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Wolfgang Katschner und Gyula Orendt. Foto: Marcus Lieberenz
Wolfgang Katschner und Gyula Orendt. Foto: Marcus Lieberenz
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Klingender Frühlingsanfang

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Das Aequinox-Festival im brandenburgischen Neuruppin verbindet Alte Musik mit neuen Konzertformaten. Antje Rößler berichtet.

Neuruppin ist bekannt als Geburtsort von Theodor Fontane. Die einstige Garnisonsstadt, die sich an das Ufer des Ruppiner Sees schmiegt, beherbergt seit sieben Jahren ein Festival für Alte Musik. Es findet Ende März während Aequinox, der astronomischen Konstellation der Tag- und Nachtgleiche, statt, die den Frühlingsanfang markiert.

„Der Name Aequinox ist auch Programm“, meint der Lautenist Wolfgang Katschner, künstlerischer Leiter des Festivals und Chef des Alte-Musik-Ensembles Lautten Compagney, das einen Großteil der Aequinox-Konzerte gestaltet. „Im Mittelalter gab es zum Phänomen der Tag- und Nachtgleiche allerhand philosophische Ausdeutungen, die sich um Ideen des Ausgleichs drehten“, so Katschner. „Auch mit unserem Festival wollen wir eine Balance zwischen den Stilen und Spielorten finden.“

Dementsprechend wendet sich das Festival nicht in erster Linie an die Nerds der historischen Aufführungspraxis, die mit spitzen Ohren die Durchführung der Triller überwachen. Vielmehr soll mit kurzweiligen und genre-übergreifenden Programmen auch die ortsansässige Bevölkerung einbezogen werden.

So trat beim Eröffnungskonzert der Klarinettist David Orlowsky auf, der von Klezmer bis zu Jazz alles Mögliche spielt – aber bislang keine Alte Musik. Dass er nun in der Neuruppiner Kulturkirche mit Opern-Arrangements des englischen Barockkomponisten Henry Purcell zu hören war, stellte eine wirkliche Premiere dar.

Die Lautten Compagney spielte die eigentümlich schwebende, herzerwärmende Musik Purcells mit großem Schwung und Farbenreichtum. Orlowsky reizte nicht etwa den tragfähigen Sound seiner modernen Klarinette aus, um die sanftmütigen historischen Streich- und Zupfinstrumente an die Wand zu spielen; vielmehr fügte sich die Klarinette warm und geschmeidig in das Ensemble ein. In ihrer ursprünglichen Fassung, mit Gesang, wird die Lautten Compagney die Opernmusik Purcells am 30. Juni beim Rheingau Musikfestival spielen. Das Ensemble begleitet dort Dorothee Mields.

Ins frühbarocke Italien führte die „Lange Nacht der Oper“, in deren Mittelpunkt Monteverdis „L’Orfeo“ stand. Dass die Geschichte um Orpheus und Eurydike hier konzertant über die Bühne ging, machte sich nicht als Mangel bemerkbar, da der Bariton Gyula Orendt – Ensemble-Mitglied der Berliner Staatsoper – die Titelpartie ausgesprochen leidenschaftlich und glutvoll anging.

Ebenso expressiv erklang die von Wolfgang Katschner angeführte Lautten Compagney, die durch den Wandel der Besetzung die Stationen der Handlung deutlich markierte: Streicher verbreiteten die lichte Heiterkeit irdischer Gefilde. Röhrende historische Posaunen und der nasale Zink begleiteten Orfeo in die Unterwelt. Infrage stellen konnte man bei dieser eindringlichen Interpretation höchstens das Finale. Wolfgang Katschner hatte das „Halleluja“ aus Monteverdis „Marienvesper“ an den Abschluss gestellt, was den griechischen Mythos in einen befremdlichen christlichen Kontext stellt. Am 12. Juni wird die Lautten Compagney die Monteverdi-Oper im Rahmen der Nürnberger Orgelwoche aufführen.

Während des dreitägigen Festivals lernt man Neuruppin von verschiedenen Seiten kennen. Einen intimen Konzertrahmen bietet die spätgotische Siechenhauskapelle inmitten des kleinen Altstadtviertels, das der große Brand von 1787 übrig ließ. Hier gab der Gitarrist Silvio Schneider ein Nachtkonzert zwischen Pop und Jazz.

Außerdem bespielt Aequinox regelmäßig den einstigen Kornspeicher Neumühle, der heute ein Antiquitäten-Lager beherbergt. Das Publikum sitzt dort auf gedrechselten Stühlen und samtenen Sofas inmitten altertümlicher Schränke und Spiegel.

Aufgeführt wurde hier eine eigenwillige und ziemlich schlüpfrige Bearbeitung von Cervantes’ „Don Quijote“: Die Ereignisse wurden in dieser musikalischen Lesung aus Sicht von Rosinante, der Stute des Ritters, geschildert.

Dem alten Klepper lieh Mechthild Großmann ihre herbe und überaus wandlungsfähige Stimme. Anders als in ihrer Rolle als Münsteraner „Tatort“-Staatsanwältin durfte die Schauspielerin hier ihre komische Ader ausleben. Während Don Quijote und sein alkoholisierter Knappe Sancho Pansa gegen Windmühlen und Hammelherden ins Feld ziehen, träumt die Stute von galizischen Hengsten. „Meine Nüstern sind lüstern“, knurrt Mechthild Großmann und rauft sich den üppigen Haarschopf.

Zwischendurch spielte die Lautten Compagney in Quintettbesetzung alte spanische Tänze, was zugleich einen Vorgeschmack auf das Herbst-Aequinox bot: Am 24. September findet eine Tanznacht statt, bei der sich das Publikum unter fachkundiger Anleitung das Tanzbein schwingen kann.

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