Es wäre merkwürdig, wenn Johann Strauss‘ „Die Fledermaus“ in Kiel beim Publikum nicht ankäme. Gleich wie sie inszeniert ist – retrospektiv als Operette, das Verwirrspiel betonend als Musikkomödie oder bunt und aufgepeppt in der Art eines Musicals – das Premierenpublikum geht dort in aller Regel beflissen mit dem um, was ihm geboten wird. Besonders in den hinteren Reihen des Parterres wird lautstark und mitreißend applaudiert. Selbst Klamauk und banale Zaubertricks tun der Begeisterung keinen Abbruch, zumal bereits nach ihrer straffen Ouvertüre sich der Trend der Inszenierung erkennen lässt: zupackend wird sie sein, weniger subtil. Ja, Kiel hat ein engagiertes, auf Erfolg ausgerichtetes Opernhaus, dem Daniel Karasek, sein ambitionierter Hausherr und Generalintendant, immer mal mit eigenen Inszenierungen den Stempel aufdrückt, so wie jetzt wieder geschehen.
Kiels „Fledermaus“ ehrt Johann Strauss, den Walzerkönig, mit Klamauk und Zauberkunst
Am 9. November 2024 hatte nun der deftige Hahnenkampf zweier reicher und nicht mehr ganz junger „Herren“ seine Premiere. Der eine, der Düpierte, war der beruflich noch aktive Notar Dr. Falke, der andere, sein Kontrahent, der dennoch mit ihm befreundete Rentier Gabriel von Eisenstein. Wie er einst sein Geld verdiente, bleibt unbekannt.
Ein Falke im Hahnenkampf
Jetzt jedenfalls hat er viel Zeit für Amouren und für das Training, ausufernde Gelage gut durchzustehen. Das nutzte er, als er den Notar nach einer heftigen Sause öffentlich arg blamierte. Da 1874 bereits die Zeit für Duelle vorbei war, übte der Notar nun seine Rache so geschickt und aufwändig aus, dass sie zehn Solisten, Chor und Tänzer circa drei Stunden, Pause eingeschlossen, auf der Bühne beschäftigte, was das Orchester samt dessen Leiter, den 2. Kapellmeister Chenglin Li, ebenso lange im Graben hielt.
Warum ist es Usus, bei Operetten mit ihren oft anspruchsvollen Partien zuvörderst Kapellmeister einzusetzen? Gerade „Die Fledermaus“ verlangt da viel, doch nicht zu viel für Li, den gerade 27-Jährigen. Der große Schlussbeifall für ihn trug seiner in vielen Momenten sehr sorgfältigen Führung Rechnung, die Solisten im Gesang oder im Orchester Raum in ihren sensiblen Partien ließ. Etwas weniger war von der Verzückung des leicht verzögerten Drehens beim Walzen zu spüren, der die andere Seligkeit fördert, das Körpergefühl mit dem Partner. Merkwürdig dabei, dass es selbst beim reinen Zuhören sich einstellt (wohl das tiefe Geheimnis der Neujahrskonzerte aus Wien, dass es sich sogar weltweit überträgt).
Wer mitspielt
Das Libretto von Karl Haffner und Richard Genée wurde in Kiel nur in sehr knappen Partien beibehalten, das Spiel effektiv zu Derbheit führend gekürzt, obwohl auch manch Neues erdacht wurde. Gleich anfangs, noch zur Ouvertüre, nervte allerdings das langwierige Getue der Klatschpresse. Es sollte einen Rückblick auf den Grund für den Streit geben und zeigte, wie eine ganze Schwadron von Blitzlichtapparaten dem trunkenen und in Unterhosen erwachten Dr. Falke entwürdigend zu Leibe rückte. Im darauf folgenden ersten Akt gelang es dagegen sinnvoll, die Handlung zu einem ständigen Wirbeln zu straffen. Vor allem Xenia Cumento hatte als Kammerzofe Adele großen Anteil daran. Ihr hätte die Regie allerdings erlauben dürfen, bei ihrem durchdringenden Jammergeschrei um ihre kranke Tante ihr Kehlorgan zu schonen. Ihr spielerisch sicherer Stimmklang und ihr Geschick bei Koloraturen war bei vielen anderen Partien ausreichend zu bewundern. Erstaunlich leicht erlebte der Zuschauer zudem Agnieszka Hauzer als Rosalinde, deren große Stimme ihr sonst in der Höhe den Status der Prima Donna in eher ernsthaften Rollen gab. Hier überzeugte sie durchaus in der komischen Rolle der unfreiwillig Betrogenen, die dank eigener Fertigkeit doch sieghaft mitspielt.
