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Am 18. Juli feierte unsere Redaktionsfotografin ihren 80. Geburtstag – nur wenige Wochen danach dokumentierte sie für uns wieder einmal die Salzburger Festspiele: etwa mit dem oben stehenden Probenfoto von Martin Grubinger.
Am 18. Juli feierte unsere Redaktionsfotografin ihren 80. Geburtstag – nur wenige Wochen danach dokumentierte sie für uns wieder einmal die Salzburger Festspiele: etwa mit dem oben stehenden Probenfoto von Martin Grubinger.
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Klang-Kontinente und Mahler-Szenen

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Salzburg modern: Neue Musik bei den Festspielen
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Die Salzburger Festspiele, ein Hort abendländischer Hochkultur und entsprechend konservativ ausgerichtet, haben in den letzten zwei Jahrzehnten erstaunliche Verwandlungen erfahren. Mit Gerard Mortier und Hans Landesmann zogen das moderne Musiktheater und die Neue Musik in das Festspiel ein. Peter Ruzicka als Nachfolger brachte mit zahlreichen Uraufführungen neuer Musik Donaueschinger Atmosphäre an die Salzach und Jürgen Flimm setzte sich gegen Bedenken des Festspielkuratoriums durch, als er Luigi Nonos „Al gran sole“ ins Programm aufnahm: Es wurde ein Riesenerfolg.

Die Intendanten kamen und gingen. Einer jedoch blieb bestehen: Markus Hinterhäuser. Bei Mortier brachte er sein privates „Zeitfluss“-Festival in die Festspiele ein. Das war ein gewaltiger Schub in Richtung „Moderne“ mit der Aufführung von Luigi Nonos „Prometeo“ als Höhepunkt. Als Jürgen Flimm 2007 die künstlerische Leitung der Festspiele übernahm, ernannte er Hinterhäuser zum Konzertreferenten. Markus Hinterhäuser drückte dem Konzertprogramm der Festspiele für fünf Jahre den Stempel auf. Mit den „Kontinenten“, jeweils einem modernen Komponisten gewidmet (Scelsi, Sciarrino, Rihm, Varèse) erhielten die Festspiele ein klares modernes Profil. Mit den „Szenen“ wurde aber auch der Blick zurückgelenkt und von dort wiederum nach vorn bis in die Gegenwart gerichtet: Schumann, Schubert, Liszt, Brahms, und in diesem Jahr, Gustav Mahler erschienen im kompositorischen Dialog in oft ungewohnten Belichtungen. Da Jürgen Flimm vorzeitig aus seinem Vertrag ausschied, wurde Hinterhäuser für eine Spielzeit als Interimsintendant bestellt. In der Oper, die meist schon Jahre zuvor geplant wird, gelang Hinterhäuser mit der Verpflichtung des Regisseurs Christoph Marthaler für Janáceks „Die Sache Makropulos“ ein großer Wurf. Über die Aufführung, von der unser Foto auf Seite 38 einen ersten Eindruck vermittelt, wird in der nächsten Ausgabe noch ausführlich berichtet. Von den „Kontinent“-Konzerten sowie den „Mahler-Szenen“ und weiteren Abenden mit neuer Musik seien im Folgenden die wichtigsten Ereignisse hervorgehoben.

