Hauptbild
Laika-Plakat. Holland Festival
Laika-Plakat. Holland Festival
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Köchelnd, dämpfelnd, dümpelnd – Uraufführung von Martijn Paddings „Laika” eröffnet das Holland Festival

Publikationsdatum
Body

Der niederländische Schriftsteller P. F. Thomése und der Amsterdamer Komponist Martijn Padding setzten Laika ein Denkmal – einem der berühmtesten Tiere der Weltgeschichte. Der Hündin, die im November 1957 im Zuge der sowjetischen Mission „Sputnik 2“ in den Erdorbit geschossen wurde und einige Stunden später an Bord der etwas zu warm gewordenen Raumkapsel verendete, kehrt 2014 als Kunst-Objekt ins Bewusstsein des Publikums zurück.

Ihrer wurde kürzlich im Kontext der gewaltigen Installation von Ilja und Emilia Kabakov gedacht, die derzeit im Grand Palais an den Champs Elysées gezeigt wird. Der Straßenköter, für dessen Rückkehr zu Erde ohnedies keine Vorkehrungen getroffen worden waren, ist nun zusammen mit einem holländischen TV-Moderator und dem Kosmonauten Yuri Gagarin Heldin eines neuen Musiktheaterstück geworden, mit dem das Holland Festival in der Amsterdamer Stadsschouwburg eröffnet wurde.

Immer wieder lockt der Griff zu den Sternen – bestimmte auserwählte Bevölkerungsgruppen oder ganze Nationen. Auch einzelne Menschen, deren Leistungen dann später in Kompendien wie „Sternstunden der Menschheit” hymnisch gelobt werden. Der Komponist Martijn Padding, Professor am Konservatorium im Haag, wagt diesen kühnen Griff ebenfalls – zusammen mit dem Schriftsteller P.F. Thomése. Die beiden spüren den Ambitionen des Fernsehmoderators Robbert nach. Der will sein als unzulänglich empfundenes irdisches Dasein hinter beziehungsweise unter sich lassen. Der TV-Regional-Star fühlt sich von der Arbeit überfordert und hasst das auf ihn gerichtete öffentliche Interesse. Vor allem setzt ihm zu, dass er von zwei Frauen dominiert wird: von der Mutter, bei der er immer noch wohnt, und von der leitenden Redakteurin, die – Abgrund des holländischen Humors – Trix Dominatrix genannt wurde. Um den Abgang nach oben vorzubereiten, versucht Robbert, mit der verdampften oder vielleicht auch gefriergetrockneten Laika zu kommunizieren und mit dem ebenfalls durch einen Unfall aus dem aktiven Berufsleben geschiedenen Kosmonauten Yuri Gagarin. Zu ihnen zieht es ihn hin. Und irgendwie erreicht er auch sein Ziel (doch fragt mich nur nicht wie).

Aernout Mik vertrat in den 90er Jahren die Niederlande bei der Biennale in Venedig und ist inzwischen in sehr feine Museen aufgerückt. Er debütierte im Neuen Auditorium der Amsterdamer Stadsschouwburg als Opernregisseur. Auch für die Ausstattung war er verantwortlich und ließ mit großem Kostenaufwand ein veritables Fernsehstudio installieren, wie es für Talkshows mit größerem Publikumsandrang üblich ist. Das erscheint insofern angemessen, als der von mehr oder minder heiteren Banalitäten aufgefütterte Thomése-Text zu großen Teilen in einem solchen Studio spielt. Die Personenführung weist Mängel auf, die allenthalben bei den aus dem Showgeschäft kommenden Quereinsteigern in den Opernbetrieb zu beklagen sind. Insbesondere bleibt die Personenführung dilatorisch. Das heißt: Es wird vor allem gestanden, gesessen und gelegen, ohne dass die Akteure etwas mit ihren Armen, Händen, Beinen und Bäuchen anzufangen wüssten. Am esoterischen Ende stellt sich immerhin ein einprägsames Bild ein: Nachbildungen des Baumstammbassisten Dennis Wilgenhof, der die Gagarin-Partie bestreitet, und des Kindersoprans, der Laika die Stimme verleiht, hängen an einem hohen Mast in der Mitte der Spielfläche; der lebensmüde Robbert steigt auf einer Leiter zu ihnen auf, um befreit zu sein von der Schwerkraft (nl.: zwaartekracht).

Martijn Padding, geboren 1956 in Amsterdam und Schüler des dortigen Groß- und Altmeisters Louis Andriessen, sorgte für einen mitunter bieder wie Rohkost wirkenden, dann wieder auf bewährte Weise schwelgenden Tonsatz, der an eine Eintopf-Masse denken lässt, die vor sich hin köchelt, dämpfelt und dümpelt. Die Partitur orientierte sich an Benjamin Britten und den jungen Russen der 1920er Jahre, an Minimal und Fellini-Filmmusik (da prunkt noch einmal die gestopfte Trompete mit schönnostalgischem Solo). Auch andere „Klassik“-Zitate (bis hin zu Leporellos „mille e tre“) werden in Anschlag gebracht und eine Schlagzeug-Einlage auf den Kochtöpfen der mobilen Kücheneinheit von TV-Koch Riccardo. Die Ernte aus allerlei im 20. Jahrhundert Zusammengeklaubten ist technisch gesehen reichhaltig. Doch verfügt Padding nicht über das, was eine charakteristische Handschrift genannt werden könnte.

Schon in den letzten Jahren ging es bei den neuen Musiktheaterwerken des Holland-Festivals bevorzugt um „Life after Life“. Auch heuer wieder. Man hoffte vielleicht bis zum dritten der vier länglichen Akte, der Abend möge noch ins Ironische, Sarkastische oder gar Polemische kippen. Doch Fehlanzeige! Padding meinte es so esoterisch ernst wie der Librettist. Ein wenig humoristische Betrachtung des kollegialen Konkurrenzverhaltens bei Fernseh-Produktionen knüpft noch lange nicht an der guten Tradition einer scharf gewürzten Buffo-Oper an, wie sie zum Beispiel 1994 mit Guus Janssens religionskritischem „Noach” beim Holland-Festival brillierte oder 2000 mit Janssens „Hier“ (über ein neues goldenes Zeitalter, das dank eines schier unerschöpflichen und kriminellen Organtransplantationssystems in Amsterdam anbricht). Mit „Laika“ ist die Hinwendung zu einer neuen Gefühligkeit intendiert, aus deren Schoß nichts Gutes kriecht.

In technischer Hinsicht verlangen die Partien eine ganze Menge von Thomas Oliemans (dem vom Leben und sich selbst gebeutelten Robbert) wie von den Frauen um in her – von Helena Rasker (sie singt die mit souverän-matriarchalischem Mezzosopran sich einmischenden Mutter), Claron MacFadden (sie verkörpert die mehr als selbstbewusste und doch auch sensibel nachdenkende Redakteurin Trix mit dramatischem Sopran) und Marieke Steenhoek. Sie ist die wirklich energisch zur Sache gehende Konkurrentin. Fernsehkoch Marcel Beekman hat hingegen eine undankbar komödiantische Partie durchzustehen. Bei allem Respekt vor den anspruchsvollen Gesangsleistungen und dem stilistisch wendigen Agieren des Asko/Schönberg-Ensembles unter Etienne Siebens – die große vieraktige Oper mit läppischem Sujet ist künstlerisch nicht ernsthaft diskutabel. Und zum Himmelfahrtsfest kam sie einfach ein paar Tage zu spät.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!