Hauptrubrik
Banner Full-Size

Kindliche Fragen über das Wunder der Existenz

Untertitel
Zwei große Projekte für Kinder: Martin Smolka in Nürnberg und Klaus Lang in Bonn
Publikationsdatum
Body

In den letzten Jahren rückt zunehmend die Frage nach Musik für Kinder ins Gesichtsfeld. Anfangs gehandicapt durch einen Mangel an passender Literatur, entstand in letzter Zeit eine Reihe von Musikwerken, die sich speziell an Kinder und Jugendliche wendet. Eine der wichtigsten Fragen ist der Umgang mit dem Begriff „kindgerecht“.

Dass ohne Kinder die Musik keine Zukunft hat, das beginnen so allmählich die meisten Veranstalter zu begreifen. Und auch, dass man sich nicht immer mit Peter am Wolf anklammern kann. Dass ohne Musik, oder umfassender ohne Kunst, der Mensch keine Zukunft hat, das wird noch nicht so klar gesehen. Beides aber geht Hand in Hand. Die zeitgenössische Musik hat glücklicherweise viele Tore im Bewusstsein geöffnet, die den kindlichen Zugang freier machen kann. Da ist die Erschließung der Geräusche, denen ohne Scheuklappen begegnet werden kann, da ist die Entwicklung repressionsfreier Modelle, um miteinander zu musizieren, und da ist vor allem die größere Bereitschaft von jungen Komponisten, sich Kindern und Jugendlichen zuzuwenden, was man lange Zeit als Beschneidung des schöpferischen Freiraums erachtete. Nun konnte man an einem Wochenende gleich zwei große musikalische Projekte für Kinder erleben: die Oper „Das schlaue Gretchen“ des tschechischen Komponisten Martin Smolka (Jahrgang 1959) auf der Probebühne des Nürnberger Staatstheaters und in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle die Komposition des österreichischen Komponisten Klaus Lang (Jahrgang 1971) „Der rote Spiegel“ innerhalb der derzeit laufenden Ausstellung „Barock im Vatikan“. Die Ansätze waren, das verwundert nicht, denkbar verschieden.

Der Prager Martin Smolka steht schon seit vielen Jahren auf Kriegsfuß mit dem Elitedünkel der Avantgarde. „Lasst sie in Ruhe sitzen, wo sie ist, die arme Musik. Gebt ihr Frieden und setzt Euch für sie ein. Sie ist eine Frau! Treibt die Musik nicht ‚vorwärts‘; dringt in ihr Inneres vor und entdeckt ihre verborgenen Winkel, Musik ist ein Rosengarten“, hatte er einst in einem Manifest zur Moderne geschrieben. Und dass er wirklich verborgene Winkel zu entdecken und auszugraben in der Lage ist, das hat jüngst sein enigmatisch einfaches wie klangintensives Chorstück „Walden“ bei der Münchner musica viva bewiesen. Nun also ein kammermusikalisch klein besetztes Märchenstück, eine Kompilation der Grimm’schen Erzählung „Die kluge Bauerstochter“ und von Jan Werichs „Königin Rolleriana, die Erste“. Der Plot freilich ist schon in Orffs „Die Kluge“ (und hier nicht zum ersten Mal) zum Musiktheater gemacht worden. Hier freilich, beim Libretto des Nürnberger Musikdramaturgen Klaus Angermann, hing das Ganze etwas durch. Denn es war mit Bedacht kindgerecht, um dies hässliche Wort zu benutzen, angelegt. Da waren nette Jokes, Rätselgeschichten, Einbeziehung der zuschauenden Kinder (absolut gefahrenfrei), überzogene Gestik mit nur wenig innerer Notwendigkeit. Hier hätte sich der Begriff vom Neuen Musiktheater durchaus weiter nach vorne lehnen können. Das Betuliche wird allzu leicht durchschaut und verbleibt im Braven. Ein großes, wassergefülltes Planschbecken vorne, die Welt des Fischers mit seiner klugen Tochter und seiner grantigen Frau, eine große rote Treppe hinten, Symbol für die königliche Macht, schufen den visuellen Aufriss.