Beifall für das Schlagzeug

Der Retter des E-Musik-Abendlandes heißt Martin Grubinger. Während in den traditionsschweren Konzerten unserer Hochkulturorchester im Parkett die Zahl in Würde ergrauter Musikenthusiasten oft schmerzlich sichtbar schwindet, platzen bei Grubinger die Säle gleichsam aus allen Nähten. Das war jetzt auch wieder bei den Salzburger Festspielen der Fall. Warum das so ist, lässt sich rasch erklären. Grubinger ist  jung, 1983 in Salzburg geboren, aufgeschlossen allem Neuen gegenüber und vor allem: er spielt auf einem Instrument, das aus vielen Instrumenten besteht – dem Schlagzeug. Schlag-Werke üben immer wieder einen besonderen Reiz auf Menschen aus. Schon in Urzeiten trommelten sich die Leute ihre Nachrichten von Dorf zu Dorf lautstark zu. Etwas davon  ist bis heute erhalten geblieben, im Jazz besonders zu beobachten: Das Solo des Schlagzeugers erhält den  lautesten Beifall. Martin Grubinger kann sich auf solche Wirkung verlassen. Aber er bringt auch Eigenes ein: Eine phänomenale Technik, eine equilibristische Körpersprache und eine hohe Musikalität. Sein Spiel besteht nicht nur aus rhythmischem Rattern und knallenden Schlägen, er kann auch wunderbar zart, leise, melodisch sein. Ein singendes Schlagzeug sozusagen. Das alles verlieh seinem Salzburger Festspielauftritt die besondere Note. Grubinger erschien im  Programm bei den „Solistenkonzerten“, obwohl er von einem Orchester begleitet wurde: dem Schleswig-Holstein Festival Orchester unter dem Dirigenten John Axelrod. Ein junges Ensemble, so jung wie der Solist und erstaunlich flexibel und technisch versiert. Es heißt zwar, Friesen könnten nicht singen, aber spielen können sie offenhörbar schon bestens. 

Grubinger forderte Mitspieler und Zuhörer im ausverkauften Großen Festspielhaus aufs Äußerste: Sechs Konzerte für Schlagzeug und Orchester  in vier Stunden mit zwei kurzen Pausen: Ein Musik-Marathon. Grubingers Virtuosität inspiriert inzwischen sogar gestandene Komponisten, die eigens für ihn schreiben. Friedrich Cerha zum Beispiel, der dem Perkussionisten ein Konzert für Schlagzeug und Orchester komponierte, das an Vertracktheiten nichts zu wünschen übrig lässt, die von Grubinger, der das Werk vor zwei Jahren auch uraufgeführt hat, mit gleichsam mozartischer Schwerelosigkeit in wunderbare Musik verwandelt wurden. Unmittelbar nach Mozart klingt Rolf Wallins Stück für Solo-Percussion und Orchester mit dem fröhlichen Titel „Das war schön!“. „Herr Stahr“ ist der letzte Satz überschrieben, eine Anspielung auf Mozarts Lieblingsvogel. Feine Klangwirkungen erzeugt John Coriglianos Konzert „Conjurer“ für Schlagzeug und Streichorchester, eine stilistische Erkundung betreibt Avner Dorman in „Frozen in Time“, die Japanerin Keiko Abe führt in „Prism Rhapsody“  Marimba und Orchester zu einem intensiven Dialog und Bruno Hartl, selbst auch Solo-Pauker bei den Wiener Philharmonikern, montiert in seinem Konzert sozusagen „Lesefrüchte“ zu einem farbigen Klangteppich. Sehr professionell. Dass ein Konzert mit sechs Werken lebender Komponisten bei den Salzburger Festspielen zum Ereignis werden kann, zeigt auch, wie entschieden sich die sogenannte „Neue Musik“ im Festspiel ihren festen Platz erobert hat.  

Die  „Kontinente“ der vier Vorjahre, den Komponisten Scelsi, Sciarrino,   Rihm und Varèse reserviert, brachten im fünften Durchlauf eine Art überwölbende Zusammenfassung, in die auch Erinnerungen an glorreiche „Heldentaten“ von einst einflossen, wie die Aufführung von Luigi Nonos „Prometeo“ in der Kollegienkirche, die 1993 zu einem zentralen Ereignis nicht nur des „Zeitfluss“-Festivals, sondern der gesamten Festspiele geriet. Der starke Eindruck stellte sich auch diesmal wieder ein, vielleicht ein wenig nostalgisch überglänzt. Man muss auch in der Moderne einmal etwas sentimental empfinden dürfen. Eine starke Wirkung ging auch von der konzertanten Aufführung von Salvatore Sciarrinos Oper „Macbeth“ aus, gleichsam als Kontrapunkt zur Verdi-„Macbeth“-Aufführung im Großen Festspielhaus.

