Regisseur Keith Warner steht für innovative, originelle Operninszenierungen, wie den „Ring“ in London und „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen, folglich waren die Erwartungen für sein Berlin-Debüt mit der Kinderoper „Peter Pan“ hochgesteckt. Die besuchte 3. Aufführung der Kinderoper „Peter Pan“ an der Komischen Oper Berlin (Spielleitung: Neil Robinson) vermochte diese Erwartungen jedoch nur partiell zu erfüllen.
Peter Pan lebt auf der fiktiven Insel „Nimmerland“ als Anführer der „verlorenen Jungen“. Begleitet von der fliegenden kleinen Fee Tinker Bell (Glöckchen) begegnet Peter eines Nachts auf einem Ausflug nach London dem Mädchen Wendy Darling. Er nimmt sie und ihre Brüder John und Michael mit nach Nimmerland, wo Wendy für Peter und die verlorenen Jungen eine Mutterrolle übernimmt. Alle zusammen erleben eine Reihe von Abenteuern, und schließlich bringt Peter seinen Gegenspieler, den Piraten-Kapitän Hook, mit Hilfe eines Krokodils zur Strecke. Die Kinder vermissen ihre Eltern und werden von Peter zurückgebracht.
Bereits seit dem Jahre 1904 fliegt Peter Pan als Kunstfigur in dem Stück „Peter Pan, or The Boy Who Wouldn’t Grow Up“ von James Metthew Barries über die Bühne, und die Erfolgsgeschichte wurde seit 1924 gut zwanzigmal verfilmt.
Die in Großbritannien bereits 2013 herausgekommene Inszenierung von Keith Warner besticht zunächst durch das originelle, vielfältig kinetische, auf einem Schienensystem von bemannten Zügen und Wagen umfahrene Bühnenbild von Jason Southgate, welches die Handlung des Kunstmärchens in der britischen Belle Époque ansiedelt.
Die Opernversion koppelt die Figuren der Londoner Realität psychologisch bestechend mit denen der Traumwelt. Die liebenswerte Mutter Mrs. Darling zeigt in Nimmerland ihre gefährliche, blutrünstige Seite als Tiger Lily (Christiane Oertel), und der wenig Gespür für seine Kinder aufbringende Vater wird auf der Insel zum gefährlichen Captain Hook. Aber auch die Realität hat märchenhafte Züge, denn hier muss der Vater mit dem Hund seinen Platz tauschen, in der Hundehütte schlafen. Die Fee gibt es in der Oper nur als mobil kinetische Projektion, einmal auch als Marionette.
Nach den ins Ohr gehenden Musicalversionen von Jerome Kern, Leonard Bernstein und Jerome Robbins, hat Ayres unter Vermeidung wiederkehrender Melodiestrukturen eine ungebärdig wilde, atmosphärische Tonsprache für seine Vertonung des Librettos von Lavinia Greenlaw gewählt, auf diese Weise eigenwillig der Mischung aus Weltflucht und Rebellion gegen Zwänge eines geordneten Lebens entsprechend.
Der in der Berliner Aufführung best angenommene Moment ist allerdings jener, wenn die Kinder aufgefordert werden, nach Leibeskräften zu schreien – und musikalisch ist es der Einsatz der solistisch erklingenden klassischen Windmaschine.
Während die Titelrolle auf Bühnen zumeist mit jungen weiblichen Darstellerinnen besetzt wurde (so etwa 1984 im Berliner Theater des Westens mit Ute Lemper), komponierte Ayres jenes Kind, das nie erwachsen wird, für einen Counter. Eric Jurenas singt die zwischen den Registern wechselnde schwierige Partie mit leichtem britischen Akzent ganz famos, übertrumpft jedoch von der emphatisch agierenden und singenden Mirka Wagner als Wendy. Trotz der Überzeichnung des Vaters singt und spielt Carsten Sabrowski den Piratenkapitän mit einem Haken anstelle des vom Krokodil mitsamt Armbanduhr abgebissenen Unterarms durchaus witzig. Prominent besetzt ist selbst noch der Hund mit Hans-Peter Scheidegger und die Piraten Smee und Nibs mit Christoph Späth und Carsten Lau. Und auch die Chorsolisten sowie der Kinderchor der Komischen Oper schmeißen sich mit viel Überzeugung ins Geschehen.
Doch aufgrund der Länge von mehr als zwei Stunden Spieldauer (inklusive einer Pause nach dem kurzen ersten Akt) vermag die Produktion das jugendliche Publikum kaum dauerhaft zu fesseln.
Zu den theatralisch faszinierendsten Momenten gehören die abenteuerlichen Flüge von Peter, Wendy und ihren beiden Brüdern (Tomothy Oliver und Talya Lieberman), die der Flug- und Kampfkoordinator Ran Arthur Braun zum Teil mit Doubles, häufig aber mit den sich ungewöhnlich in höchster Bühnenhöhe drehenden und schraubenden Sängerdartellerinnen selbst realisiert hat.
Die von der Oper Stuttgart und der Komischen Oper Berlin in Koproduktion mit der Welsh National Opera, mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung erteilte Auftragskomposition haben Adelheid und Jürgen Dormagen ins Deutsche übertragen, wie sie nun – nicht immer voll textverständlich – in der Komischen Oper zu hören ist. Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Anthony Bramall liefert adäquat die zugehörige Geräuschmusikebene und zugleich die tonalen Stützen für die Gesangspartien.
Die szenische Produktion der Oper überzeugt gleichwohl mehr als eine konzertante Vorversion, die zu Spielzeitbeginn am Tag der offenen Tür dargeboten wurde. Dass auch beim wiederholten Hören nicht eine musikalische Phrase im Kopf des Besuchers haften bleibt, ist wohl erklärte Absicht des Komponisten.
Dennoch hat die Komische Oper Berlin eine CD als Hörbuch produziert, die auch im Opernhaus käuflich zu erweben ist (ISBN 978-3-946593-15-7).
- Weitere Aufführungen: 18. November, 8., 11. 22., 26. Dezember 2016, 8. Januar, 14. und 20. Februar 2017.