Die männlichen Teilnehmenden darf man ebenfalls in diesem ersten Teil kennen lernen, der im Programmheft die Phase der „Vorfreude“ genannt wird. Es ist ein Arsenal verkorkster Typen, Gabriels „Freund“ Falke ausgenommen, der von Samuel Chan überzeugend gespielt und gesungen wird. Er ist ein Strippenzieher mit Klasse. Sein Kontrahent Gabriel von Eisenstein, Rentier und Tenor (Michael Müller-Kasztelan), ist von der Regie sehr zapplig angelegt, vor allem im banalen, auf Wortwitz getrimmten Geplänkel mit seinem Anwalt Dr. Blind (Joscha Eggers als Debütant).
Ähnlich übertrieben agiert Alfred, der Tenor und Rivale um die Gunst von Eisensteins Frau Rosalinde (Konrad Furian). Er hat seine Auftritte durch das Fenster zum Garten mit etlichen Zaubereien zu würzen, sollte aber Rosalinde doch eher mit seinem Tenor verzaubern. Jörg Sabrowski als Gefängnisdirektor Frank schließlich, hat erst im weiteren Geschehen seine großen Momente, im 2. Akt als „Rausch“ bezeichnet, vor allem jedoch im dritten, in der Phase „Katerfrühstück“.
Dass hier Suff und die Art, wie man ihn spielt, sehr drastisch ausfällt, hängt dennoch nicht damit zusammen, dass der Frosch diesmal zur „Fröschin“ wird (Form sei erlaubt, auch wenn kein Tierlexikon eine feminine verzeichnet). Yvonne Ruprecht (Schauspielensemble) machte aus ihrem Part eine übermütige Aktion, die von der Suche nach einem Lichtschalter über Kontakt zu den „Pinguinen“ in der Etage unter sich bis zu kleinen politischen Anspielungen („Ich gieß‘ mir einen auf die Ampel“) alles einbrachte, was das Publikum von dieser Rolle erwartet. Damit erhielt die eigentlich Zentralgestalt jeder Inszenierung ein Vergleichsobjekt, nur dass die eine, die im Gefängnis Arbeitende, dem Erdenjammer anders verbunden ist, als der Prinz Orlofsky, den Tatia Jibladze in grandioser Manier als Hermaphrodite spielt und singt. Ihre Auftritte und Partien bewältigt sie mit Grandezza als eine androgyne Erscheinung wie aus einer anderen Welt.
Vom Heim zur Zelle
All das spielt sich in Lars Peters wechselhaftem Bühnenbild ab. Im ersten Akt fand er, seien für ein Zimmer in Eisensteins Haus weiße nackte Wände passend. Sie wecken trotz eines wenig aparten Sitzmöbels, eines Streifengemäldes und eines wehenden Stores am Fenster zum Garten allein den Eindruck von Biederkeit. Alles strahlte erst nur Unpersönlichkeit aus.
Erst im zweiten Akt, ursprünglich der Gartensalon des Prinzen Orlofsky, hier eine Art Varietézelt, ließ das Theater für das Bühnenarrangement seine Technik rotieren. Jetzt endlich füllten Chor und Tänzer den Raum und konnten elegante Roben auftreten wie zum Beispiel die der Adele oder ihrer Schwester Ida (Elisabeth Raßbach-Külz). Alle Kostüme hatte Claudia Spielmann auffallend schön entworfen. Im dritten Akt schuf die Hebebühne ein zweigeschossiges Anwesen mit zwei Reihen von Zellen, die Insassen zu verwahren. Nobel, was man sich alles einfallen lassen kann, diesen Ort attraktiv zu machen und wenn es ein Putzballett ist.
Karasek kennt sein Ensemble, weiß jeden richtig einzusetzen, benötigte diesmal für seine neue „Fledermaus“ keine externen Gäste. Auszunehmen sind (und das trotz einer Balletttruppe im Haus) die acht fremden Tänzer, die nicht nur im zweiten Akt (Choreografie: Daniel Morales Pérez) zu tun haben.
Die Inszenierung war wie für das Kieler Publikum geschaffen. Es amüsierte sich und applaudierte ausdauernd.
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