In der Felsenreitschule präsentierte Sasha Waltz ihr Tanzprojekt „Continu“ zu Musik von Iannis Xenakis, Edgar Varèse und Claude Vivier. Die Choreographie für vierundzwanzig Tänzer  und Tänzerinnen beeindruckte durch  fließende Bewegungsabläufe, wuchtige Körperplastiken, einen kraftvollen Gebärdenstrom: Alles fließt – das will wohl der Titel „Continu“ sagen. 

Weitere Höhepunkt des achtteiligen „Kontinent“: der Auftritt des Pianisten Marino Formenti mit Stockhausens Klavierstücken I—XI. Pianistisch perfekt beeindruckte mehr noch die geistige Durchdringung der einzelnen Stücke und, für Puristen vielleicht überraschend, die sinnliche Ausstrahlung, die Formenti selbst den strengsten seriellen  Konstruktionen mitgab. Ein hinreißendes Konzert.

An den „Scelsi“-Kontinent von 2007 knüpfte das „stadler quartett“ (Musiker des Salzburger Mozarteum Orchesters) an: Scelsis Streichquartette Nr. 4 und Nr. 5 erhielten ihren klanglich-spirituellen „Überzug“. Von der subtilen Ausformung der Klangstruktur profitierte auch Georg Friedrich Haas‘ drittes Streichquartett, das in völliger Dunkelheit gespielt werden soll, weshalb man mit dem Konzert aus feuerpolizeilichen Gründen aus dem Saal in ein tiefes Gewölbe umziehen musste. Von Haas erklang auch im Konzert mit dem Klangforum Wien das Stück „in vain“ für 24 Instrumente: eine brillante Wiedergabe. Beim Auftritt der „basel sinfonietta“ unter Steven Sloane gab es eine musikalisch perfekte konzertante Aufführung von Morton Feldmans Oper „Neither“. Dass ein Abend dem Komponisten Claude Vivier gewidmet war, begrüßte man umso mehr, weil  der früh verstorbene Komponist immer noch zu wenig in unseren Konzertsälen  gespielt wird. Christian Dierstein exekutierte die „Cinq chansons pour percussion“ aus dem Jahr 1980 mit der ihm eigenen Brillanz (es muss nicht immer Grubinger sein!). 

„Mahler-Szenen“ bei den Salzburger Festspielen

An Mahler-Festivitäten mangelt es im Gedenkjahr wahrlich nicht. Eigentlich benötigt der Komponist überhaupt kein Gedenken, ist er doch in den Konzertprogrammen der Kulturorchester Jahr für Jahr reich vertreten. In Leipzig huldigte man gerade dem Symphoniker Mahler umfassend und knüpfte damit an  eine Tradition  an, die einst in den zwanziger Jahren in Amsterdam beim Concertgebouworkest von Willem Mengelberg  begründet wurde. Dort fand auch vor zwei Jahrzehnten eine denkwürdige Wiederholung statt, an der sich fünf Spitzenorchester Europas, darunter die Wiener und Berliner Philharmoniker sowie natürlich das  Concertgebouworkest unter Riccardo Chailly beteiligten. Da ergaben sich schon aufregende, spannende Kontraste, die weite Perspektiven für das symphonische Werk des Komponisten öffneten.

Noch ein weiteres Orchesterfestival im Zeichen Mahlers in Salzburg zu wiederholen, erschien dem Konzertreferenten und jetzigen Ein-Jahres-Intendanten Markus Hinterhäuser allzu  bequem und einfallslos. Er wollte Mahlers Komponieren auf den Grund gehen, es einkreisen, durchleuchten, in qualifizierten Interpretationen gleichsam erforschen. Zwangsläufig rückte Mahlers Liedschaffen dabei in den Vordergrund: Frühe Lieder, die Schätze aus des „Knaben Wunderhorn“, das „Lied von der Erde“ in einer Fassung für Klavierbegleitung, die „Kindertotenlieder“.

