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Kampagnenmotiv klangbrücken. Hannover.
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Klänge, die wie Brücken sind – Kagel satt beim „klangbrücken“-Festival in Hannover

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Der aufmerksame Hannoveraner oder auch nur der, wer notgedrungen an roten Ampeln stehen blieb, die hier stets mit Litfaßsäulen umsäumt sind, kam gar nicht daran vorbei: „Mauricio Kagel – klangbrücken“. Was gibt es Wundervolleres als eine Woche sehr viel Musik, die sich um einen legendären Komponisten dreht, direkt vor der Haustür?

Doch zunächst stand die Frage: was ist „klangbrücken“? Irgendwas mit Staatstheater oder Staatsoper müsse es sein, denn das Plakat entsprach dem Corporate Design derer. Wen man auch ansprach, gehört hatte niemand etwas von diesem ominösen Festival. Seine Infos musste man sich von drei verschiedenen Webseiten zusammen sammeln und Karten gab es für jede Veranstaltung an einem anderen Ort. Das Genie beherrscht das Chaos.

„Musik zu hören, ist zweifellos eine der extravagantesten Arten, sein Geld auszugeben.“ (Kagel)

Hintergrund dafür ist, dass hinter klangbrücken nicht ein Veranstalter steckt. Dieses Festival ist das Ergebnis der Zusammenarbeit der Staatsoper Hannover, Musik 21, einem Netzwerk für niedersächsische Initiativen für Neue Musik, der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und weiteren freien Musikinstitutionen Hannovers. Wer die Anstrengung im Vorlauf auf sich nahm, wurde mit einem sehr vielfältigen Programm in unterschiedlichsten Formaten belohnt: Open Air mit 111 Fahrrädern, Sinfoniekonzert, Kino, Szenisches Kinderkonzert, Kammermusik und mehr. Es war ein Programm, das dem Komponisten, Filmmusiker, Regisseur und Hörspielmacher Mauricio Kagel gerecht wurde und ganz im Lichte dieses Komponisten stand.

So inszenierte beispielsweise der ehemalige Kagel-Schüler Bernhard König eine Hommage an Kagel, in der dessen Leben biografisch, anekdotenhaft und fiktiv nachempfunden wurde. Das Ensemble Megaphon, ein Schauspieler und ein (nicht beabsichtigt) launischer Beamer führten in Film, Musik, Gespräch, Klang und Schauspiel durch „gehobenen Nonsense“, wie es König selbst formulierte. An einem anderen Abend wurde in der Christuskirche Kagels Musikepos „Der mündliche Verrat“ aufgeführt. Bedauerlicherweise kam es wohl zu internen Problemen und das eigentliche Musiktheater konnte nur konzertant aufgeführt werden. Ob es eine bewusste Entscheidung war, ein Stück über den Teufel – es gibt wohl kaum ein anderes Werk in der Musikgeschichte, das sich so intensiv mit ihm auseinandersetzt – diesen Ort zu wählen, ließen die Künstler offen. Der Veranstalter „Nordstadt-Konzerte e.V.“ hält traditionell seine Konzerte in der Christuskirche ab, die als Veranstaltungsort und Sitz des Internationalen Kinder- und Jugendchorzentrum Christuskirche Hannover dient.

Der Abschluss des Festivals fand im Kommunalen Kino im Künstlerhaus vor leider nur wenig Publikum statt. Die Künstler Luk Vaes, Seth Josel und Jona Kesteleyn rekonstruierten an dem Abend, der mit „Kagel reconstructed“ betitelt war, Kagels Instrumentaltheaterstücke „Unter Strom“ und „Tactil“. Kagel selbst hatte sie mit Kollegen 1969 und 1970 aufgeführt, doch der Nachwelt keine Partituren hinterlassen. Wie nah sie wohl an das Original gekommen waren, ist schwer prüfbar. Doch sehr wahrscheinlich waren die drei näher dran als die meisten Bach-Oratorien-Aufführungen an ihrer Uraufführung. Dem Ganzen zuzuschauen und zuhören zu dürfen, machte viel Spaß. So dürfte es also ganz im Sinne Kagels gewesen sein.

„Nur Leute, die Humor haben, sind unerbittlich ernst“. (Kagel)

Beim Konzertmarathon traf die Rezensentin nie jemanden, den sie schon am Vor- oder Vorvorabend erblickt hatte. Vielleicht spielte der Zufall mit oder die Augen ihr einen Streich. Doch womöglich konnten die einzelnen Institutionen nur ihr eigenes Publikum erreichen, was auch die sehr unterschiedlichen Publikumszahlen erklären könnte. Der Netzwerkeffekt, den ein Festivalformat erhoffen lässt, war wohl noch nicht eingetreten. Bei einem Festival, das in den Kinderschuhen steckt und keinen eigenen Etat hat, mag das noch ein zu hoch gestecktes Ziel sein. Zu wünschen wäre es den Organisatoren sehr. Denn sie haben mit „klangbrücken“ ein sehr abwechslungsreiches, vielfältiges Festival begründet, mit Musikerinnen und Musiker, die zur überwältigen Mehrheit in der Region ansässig sind. Ferner ist klangbrücken eine gute Gelegenheit die verschiedenen Institutionen der Stadt zu entdecken, die einem vielleicht sonst selten auffallen.

Weiter soll positiv, weil anders, bemerkt werden, dass klangbrücken ein Festival ist, das ohne Schirmherrschaft auskommt und dessen Programmheft nicht einmal ein Grußwort enthielt. Es sollte um Kagel gehen und also ging es um Kagel. Erst auf einer der letzten Seiten gab es unexponiert eine Seite, wer diese Musik 21 sind, und noch weiter hinten gab die Staatsoper eine Vorschau auf ihre nächsten Konzerte. Das Impressum war so klein und versteckt als würde man sich dafür schämen. Letzteres muss sich definitiv niemand.

In Hannover fand vom 3. bis 10. April 2016 das „klangbrücken“-Festival in dritter Auflage statt. Das diesjährige Motto: „Mauricio Kagel“.

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