Auch zwischen den Biennale-Ausgaben einen roten Faden im Münchner Musikleben zu ziehen, das war die eine der Intentionen Hans Werner Henzes, als er die Gesprächskonzertreihe „Klangspuren plus“ innerhalb des von ihm gegründeten Musiktheaterfestivals ins Leben rief. Die andere: Komponistinnen und Komponisten mit einem von ihnen selbst zusammengestellten Programm zu porträtieren. Mit dem anstehenden Leitungswechsel bei der Biennale endete diese Tradition nun; den Schlusspunkt setzte Mark Barden.
Bei Peter Ruzicka, der im Mai mit der 14. Ausgabe seine letzte Musiktheater-Biennale präsentiert, klingt ein wenig Wehmut mit, als wir ihn vor dem Konzert zu einem Gespräch treffen. Er hat das Format sichtlich lieb gewonnen und verweist auf die illustre Reihe von über 90 Namen, die dann auch – von A wie Mark Andre bis Y wie Boris Yoffe – in der Black Box im Münchner Gasteig auf gelbes Papier kopiert, ausliegen.
Zum Abschluss der Reihe teilt Ruzicka sich die Moderation mit Siegfried Mauser, der die Reihe mitbetreut hat, und fast hat man den Eindruck, der 1980 geborene US-Amerikaner Mark Barden, in seiner Heimat und in Deutschland ausgebildet, fühle sich ein wenig verschüchtert zwischen der hanseatischen Eloquenz Ruzickas auf der einen und der launigen Hartnäckigkeit Mausers auf der anderen Seite.
So ist es vor allem die Stückauswahl Bardens, die für ihn, die für sich spricht. Ausnahmslos Solostücke sind es, zum einen für das Klavier, das Instrument das Barden studiert hat, zum anderen für Viola, Cello, Kontrabass und Schlagzeug, die vier Instrumente, für die er dann auch das abschließende Auftragswerk geschrieben hat.
Wie Pianist Jean-Pierre Collot das zerbrechliche vierte Prélude Alexander Skrjabins unmittelbar in Galina Ustwolskajas brachial-mystische sechste Klaviersonate übergehen lässt, das ist von markanter Stimmigkeit. Ganz plausibel hat Barden in dem kurzen, choralartigen Atemholen Ustwolskajas ein Echo Skrjabins herausgehört. Später wird Collot noch Morton Feldmans frühes, untypisch ruppiges „Intersection 3“ über die Tastatur fegen, um es mit den Intervalltupfern von dessen „Extensions 3“ gleich wieder auszuradieren. Dieser mehr tastende als zupackende Zugriff pflanzt sich dann auch in Collots beinahe aquarellistisch zurückhaltender Interpretation von Skrjabins vierter Sonate fort: gebremster, nach innen gekehrter Überschwang.
Die inwendige, das Instrument nicht als selbstverständlichen Klangerzeuger voraussetzende Geste herrschte auch in Rebecca Saunders’ „fury“ für Kontrabass und Helmut Lachenmanns Klassiker „Pression“ für Cello vor. Juan Sebastian Ruiz und Mathis Mayr führten das plastisch vor Augen und Ohren, ehe Stefan Blum mit James Tenneys Crescendo-Decrescendo-Studie für ein Tamtam die schwarze Gasteigkiste erst ganz sanft in Schwingung versetzte, um sie und die Zuhörer auf dem Höhepunkt in ein tosendes Brausen zu hüllen. „Es soll ein bisschen in Richtung Schmerz gehen“, gab Mark Barden hinterher zu, und man war froh, dass schließlich nur virtuelle Abdrücke im Gehörgang zurückblieben.
Konzeptkunst – auf diesen Nenner wollte Mauser das Programm bringen und Barden stimmte insofern zu, als er bekannte, dass es ihm nicht um das Arrangieren schöner oder interessanter Klänge gehe, sondern darum, etwas über die Musik hinausweisendes zu sagen. Zum ersten Mal sei ihm dies – Ruzicka hatte nach dem frühesten Moment gefragt, da er als Komponist „Ich“ gesagt habe – mit einem Vokaltrio gelungen, in dem die Sänger sich an unmöglich zu erreichenden Höhen abarbeiten müssen.
Etwas Vergebliches hatte dann auch das uraufgeführte Werk, wobei der Titel „harvest“ nicht nur idyllische Ernte andeutete. Im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Stück für Trio, das „viscera“ heißt, bekommt er die makabre und zugleich lebensspendende Konnotation der Organentnahme. Entsprechend arbeitete sich das Schlagzeug phasenweise, eher chirurgisch präzise denn brachial, in die Streichereingeweide vor, eine existenzielle Dringlichkeit vermochte das gut proportionierte, knappe Stück allerdings kaum zu vermitteln.
Welche, die Zeit zwischen den Biennale-Ausgaben überbrückenden Veranstaltungen das neue Leitungsteam plant, ist noch nicht bekannt. Gemessen an den Zuhörerinnen und Zuhörern, die sich beim Empfang anlässlich dieser Dernière bei den Machern für die unspektakuläre, aber bestens funktionierende Reihe bedankten, liegt die Messlatte durchaus hoch.
Ein ausführliches Interview mit Peter Ruzicka über seine letzte Biennale-Saison wird in der April-Ausgabe der nmz erscheinen.