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Eisige Musik in Zeiten der Katastrophe. Foto: Hufner
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Klimaschutz und orchestrale Kernspaltung – Ein Konzert des Oldenburgischen Staatsorchester

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Kunstwerke sind Zeitsignaturen. Das beweist der Sachverhalt, dass sie nach Entstehungszeit und -ort zu klassifizieren sind. Manchmal gibt es aber auch „überzeitliche“ bzw. außermusikalische Kategorien, nach denen man verschiedene Kompositionen aufeinander beziehen kann. „Natur“, „Klima“ und „Umweltschutz“ sind derzeit hochaktuelle Begriffe, die vor dem Hintergrund eines Kausaldenkens, dass die Fülle ähnlicher Erscheinungen und deren Einflüsse auf die jeweilige Komposition zu einer Perlenkette aufreiht. Ein solches Prinzip kann eine Sache überschaubar machen, hat aber deswegen noch keinen Erkenntniswert, kann aber gleichwohl Anstöße zum Verstehen geben. Das galt in hervorragender Weise für das zweite Sinfoniekonzert des Oldenburgischen Staatsorchesters, dass unter dem Motto „Musik und (gefährdete) Natur“ stand.

Da hat sich in der Tat mal jemand grundlegend bei der Werkzusammenstellung Gedanken gemacht! Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann versteht es als einen Beitrag zum Themenschwerpunkt „Klima“, mit dem sich im Herbst zahlreiche Projekte mehrerer Sparten des Oldenburgischen Staatstheaters auseinandersetzen. Das Konzert spannt den Bogen von den „Anfängen“ des Naturschutzes bis zu einer inhaltlich hochaktuellen Uraufführung von Daniel Michael Kaiser neuester Komposition.

Ernst Rudorffs Ouvertüre „Otto der Schütz“

Dass die Symphonik des 19. Jahrhunderts nicht nur aus Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Tschaikowsky besteht, hat sich inzwischen herumgesprochen und so erscheinen immer öfter hörenswerte Werke von Komponisten auf dem Programm. Hierzu gehört mit Sicherheit der 1840 geborene Ernst Rudorff. Eine schillernde Persönlichkeit, die als Komponist und als Vordenker einer modernen Lebensweise zu seiner Zeit durchaus beachtet wurde. Seine Gedanken zum Umweltschutz sind hochaktuell. Er erkannte frühzeitig die Gefährdung der Natur durch den Menschen und wurde zum maßgeblichen Mitbegründer des Natur- und Heimatschutzes. Sein Kompositionsstil war aber für damalige Verhältnis alles andere als modern. Überkommene Ästhetik und eine famose Kenntnis der klanglichen Möglichkeiten des Orchesters sind bei Ernst Rudorff so geschickt miteinander verwoben, dass es nicht verwundert, dass er nicht zu denen zählte, die zur ersten Liga gehörten.

Die Ouvertüre „Otto der Schütz“ op. 12 geht auf ein Opernprojekt nach einem Versepos von Gottfried Kinkel zurück. Resultat ist eine Konzertouvertüre, die 1866 uraufgeführt wurde. Inhaltlich ist Ganze eine rührselige Mischung von Vater-Sohn - Problematik und Liebe in Adelskreisen. Otto der Zweitgeborene flieht und wird Förster. Kompositorisches Ergebnis ist ein Tongemälde mit geheimnisvoller Waldesromantik und Happy End.

Rudorffs schlichtes Tonmaterial verknüpft mit kontinuierlichen dynamischen Steigerungen, geheimnisvollen rhythmischen Einwürfen usw. Das könnte auf Dauer plakativ und gefühlsduselig wirken, wäre da nicht das Oldenburgische Staatsorchester gewesen, das unter Hendrik Vestmann dieser Mischung von seelenstarker Handwerklichkeit und Mitteilungsbedürfnis eine wohltuende rationale und entschlackende Interpretationshaltung entgegensetzten.

Ralph Vaughan Williams’ Sinfonie Nr. 7 „Sinfonia Antartica“

Klima- und Naturschutz aus dem Geist der Musik und der Romantik, das kann auch für die Sinfonie Nr. 7 („Sinfonia Antartica“) von Ralph Vaughan Williams gelten, die rund 100 Jahre später komponiert wurde und deren Material sich auf den Soundtrack bezieht, den Williams für den Film „Scott of the Antarctic“ komponierte, der das Scheitern der Südpolexpedition von Robert Falcon Scott in der trostlosen Öde der Eiswüste schildert.