Smolka konnte da nicht immer differenzierend eingreifen. Gerne spielte die Musik (Leitung: Christian Hutter) exzessiv mit Stotterrepetitionen, wenn Fischer oder Müller vor dem König um würdige Ansprache bemüht waren, dann zog sie Zitatschichten heran, um Plastik der Bedeutung zu unterstreichen. Und da ließ er es sich auch nicht nehmen, dem über die Einmischung seiner geliebten Fischerstochter verzweifelten König (er hatte sich das verbeten) Beethovens „Muss es sein?“ aus dem letzten Streichquartett op. 135 mit auf den Weg zu geben. Das entlockte ein Lächeln bei kundigen Eltern, die Musik, hier ist Smolka hochvirtuos, saß aber auch ohne diesen Wiedererkennungseffekt passgenau. So rettete die Musik mit verstörenden und bewusst überzogenen Klangeffekten immer wieder die artig voranschreitende Erzählung. Dass alles gut endete, verstand sich im Märchenkontext „Und sie lebten glücklich bis…“ von selbst. Die Musik wagte so etwas wie eine Apotheose, die dann aber über ihre überzogene Prunksucht mit eitlen Koloraturen stolperte und das Unbotmäßige im harten Schnitt abbrach. Solche Brüche, solche selbstironischen Eingriffe in Schieflagen wussten immer wieder zu gefallen.

Klaus Lang ließ sich in „Der rote Spiegel“ hingegen auf Momente des vermeintlich Kindgerechten kaum ein: oder allenfalls so, dass Fragen aufgeworfen wurden, die ein Kind beschäftigen und die bis ins hohe Alter nicht gelöst werden. Das Stück mit der exorbitanten Dauer von eineinhalb Stunden hatte die Form eines Requiems – weil das Alter mit dem Zustand der Kindheit korrespondiert, vergleichbar mit dem Sonnenuntergang, der an anderer Stelle der Welt als Sonnenaufgang erlebt wird, erläuterte Lang. Die Kuppel des Petersdoms als Spiegelung des Himmelszelts, Kreisbewegungen, Orts- und Perspektivwechsel standen hinter dieser „Komposition für junge Stimmen und junges Orchester“. Das eigens aus Schülern der Bonner Musikschule gegründete junge KlangEnsemble Bonn unter der Leitung von Sibylle Wagner hatte höchst konzentriert und mit großer innerer Anspannung zu agieren. Ständig mussten die Musiker ihre Plätze wechseln, die rund um den großen und überfüllten Raum nach acht Himmelsrichtungen ausgerichtet waren. Es entstand eine vorwiegend ganz stille Musik, schwebende Klänge, in die sich fragmentarische Melodien einnisteten und die immer wieder Platz machten für von Lang uminstrumentierte Musikstücke des Mittelalters und der Renaissance. Es war die Musik, die seinerzeit im Petersdom erklungen ist: Gregorianik und Stücke von Frescobaldi, Corelli, Gabrieli, Merulo und Luis de Victoria. Diese Einlagen wirkten wie Zeugen aus vergangener Zeit, sie blühten auf und verschwanden wieder hinter den sensibel ausgehörten Klangdom-artigen Schichtungen der Musik Langs. Eigentlich geschah nicht viel, dennoch riss die Spannung, das Beobachten der wandernden Musiker (vielleicht zehn bis achtzehn Jahre alt), das lauschende Erwarten dessen, was von neuer Stelle gespielt wurde, nicht ab.

Kinder sind ernst zu nehmen bei ihren Fragen über das Wunder der menschlichen Existenz, über die Kreisläufe des Daseins, über das Eigentümliche von Perspektiven: Fragen, auf die im Grunde auch wir nur mit unserem Staunen antworten können. Und sie wollen herausgefordert werden. Diese Überzeugung Langs fand im Faszinosum dieser Aufführung, in der Himmelsmechanik von Musikern wie Klängen, nachdrücklich Bestätigung. Reize müssen nicht, wie unsere Entertainment-Kultur vorgibt, ständig überfluten. Der schlichte Blick in die Tiefe kann ein wesentliches Gegengewicht setzen. Das Wagnis der Askese, das stille Bewundern der Weite des Raums, des Vorbeitreibens von Zeit und Geschichte: kindliche Fragen? Sie wurden beim Wort genommen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!