alltägliches geht – folglich besaßen sie spannende „Fallhöhe“, ihr Schicksal wirkte „größer als…“ – und daher reicht das normale Wort nicht (außer eine Johanna Wokalek spricht Schiller) - sie müssen sich in Gesang ausdrücken.

Beglückend

Und auch das geriet beglückend: zwei herrlich kontrastierende Frauenstimmen, deren lyrisches Legato und dramatische Attacke fesselten. Sie beide bewiesen, dass klassischer Belcanto keine lediglich staunenswerte Kehlkopfartistik ist, sondern dass Koloratur, Gruppetti, Vorschlag oder Schleifer eben Emotion hörbar machen – prompt vielfacher Szenenapplaus. Beide Königinnen, den äußerlich attraktiven, tenoral etwas premierenforcierten Lucian Krasznec als Leicester, den herrlich besänftigend tönenden Talbot-Bass von Levente Páli, den rational kalten Cecil von Matija Meić und die Maria-Vertraute Anna von Elaine Ortiz Arandes sowie den volltönenden Chor (Einstudierung: Felix Meybier) führte der neue Chefdirigent Anthony Bramall. Mit klarer Zeichengebung und guter dynamischer Abstufung insbesondere in den Chorszenen betonte er, dass es nicht um den bekannten Commedia-Donizetti geht: dass es da einen Musikdramatiker gibt, der den Drei-Schritt „Rezitativ-Arie-Cabaletta/Stretta“ nicht mehr nur formal abhandelt, sondern dies abschattiert und differenziert in musikdramatische Aktion verwandelt, woraus dann ein Verdi nicht wie ein Wunder, sondern als Weiterentwicklung herauswächst. Da klang also einiges zupackender, wuchtiger, kantiger – und immer wieder musiktheatralisch fesselnd. Die heftig bejubelte Münchner Erstaufführung geriet zum Plädoyer für mehr Donizetti dieser Art.

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