Als „Offenes Forum“ für pädagogische und klaviermethodische Fragestellungen ist Insidern das Institut für Musikpädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg längst bekannt. Am 17. November vergangenen Jahres veranstaltete das Institut in Zusammenarbeit mit dem Verein PRO MUSICA e.V. und dem Konservatorium „Georg Friedrich Händel“ in Halle ein Symposium zum Thema „Klavierschulen“. Profil bekam die gut besuchte Veranstaltung, die von dem Sikorski-Verlag gesponsert wurde, durch die Präsentation von vier Klavierschulen durch ihre Autoren beziehungsweise deren Vertreter.
Die fünf populärsten Klavierschulen für Kinder in Deutschland“ lautet der Titel einer im klaviermethodischen Seminar in Halle entstandenen Diplomarbeit, die die Autorin Yara Borges den Anwesenden zu Beginn des Symposiums vorstellte. Die Arbeit geht der Frage nach, ob die beliebtesten Klavierschulen auch die besten sind. Eine aufwändige Datensammlung ermittelt, welche Klavierschulen in Deutschland am meisten verkauft werden. Diese Schulen werden einer genauen Analyse unterzogen. Als Analyseinstrumentarium zur Beurteilung von Klavierschulen dienen folgende Kriterien: pädagogische Hinweise, Entwicklung des musikalischen Gehörs, Klangvorstellung und Tonbildung, Gesamtkörperbewusstsein, musikalische Notation, Gestaltungselemente, Repertoire, Präsentation. Aus diesem Kriterienkatalog entwickelt Borges eine wohlgeordnete Sammlung von 50 Fragen. Die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht einen sachlichen Vergleich der behandelten Klavierschulen, der in einer differenzierten Benotung der untersuchten Aspekte seinen Niederschlag findet. Die „ideale“ Schule gebe es noch nicht und der Markterfolg einer Klavierschule hänge nicht nur von ihrer Qualität ab, resümierte Frau Borges. „Wer aber die Stärken und Schwächen der Schulen kennt, kann ihre gelungenen Teile zum Vorteil der Schüler kombinieren.“
Methodische Brüche
„Musik ist eine Sprache, die alle Menschen verstehen“ sagte Michael Schlüter, der als zweiter Referent des Tages die „Europäische Klavierschule“ von Fritz Emonts vorstellte. Es ist dem Autor angesichts des Zusammenwachsens der europäischen Gemeinschaft ein besonderes Anliegen, viele Lieder und Stücke aus allen Teilen Europas mit einzubeziehen. Ausführlich stellte Herr Schlüter das Kapitel „Erstes Spiel mit schwarzen Tasten“ vor. Dieser Beginn sei besonders geeignet, die Anordnung der Tastatur greifend zu „begreifen“. Mit attraktiven Klangdemonstrationen auf pentatonisch improvisierten Tonfolgen wusste Herr Schlüter für die Schule zu werben. In der anschließenden Diskussion musste der Referent auch kritischen Teilnehmern Rede und Antwort stehen. So konstatierte ein Student „einen methodischen Bruch zwischen dem Hauptteil und dem Vorspann“. Eine pädagogisch wie musikalisch gelungene Verbindung beider Teile herzustellen, sei sicherlich Aufgabe eines erfahrenen Lehrers, erwiderte Herr Schlüter, der damit allerdings nicht alle Bedenken zerstreuen konnte.
