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Kein Pleitejazz in der Pleite-Hauptstadt

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Das Jazzfest Berlin 2006 legt einen Schwerpunkt auf den aktuellen Jazzfilm
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Das Jazzfest 2006 zog mit 22 Veranstaltungen in 5 Tagen 11.000 Besucher an. Wenn ein Konzept so deutlich aufgeht, wie das des künstlerischen Leiters Peter Schulze, dann nimmt es nicht wunder, wenn bereits am Tag nach dem Abschluss des traditionsreichen Berliner Jazzfestivals bekannt wurde, dass Schulzes Vertrag für ein Jahr verlängert wurde.

Filme zum Jazz, Filme über Jazzmusiker oder auch Live-Jazz zum Film – der Schwerpunkt des Festivals 2006 war das bewegte Bild. Julian Benedikts neues Werk „Play Your Own Thing – Eine Geschichte des Jazz in Europa“ sorgte für einen restlos ausverkauften Saal im Delphi-Filmpalast – und für angeregte Diskussionen während der nächsten Tage. Benedikts Blick auf den europäischen Jazz ist ein subjektiver von Beginn an. Doch während er die Anfänge des Jazz in Paris und im ausgebombten Berlin noch aus der kritischen Distanz des faszinierten Betrachters beschreibt, sind seine Kameraflüge über norwegische Fjorde mit der Stimme von Jan Garbarek aus dem Off mehr oder weniger die Anschauungen eines Fans. Subjektivität ist aber noch keine qualifizierte Meinung. Das größte Manko des Films ist die, dass er die Geschichte des europäischen Jazz in Europa vor 20 Jahren enden lässt.

Anders dagegen „New Orleans Music in Exile“ von Robert Mugge. Sein Film spielt ganz in der Gegenwart – Mugge zeigt die Auswirkungen einer Naturkatastrophe auf das Leben der Jazz- und Bluesmusiker in New Orleans. Die Stärke von Mugges Film liegt dabei nicht in seiner Machart, eher in der Nähe, die er und seine Kamera zu den Protagonisten aufbauen. Die Erlöse des Films, der in Deutschland auch von der Deutschen Jazzföderation unterstützt wird, kommen der Tipitina’s Foundation zugute, die vertriebene Musiker und ihre Familien unterstützt sowie den Wiederaufbau von Schulmusik-Programmen fördert. Obwohl das Drehbuch zu „Der Pleitejazz“ aus dem Berlin der 20er-Jahre stammt, war der Film des belgischen Regisseurs Leo van Maaren reinste Gegenwart. Van Maarens Film basiert auf einem Dada-Filmszenario des flämischen Dichters Paul van Ostaijens, in dem dieser „Ich bin pleite“ durch sämtliche handelnden Personen konjugiert und unter anderem feststellt: „Jazz ohne Musik: ein bedenklicher Zustand“. Eine wunderbar erfrischende Kinostunde mit Livemusik im großen Saal des Babylon am Rosa-Luxemburg Platz.

Im Anschluss an den Film zelebrierte Stephan-Max Wirth ein Tanz-, Film- und Jazzprojekt auf der Grundlage von Paul van Ostaijens „Pleitejazz“. Ein originelles Sujet, virtuoser, aus der Improvisation entwickelter Ausdruckstanz und kraftvoller moderner Jazz gingen hier eine Symbiose ein. Ein Verdienst des Jazzfestes, diese außergewöhnliche Kombination aus Musik, Film und Tanz dem Berliner Publikum vorzustellen.

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