Die Semperoper lässt die neue „Aida“ als ein musikalisches Glanzstück leuchten; als Bühne für das 21. Jahrhundert kapituliert sie, findet unser Kritiker Joachim Lange.
Die Ouvertüre dieser Tage ist die ukrainische Nationalhymne „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“. Christian Thielemann und die Staatskapelle stellen sie der jüngsten Premiere in der Semperoper voran. Das Publikum erhebt sich, ein Bewusstsein für die Dramatik der Lage ist allgemein. Die Wirkung ist direkt und unmittelbar.
Sodann versucht es die Semperoper nach der Corona-Zwangspause mal wieder mit einem todsicheren Repertoire-Renner: Giuseppe Verdis „Aida“ geht immer. Da macht selbst Thielemann, der ja eher im deutschen Fach heimisch ist, gerne wieder mal einen Ausflug in italienische Gefilde. Die Sächsische Staatskapelle liefert natürlich, hochsouverän, auch das große italienische Opernpathos, das sich bis hin zum martialischen Triumph der Ägypter über die Eindringlinge aus dem Süden steigert. Quer dazu die bis in feine Piani entschwebende tragische Liebesgeschichte zwischen dem ägyptischem Feldherrn Radamès und der äthiopischen Königstochter Aida, die als Sklavin in Memphis lebt und in der Königstochter Amneris eine ernstzunehmende Rivalin hat.
Bei den kammermusikalischen Passagen lässt Thielemann die Töne immer wieder wundersam betörend entschweben. Wenn es aber martialisch zur Sache geht, dann gibt er auch schon mal selbst den Klangfeldherrn und die Kapelle stürmt mit. Aber dieses Arena-di-Verona taugliche Auftragswerk, das sich Verdi seinerzeit vom Auftraggeber in Kairo sündhaftteuer bezahlen ließ, verträgt das. Noch dazu, wenn ein so erlesenes Ensemble beisammen ist. Das fängt bei Andreas Bauer Kanabas als profundem König, dem unverwüstlichen Georg Zeppenfeld als Oberpriester Ramfis und Quinn Kelsey als Amonasro an. Die Krönung dieses Festes der Stimmen liefern Francesco Meli als durchweg sicher markanter Radamès, die mit ihrer Kraft ebenso wie mit Piani betörende Krassimira Stoyanova als Aida und die mit dunkel lodernder Leidenschaft aufwartende Oksana Volkova als Amneris. Die drei nebeneinander in einem Lichtkegel an die Rampe zu stellen, um sie hervorzuheben, wäre wahrlich nicht nötig gewesen. Aber es war leider ein für diese Inszenierung typisches Ausweichen vor einer echten Personenführung und einem das Werk in seiner Relevanz ernstnehmenden Ansatz.
Katharina Thalbach ist eine überwältigende Komödiantin – aber ihre „Aida“-Regie ist nicht mehr als ein Arrangement am Buchstaben der Geschichte entlang. Mit einer Obsession für Symmetrie auf der Bühne. Immer hübsch: zwei links, zwei rechts und ja keine Masche fallen lassen. Dazu ein Gestenrepertoire, das man sonst nur für parodistische Zwecke ausgräbt, und Stammplätze für die Protagonisten an der Rampe. Meist mit dem Blick ins Publikum, ganz gleich, ob sich die Sänger eigentlich ansingen müssten oder könnten.
Ezio Toffoluttis matt gülden glänzender Einheitsbühnenkasten bedient all das mit großer Öffnung in der Rückwand und ein paar kleinen für diverse Auf- und Abgänge. Wenn ägyptische Ikonographie zitiert wird, dann gerät das ziemlich albern. Der Pharao auf einem pyramidalen Hochsitz. Die Endlos-Banderole mit einer bunten ägyptischen Götterversammlung, die ein- zweimal um den Thron getragen wird. Das Ballett vor dem Triumphmarsch, das zu einer flotten Musical-Tanznummer mutiert. Eine handvoll Statisten, die nackte Muskeln zur Schau stellen. All das passt zur heute sonst geschmähten Pyramiden-, Nil- und Palmenfolklore. Dazu dann das Finale, in dem von einer anderen Welt nur gesungen wird, während Aida und Radamès in die Dunkelheit des Unterbodens versinken und sich eine angehobene Platte über ihnen absenkt. Klappe zu … Oper tot.
Wenn man bedenkt, welche Meilensteine des Musiktheaters der gerade verstorbene Hans Neuenfels 1981 in Frankfurt oder Peter Konwitschny zwanzig Jahre danach in Graz mit ihren „Aida“-Interpretationen lieferten, dann fragt man sich schon, wie man an der Semperoper die Rezeptionsgeschichte so leichtfertig (oder bewusst?) beiseiteschieben kann.
Dass es vor fünf paar Jahren bei den Salzburger Festspielen so ähnlich belanglos um eine russische Starsopranistin herum inszeniert wurde, ist kein Entlastungsargument. Wie weit man auch diese Oper an unsere Gegenwart heranholen kann, lässt sich derzeit in Weimar (in der Regie von Andrea Moses) besichtigen. Die Semperoper hatte schon mal einem Schauspieler als Aida Regisseur Pech – 1998 strandete Udo Samel damit. Vielleicht ist das als warnendes Beispiel einfach schon zu lange her.
Diesmal bleibt für Dresden immerhin der musikalische Lorbeer. Für ein Haus, das eigentlich in die oberste Liga gehören sollte, ist das zu wenig. Das Premierenpublikum störte sich daran freilich nicht.
- Nächste Vorstellungen: 9.3. (19.00), 13.3. (16.00), 17.3.(19.00) und 20.3.( 19.00)