Romantische Opernausgrabung – gegen den Strich gebürstet: Florian Lutz hat sich mit seiner Inszenierung von Heinrich Marschners „Hans Heiling“ am Theater Regensburg ein klares Konzept vorgenommen. Das zieht er dann auch mit aller Konsequenz durch, vielfach leider gegen die Musik.
Das beginnt schon beim musikhistorisch bedeutsamen Vorspiel: Marschner, stilistisch eine wichtige musikdramatische Position zwischen Weber und Wagner beziehend, hat hier vor die Ouvertüre einen durchkomponierten, knapp 20-minütigen Prolog gestellt. Diesen erlebt ein Großteil des Publikums auf der Bühne mitten unter den Erdgeistern. Bei Florian Lutz sind dies die Businessangestellten der „Heiling Gruppe“, die schwer damit beschäftigt sind, Massen von aus den Wänden regnenden Geldscheinen einzusacken und abzutransportieren – mancher Opernbesucher wird zur Mithilfe genötigt. Erdgeist-König Hans Heiling freilich hat genug von der stumpfen Kapitalanhäufung. Er zerreißt die Scheine und macht sich gegen den Rat seiner Mutter auf in Richtung Erdoberfläche, sprich: zur werktätigen Bevölkerung, wo es noch handfeste Arbeit und romantische Liebe gibt.
So unterhaltsam dieser Perspektivwechsel mit Blick in den Schnürboden auch ist: Der aus dem Graben per Lautsprecher übertragene Klang ist leider allzu dürftig, Marschners Orchesterfarben verblassen zum Einheitsbrei. Auch die rhythmische Koordination mit den emsigen Choristen ist eher Glückssache.
Ganz so ernst nimmt Regisseur Lutz die aus Eduard Devrients Libretto nicht allzuschwer herauszulesende Kapitalismuskritik übrigens nicht: Mit Matthias Laferi, der als schmierig-adretter Conferencier durch den Abend führt und so die hölzernen Sprechpassagen des Originals umgeht, liegt eine durchgehend ironische Note über der Trennung zwischen kapitalbesitzenden Erdgeistern auf der einen und unterdrückten Arbeitnehmern in Hygieneschutzkleidung auf der anderen Seite. Diese vollzieht sich nach dem Vorspiel, wo es dem Publikum überlassen bleibt, aus welcher Perspektive es das Stück weiterverfolgen möchte.
Aus akustischen Gründen muss man sich wohl fürs Parkett entscheiden, wo zumindest die große Geisterszene zu Beginn des zweiten Aktes eine gewisse Wirkung entfalten kann. Heilings Verlobte Anna auf der Bühne (Michaela Schneider mit guter lyrisch-dramatischer Balance) sieht sich hier der aus der Loge ihre Drohungen herausschleudernden Erdgeist-Königin und ihrem Gefolge gegenüber (Theodora Varga mit beachtlicher Wucht). Chor und Extrachor befeuern die Konfrontation mit großem Effekt von den Rängen aus.
Die musikalisch bemerkenswerteste Passage des Werkes – das mit einem fahlen Kontrabass-Solo einsetzende Melodram zu Beginn der folgenden Szene – wird leider wieder arg vom Regiekonzept gebeutelt. Heilings Nebenbuhler Konrad (Steven Ebel mit James-Dean-Tolle und gemischtem heldentenoralen Erfolg) schwingt sich hier mit Megaphon-Parolen („Macht kaputt, was euch kaputt macht“) zum Oberrevoluzzer auf, bevor er von Heiling niedergestochen wird.
Kein Wunder, dass das Orchester sich unter diesen Bedingungen und dem enttäuschend blutarmen Dirigat von Kapellmeister Tom Woods nicht gerade zu Höchstleistungen aufschwingen mag. Mit der von Adam Kruzel ohne jede rhythmische Präzision lediglich kraftvoll abgelieferten Hauptrolle bleibt ein weiterer musikalischer Faktor unterbelichtet.
Dem schon bei Devrient etwas bemüht wirkenden, von Marschner mit Beethoven’scher Fidelio-Trompete herbeigerufenen Happy End misstraut Florian Lutz natürlich: Hier stirbt Hans Heiling und hinterlässt seine Anna mit einem im Rollstuhl sitzenden Konrad – wohl eine Anspielung auf Hans Neuenfels' Hamburger Fidelio-Inszenierung von 2004.
Am Ende gab es große Zustimmung für eine unterhaltsame Rarität, der etwas mehr musikalische Sorgfalt von allen Seiten gut getan hätte.