Die Präsentation der zweibändigen „Klavierschule 2000“ (Uli Molsen, Mirja Leihenseder, Gabriele Stenger-Stein) steche durch ihre multimediale Vielseitigkeit hervor, lobte eine Studentin den dritten Vortrag. Das Lehrwerk vermittle verschiedene Ansatzmöglichkeiten, die je nach individueller Neigung und Lernfähigkeit des Schülers eingesetzt werden können, erläuterte die als Referentin anwesende Koautorin Frau Stenger-Stein. Analog zu den Erkenntnissen des Spracherwerbs werde zunächst das auditive Lernen als Basis gefördert. Den variablen Umgang mit den kindgerechten Improvisationsspielen vermochte sie lebendig darzustellen. Die Praxisnähe der Lehrinhalte wurde in den mit Beifall bedachten Videoaufzeichnungen einiger Unterrichts- und Vorspielsituationen augenscheinlich und hörbar gemacht. Einige der erfahrenen Kollegen stellten unter dem Eindruck der Videoaufzeichnungen allerdings die Frage, ob nicht der Beginn mit diesen für die Improvisation geeigneten, meistens pentatonischen, klangmalerischen Stücken die Ausbildung des Wahrnehmungs- und Gestaltungsvermögens von elementaren melodischen und harmonischen Vorgängen vernachlässige.
Anfangsunterricht
Ein umfassendes, methodisch lückenloses Konzept für den Beginn im Vorschulalter bietet die dreibändige Klavierschule „Klavierspielen mit der Maus“ von Bettina Schwedhelm. Als motivierende Leitfiguren gestalten die „Maus“ und der „Elefant“ aus der Fernsehserie „Die Sendung mit der Maus“ das Unterrichtsgeschehen in Form fantasiebetonter und lebendiger Spielsituationen. Im ersten Band, so erläuterte Frau Schwedhelm, stehe der spielerische und experimentelle Umgang des Kindes mit dem Instrument, sowie das auditive und imitative Lernen im Mittelpunkt einer ersten ganzheitlichen Spielerfahrung. Im zweiten Band diene der Notentext als Grundlage, musikalische Zusammenhänge zu erfassen und spieltechnische Aufgaben zu erarbeiten. Auf großes Interesse stieß das Lehrerbegleitheft, in dem wertvolle methodische Erläuterungen und Anregungen es dem auf dem Gebiet der musikalischen Früherziehung im Allgemeinen unerfahrenen Klavierlehrer erleichtern, einen erfolgreichen Anfangsunterricht zu gestalten. Unter klaviertechnischen Gesichtspunkten betrachtet, seien einige der grafischen Darstellungen allerdings nicht ganz vorbildlich, monierten einige Studenten, die mit dem Lehrwerk offensichtlich detailliert vertraut waren.
Am Ende des langen, mit Diskussionen erfüllten Tages erwartete die Zuhörerschaft eine Präsentation ganz anderer Art: Maria Leutenstorfer versuchte in den Geist der dreibändigen Klavierschule „Das Innere Hören“ einzuführen, indem sie eine Unterrichtsdemonstration im Sinne der 1959 verstorbenen Verfasserin Beata Ziegler gab, deren „Enkelschülerin“ sie ist. Unter „innerem Hören“, erläuterte Frau Leutenstorfer vorab, verstehe Ziegler das bewusste Verfolgen und Erleben der Töne, gestützt auf ideale Klangvorstellung. Es beziehe sich auf alles, was zu einem echten Musizieren gehört, nämlich auf die Schönheit des Tones, auf die Tondauer und auf die sinngemäße melodische Linienführung. „Das leise, geduldige, fast meditative Erarbeiten glockenhafter Klaviertöne stieß angesichts der heutzutage meistens bild- und spaßorientierten, konzentrationsschwachen Kinder auf große Bedenken“, fasste eine Studentin die Meinung vieler Anwesender zusammen. Bedauerlicherweise reichte die Zeit nicht, um das hervorragende pädagogische und musikalische Konzept der Klavierschule in angemessener Ausführlichkeit vorzustellen.
„Wir sollten nicht vorschnell beurteilen,“ warnte der Leiter des Symposiums Marco Antonio de Almeida, „sondern die vorgestellten Konzepte eine Zeit lang erproben, um dann die gewonnenen Erfahrungen austauschen zu können.“ Was blieb? Viele offene Fragen, aber auch viel versprechende Anregungen und der Wille, wiederzukommen – das Thema des Symposiums traf offenbar den Nerv der klavierlehrenden Basis.