Alle zehn Jahre ist in Tschechien Jahr der Musik – seit den Jubelfeiern zum 100. Geburtstag des „Moldau“-, „Verkaufte Braut“- und „Dalibor“-Komponisten Bedřich Smetana anno 1924. Selbst wenn es mit der Neuinszenierung von Zdeněk Fibichs „Sarka“ am Nationaltheater Prag und in Ostrava zwei Zyklen mit sämtlichen Opern Smetanas hochkarätige Ambitionen gab, lohnt ein Blick auf die perfekt präparierte Wiederaufnahme von Antonín Dvořáks „Čert a Káča“ (Katja und der Teufel). Diese gestaltete Marián Chudovský in den legendären Bühnenbildern und Kostümen von Adolf Born. Trotz Gewehrschüssen empfiehlt die Theaterleitung das Foklore-Luxusstück für Publikum ab fünf Jahren. Ein hochkarätiges Vergnügen aus stilisierter Landlust und teuflisch gutem Spektakel.
Kein rotes Schloss für’s Mauerblümchen! Im Nationaltheater Prag endet das Jahr der Musik 2024 mit Dvoráks „Katja und der Teufel“
Das Prager Nationaltheater mit dem üppigen Goldportal um die Bühne ist am 2. Advent um 18.00 Uhr restlos ausverkauft. Viele Kinder mit Kleid und Fliege sind in der Vorstellung. Die Reaktion wechselt zwischen beseligtem Schweigen und beglücktem Raunen. Kein Zweifel: Antonín Dvořáks im Nationaltheater Prag 1899 uraufgeführte Märchenoper von 1899 ist das tschechische Pendant zum deutschen Märchenopernfilet „Hänsel und Gretel“ von Humperdinck anno 1893. „Čert a Káča“ gab es vor fünf Jahren in Dessau, dort wie jetzt mit dem Prager Ensemblemitglied Richard Samek als Schäfer Jirka. Der blüht im einheimischen Ambiente noch mehr auf: Traditionell wird in Tschechien die melodiensatte Partie immer mit ersten Fachgrößen besetzt.
Der Vergleich zwischen dem deutschen Opernmärchen nach den Brüdern Grimm und dem böhmischen nach der Erzählung von Božena Němcová drängt sich auf, siegt doch in beiden das Gute (besser: naive bis bauernschlaue Figuren) gegen das Böse (Hexe bzw. Teufel und Ausbeuter). Dabei stechen einige unwesentliche Nachteile von „Hänsel und Gretel“ ins Auge. Da wird die Knusperhexe bekanntermaßen zum Lebkuchen, während alle Teufel in „ Čert a Káča“ überleben dürfen und ihren Job im Weltenplan behalten – sogar beim erzkatholischen Dvořák. Bei Humperdinck ist der Umgang mit der Hexe Rosine Leckermaul durch alle Generationen angstbesetzt, während Dvořáks Káča ihren Besuch in der Hölle durchaus neugierig und lustbetont an steuert. Ein weiteres Handicap von Humperdincks wald- und poesieseligen Märchenspiel: Mit Ausnahme der Lebkuchenkinder und Engelpantomime gibt’s da keine Massenszenen. Von Dvořák dagegen, von seinem Textdichter Adolf Wenig und generell in allen Aufführungen von Brünn bis Pilsen wird nicht gespart: Großer Chor, großes Ballett, große märchenhafte und dabei leicht verschmitzte Folklore.
Die Prager Inszenierung aus dem Jahr 2003 wird in Stand gehalten – vom Zwischenvorhang mit den naiven Zeichnungen über das Dorfpanorama und die artistisch bewegte Hölle bis zur Ahnengalerie der von Höllenängsten gepeinigten Fürstin. Noch immer sitzt der weiße Hirtenhund herum, noch immer poussiert eine künstliche Katze mit Kulleraugen und Kugelwampe, noch immer zischt die künstliche Ratte als Höllenbote durchs fürstliche Boudoir. Adolf Borns Ausstattung ist bildhaft und gebildet, naiv und poetisch: Dorfgeschichte, Bruegelhaftes Dämonium und minimal ironisches Märchenparadies – einfach wunderschön mit Materialmassen und einer enormen Inhaltsfülle für das Publikum von morgen. Davon kann man in der Germantrash-Westopernzone nur neidvoll träumen.
Schön auch, dass es in der Hölle offenbar keine Nachwuchsprobleme gibt, die kleinen Satansbraten Rad schlagen und ein Mini-Luzifer listig aus dem Kinderwagen flunkert. Noch immer hat Káča ihre knallrote Haarbolle und mit Draht gesteiften Zöpfe (Michaela Zajmi mit ebenfalls haariger Zunge und aufblühenden Kantilenen). Noch immer verbirgt die Fürstin larmoyante Ausbeuterallüren hinter feudal-galanter Haltung unter Turmfrisur (große Diva im goldenen Spätsommer: Dana Burešová). Der kurzfristig für František Zahradníček eingesprungene Pavel Švingr ist ein eher herziger und gemütvoller Teufel Marbuel, von dem sich Káča nicht weniger gern in die Hölle entführen lässt als von charismatischeren Geistern. Zdeněk Plech gibt einen jovialen Luzifer mit der Stimme eines wagnernden Grandseigneurs.
Auch in der tschechischen Tradition wird klar: Káča ist keine derb-lächerliche Wuchtbrumme, sondern ein schlichtes und sogar herziges Gemüt. Sie zetert also nur einmal richtig los: Als sie, das „Mauerblümchen“ (englischer Übertitel: wallflower), merkt, dass ihr der rattige Teufel Marbuel zwar ein rotes Schloss verspricht, die Hölle aber doch nur eine Spielhölle und Schmuddelbude ist. Nur durch die guten Menschengeister kommt es in der Unterwelt also zum kurzen Cancan-haften Exzess. Ende gut, alles gut: Wenn Jirka mit Káča die Fürstin vor Höllenfahrt und Höllenflammen rettet, erhält Káča zum Dank ein tolles Haus und eine gute Rente. „Mit dem Reichtum kommen die Männer“ stellt Káča am Ende fest. Dem lässt sich kaum etwas erwidern, zumal Jirka in Prag Káča mehr schätzt als den neuen Job als „Privatminister“.
Bis es dahin kommt, reihen Ballett (stilaffine Choreographie: Pavel Vaněk) und Chor (Leitung: Pavel Vaněk) ein jubelndes Genremoment ans andere. Der Dirigent David Švec weiß mit dem Orchester des Nationaltheaters Prag genau um jede Nebenstimme und jede Klangpointe. Die hohe Violingruppe am Beginn ist schieres Musikglück. Bei den slawischen Tänzen aus Böhmens Hain, Flur und Dörfern fährt die Trompete schon mal derb dazwischen, so dass Lyrik, Elegie und Liedhaftes aus Dvořáks wunderschöner Partitur nicht zu edel geraten. Trotz Hölle also doch eine feine Weihnachtsoper!
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