Zu einem Höhepunkt geriet in diesem Zusammenhang der Liederabend des Bariton Matthias Goerne, begleitet vom Pianisten Leif Ove Andsnes. Goerne verband neun Mahler-Lieder mit fünf Liedern von Dmitri Schostakowitsch, dessen starke Affinität zu Mahlers Werk bekannt ist. Goernes Liedkunst setzt weniger auf gefühligen Wohlklang als auf klare gedankliche Durchdringung der Textinhalte.  Friedrich Rückerts „Nun seh‘ ich wohl, warum so dunkle Flammen“ gewann in  Mahlers Vertonung und Goernes Darstellung eine ergreifende existentielle Dimension. In den Liedern, die Schicksale von Soldaten und Gefangenen behandeln („Wo die schönen Trompeten blasen“ / „Der Tambourg’sell“ / „Revelge“) verbindet Goerne den lockeren Erzählton mit einem verzweifelten, ironisch- grimmigen Ausdruck, wodurch die Liedgeschichten eine zweite Tiefendimension erfahren.

Dass man die zuletzt genannten Lieder auch „schöner“, glatter singen kann, zeigte der Bariton Christopher Maltman mit dem Pianisten András Schiff in einer anderen „Mahler-Szene“, in der dramaturgisch sinnvoll auch Victor Ullmanns Vertonung von Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ für Sprecher und Klavier den Mahler-Liedern gegenübergestellt war. Bruno Ganz trug die zwölf Texte Rilkes mit zurückgenommener Stimme vor, um jeder hohlen Deklamation zu  entgehen. András Schiffs Begleitung „sprach“ dafür umso anschaulicher und plastischer.

In einer weiteren „Mahler-Szene“ gab es Mahlers „Lied von der Erde“ in einer vom Komponisten selbst angefertigten Fassung mit Klavier statt Orchester, das man hier umso weniger vermisste, weil wiederum András Schiff seinem Flügel schöne instrumentale Farben abgewann. Und das Piotr Beczala (Tenor) und Christian Gerhaher (Bariton) den sechs Liedern, im Wechsel, ein Höchstmaß an vokalem Ausdruck und Schönheit mitgaben, versteht sich bei diesen Sängern von selbst.

Wie stark Mahlers Liedschaffen in sein symphonisches Werk eingeflossen ist, gleichsam als  ein konstituierendes Element, bedarf in diesem Zusammenhang keiner weiteren Erörterung, weil als bekannt vorauszusetzen. Ein eindringliches Beispiel war schon im ersten  „Szenen“-Konzert zu erleben, in  dem Mahlers Symphonie Nr. 4 G-Dur in einer Kammerversion von Erwin Stein mit der Sopranistin Christiane Karg zu hören war. Sie sang „Das himmlische Leben“ aus des „Knaben Wunderhorn“ mit schlanker, instrumental geführter Stimme, sozusagen „symphonisch“ als integraler Bestandteil des orchestralen Satzes. Das Konzert der Wiener Philharmoniker mit Pierre Boulez und die Aufführung der selten frühen oratorischen Kantate „Das klagende Lied“ ist eine kam einer Entdeckung gleich. Man glaubte Anklänge an Wagners „Götterdämmerung“, gewissermaßen Dämmerungstöne, zu vernehmen. Und damit die große Symphonie nicht gänzlich ausgeblendet blieb, hatte man den zweiten Auftritt des Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela in die „Mahler-Szenen“ aufgenommen. Da war schon das Entree des jugendlichen Orchesters eine optische Großveranstaltung: von allen seitlichen Bühnengängen marschierten die Musiker auf ihre Plätze, fast zwanzig Kontrabässe, drei Dutzend Cellisten, unübersehbare Scharen   von Geigern und Bratschern, ebenso Bläsern.  Befehligt wurde die beinahe 200 Mann starke Truppe von „General“ Gustavo Dudamel, der den Riesenapparat inklusive großem Chor in Mahlers Symphonie Nr. 2  c-Moll gleichsam mit Feldherrenblick in die Klangschlacht führte – und sogar siegte. Alles klang authentisch nach Mahler, was in  diesem Fall nur möglich war, weil alle nicht nur auf ihren Instrumenten, sondern auch mit ihren Herzen spielten. Und sangen: Wiener Singverein, Miah Persson und Anna Larsson.

Mit Mahlers Siebter in e-Moll haben die Berliner Philharmoniker am Ende der Festspiele die Salzburger Mahler-Huldigungen komplettiert. Würdiger und intelligenter kann man  einen großen Komponisten nicht ehren.

 

 

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