Als Friedrich Schiller „Die Räuber“ schrieb, war er 23 Jahre alt. Für Gleichaltrige heute und andere peppte das Kieler Schauspiel nun das dramatische Geschehen mit Rockmusik auf und nennt das Ergebnis „Rockoper“. Auf der Bühne passen sich die damals Unangepassten dem Duktus einer aufreizenden Musik an, lassen sich durch den Sound pompöser Schlagzeug- und Gitarrenpassagen läutern. Das wirkt einigermaßen glaubhaft und hatte bereits vor zwei Jahren im Sommertheater unter freiem Himmel Erfolg. Jetzt holte Daniel Karasek, Hausherr im Kieler Theater, die zu Rockern mutierten Outlaws des Sturm und Drangs vom Seefischmarkt ins Schauspielhaus.
Schillers Räuberbande verwandelt Karasek in Rocker unserer Tage, eine Spezies, mit der manche Kommune Probleme hat, mit ihrem selbstherrlichen Ehrenkodex und ihrem anmaßenden Gebaren. In Kiel heißen sie „Bandidos“ oder „Red Devils“. Ihr „Tun“ und was sich drum herum rankt, ist dort inzwischen zur „Affäre“ gediehen, die Gerichte und den Landtag beschäftigt.
Rockoper
„Rockoper“ ist ein Titel, der in eine große Schublade passt. 16 Songs werden geboten und ein paar kleine szenische Untermalungen, begleitet von einer Band mit Keyboards, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und einem dazwischen eher exotisch anmutenden Cello. Was draußen wirkte, hatte sich nun quasi kammermusikalisch zu bewähren. Und tat es. Nach jedem der 16 Songs wurde applaudiert, wie einst den Gesangsstars im Singspiel, mit dem, wenn man will, die Form historisch zu vergleichen wäre. Die Songs sind dramatisch sinnvoll eingefügt, zudem musikalisch abwechslungsreich, passen sich der Situation und den Charakteren an. Süffig, voll Sentiment, aber musikalisch kurzphrasig klingt Amalie, die allseits Begehrte, mit ihrem „Wenn es wirklich wahr ist“. Später mischt sich in ihre getragene „Totenklage“ der Klang einer Totenglocke. Das Cello charakterisiert Karl, wenn er sich dem brutalen Agieren seiner Bande entgegenstellt. Er ist eben anders. Lautstark wird es – und muss es sein – bei dem Treueschwur „Unsere Leben schreien nach Taten“ und dem barschen „Tod oder Freiheit“, mit dem das Publikum effektvoll in die Pause entlassen wird. Da hat es noch das Räuber-Credo in den Ohren: „Wir sind eine Idee. Freiheit oder Tod. Und ihr könnt niemals umbringen, was in unserem Innern wohnt.“ Das krachende Finale schließlich verstärkt das Ensemble und die Band durch sechs Tomtoms. Damit wird dem Publikum endgültig klar, dass er eine Rockoper gehört hat.
Kettcar
Die Töne, die diesen Räubern recht gut anstehen, steuerten Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff bei. Wer in Rockmusik bewandert ist, kennt sie als Gründer von „Kettcar“, einer Band, die dem Independent Rock zugeordnet wird. Auch die Texte der Songs haben sie geschrieben, durchaus mit eigenem Stil. Sie sind sprachlich und inhaltlich sorgfältig mit Schillers kraftstrotzender Vorlage verbunden, die Daniel Karasek zusammen mit Jens Paulsen, seinem Chefdramaturgen, verschlankte. Immer wieder bricht sich jedoch der emotional stürmende und drängende Gestus Bahn, auch wenn mit Pistolen gedroht und geschossen wird. Ein paar Vokabeln steuern das Heute an. „Veganer“ dürften selbst dem jungen Medizinstudenten seinerzeit nicht geläufig gewesen sein und eine „goldene Rolex“ keinem seiner Kumpane ein Statussymbol. Insgesamt aber zeigt sich das Drama der Perfidie und des Edelsinns wieder einmal bis auf unsere Tage hin gültig. Es setzt auf damals wie heute sehr ähnlich handelnde Figuren, setzt auf ihre Schwächen und Stärken, auf Gefühle wie Bosheit und Reue, auf Habgier und Altruismus. Dafür hatte Verdi 1847 schon Töne gefunden, die fein, vielleicht zu fein waren, und auch der fast vergessene Blacher-Schüler Giselher Klebe, dessen 1957 komponierter Erstling auf Schiller fußt. Die Rockmusik unserer Tage ist rauer, aggressiver, doch variabel genug, auch Gefühlstiefe zu illustrieren.
Stimmen
Dennoch fehlen, selbst für eine Rockoper wichtig, weibliche Stimmen. Mit einem Trick gewinnt die Kieler Fassung gleich zwei. Das sich aufopfernde Bandenmitglied Roller, irgendwie ein Appendix des rüden Haufens, mutiert zur Rockerbraut. Das nimmt man gern hin. Und bei Kosinsky hat Schiller bereits vorgearbeitet, wenn er Karl Mohr sagen lässt, er, Kosinsky, der sich um die Mitgliedschaft in der Bande bewirbt, solle nicht „wie ein unbesonnenes Mädchen“ sein. Die Erzählung nun über ein schicksalsschweres Liebes- und Vorleben lässt sich problemlos zur lesbischen Beziehung umdeuten, womit dann die Kieler Version dem Zeitgeist näher ist.
Etwas für Augen und Ohren
Karaseks Inszenierung wirkt vital, zumal Lars Peter einen Bühnenraum geschaffen hat, der in alle Dimensionen zu bespielen ist. Links sind zwei Ebenen übereinander die Welten der Familie Mohr. Eine sie verbindende Treppe versinnbildlicht den Willen von Franz aufzusteigen. Immer wieder wird er herabgestoßen. Rechts ermöglichen Containerkästen der Bande ein stetiges Auf und Ab, ein drastisches Spielfeld für sie. Leere Fässer, Autoreifen und ein Feuer stiften „Gemütlichkeit“. Was außerhalb von Zeit und Ort geschieht, z. B. die unbeschwerte Familienwelt der Mohrs oder Kosinskys Vorleben, wird in teils ablenkenden Videos heraufbeschworen.
Herausragend fies ist Marko Gebbert, der changierend und chargierend den Franz mimt, auch wenn er mit dem Publikum sich verbünden will und um Verständnis für die verquere Logik seines Handelns wirbt. Oliver E. Schönfeld ist stark als dessen emotionaler Bruder Karl, der im inneren Kampf mit sich ist und den Zweifel an seinem Tun empfindet, doch als Räuberhauptmann auftreten muss. Die Amalia spielt Magdalena Neuhaus anrührend, den Vater Mohr Zacharias Preen. Unter den Räubern sticht Rudi Hindenberg hervor als rivalisierender Moritz Spiegelberg. Differenziert gestalten ihren Part auch die beiden weiblichen Bandenmitglieder, Claudia Friebel als Roller und Jennifer Böhm als Kosinsky. Erfreulich, dass Kiel auch für die weiteren Rollen gute Darsteller hat. Die gesanglichen Leistungen sind nicht einheitlich. Es ist eine Inszenierung im Schauspielhaus. Eine Bewertung sei deshalb vermieden. Dennoch lohnt es sich, nicht nur hinzuschauen, auch zuzuhören.