Die musikalische Faktur der Sinfonie Nr. 7 ist bei aller Monumentalität recht überschaubar. Aber auch hier ist es wie bei der Zubereitung einer guten Mahlzeit: Es kommt auf den Koch an. Hendrik Vestmann trieb dieses bombastische Werk, das instrumental so ziemlich alles verwendet, was es an Orchesterinstrumenten gibt, einschließlich Windmaschine, Orgel, Solo-Gesang und Chor, mit geradezu manischer Erregung zu äußerster Fieberglut und erwies sich als Williams Fürsprecher ersten Ranges, der hinter dem spektakulären Oberflächenglanz, strukturelle Verbindungen fand und entrückte Versenkung demonstrierte.

Daniel Michael Kaisers „White, Vanishing“ – Uraufführung

Klima- und Naturschutz aus dem Geist der Musik und der Romantik, das gilt auch für Daniel Michael Kaisers neue multimediale Komposition „White, Vanishing“ für Orchester und Zuspiel. Kaiser will in seinem Werk keine anekdotische Ereignisschilderung liefern, sondern einen Eindruck von der menschenleeren, gleichzeitig bedrohlichen wie wunderschönen antarktischen Landschaft vermitteln und der Wirkung, die dieser Anblick auf den menschlichen Geist ausübt. Daniel Michael Kaiser hat das auf einer Reise als Gast des Alfred-Wegener-Institutes für Meeres und Polarforschung selbst erlebt. „Mit ‚White, Vanishing‘ möchte ich den Klimawandel in den Konzertsaal bringen und mich mit meiner Arbeit als Künstler dafür einsetzen, diesen auch emotional erfahrbar zu machen. Die Reise zur Forschungsstation AWIPEV ist etwas, worauf ich viele Jahre hingearbeitet habe. Dort zu sein und für die künstlerische Idee zu arbeiten, ist natürlich ein außergewöhnliches Projekt“, so der Komponist und er führt weiter aus: „Ich möchte mich als Komponist einreihen in die vielen, die sagen: So wie es läuft, kann es nicht weitergehen. Wir können nicht gedankenlos einfach an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen.“

Hendrik Vestmanns Sichtweise auf dieses Werk war glasklar, instrumental unverkrampft und dennoch höchst akkurat. Ihm gelang es hervorragend, die Fragmentierung der polyphonen Strukturen als musikalische Geschlossenheit vorzustellen. Hendrik Vestmann vollzog eine orchestrale Kernspaltung von Daniel Michael Kaisers Klangskulptur aus orchestralen Klängen und Tonaufnahmen von Schritten im Schnee, schmelzendem Wasser, krachenden Eisschollen. Im minuziösen Nachforschen auch der kleinsten klanglichen Zusammenhänge offenbarte sich ein verschlüsselter Trauerkosmos einer vielleicht bald nicht mehr vorhandenen Umwelt, von der wir ein Teil sind, wobei in den atomisierten Klangpartikeln eine die Trauer überwindende Transzendenz hörbar wurde. So wurden die Eigenheiten dieser Art des Komponierens, die sowohl negatives wie positives verbindet, in der Tat nachvollziehbar. Kaisers Musik öffnet nicht nur die Ohren, macht emotional betroffen und regt zum Nachdenken an. Es gibt von Friedrich Hölderlin die wunderschöne Metapher „heilig-nüchtern“ – auf dieses Werk trifft sie zu.

„Rain Tree“ von Tôru Takemitsu

Im Umgang mit zeitgenössischer Musik gibt es mindestens zwei Arten von Schwierigkeiten, die man auseinanderhalten sollte. Einmal die technischen, die aus einer zunehmenden Spezialisierung erwachsen und damit immer höhere Anforderungen an das artistische Vermögen der Interpreten stellt. Sie tendiert damit zur Überbietung des romantisch Virtuosen. Eine profund andere Art von Schwierigkeit betrifft die Abkehr von geläufigen Formen der musikalischen Grammatik und ein nach gänzlich anderen Prämissen sich zusammenfügendes Klanggeschehen. Wiederholungen von Grundformeln, äußerst reduzierte harmonische Entwicklung, eine Musik voller Statik, meditativer und höchst filigraner Ton-Gebilde, die eine archaische Weite und Großzügigkeit beschwören. Das Schlagzeugtrio „Rain Tree“ von Tôru Takemitsu bringt beide Aspekte zur Synthese. Hintergrund dieser Komposition aus dem Jahre 1981 ist die Struktur eines „Regenbaumes“ verbunden mit dem ewigen Kreislauf des Wassers. Andreas Heuwagen (Vibraphon), Philipp Arndt und Moritz Weller (Schlagzeug) realisierten eine von suggestiver Kraft beherrschte fast somnambule hyperaktive Interpretation.

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