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Ensemble. Foto: Bernd Uhlig
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Komisches Geplänkel zum Tag der Deutschen Einheit

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Derniere: „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Staatsoper Berlin in der Regie von Andrea Moses.

Die Neuinszenierung der einzigen komischen Oper im Spätwerk Richard Wagners, „Die Meistersinger von Nürnberg“, lieferte an der Staatsoper im Schillertheater, einer Idee des Generalmusikdirektors Daniel Barenboim folgend, bei der Premiere eine Novität in der Aufführungsgeschichte: sie war auf zwei Tage verteilt; der erste und der zweite Aufzug waren am 3. Oktober bis rund um Mitternacht zu erleben, der dritte Aufzug am nachfolgenden Vormittag. Nach einer kurzen Serie von Aufführungen mit „alle[n] drei Akte[n] am Stück“ (Ankündigung der Staatsoper), die optisch mit allerlei Deutschland-Fahnen und –Schärpen auf das Premierendatum verwiesen, erntete die ausverkaufte Derniere (an einem Donnerstag von17 bis kurz nach 23 Uhr) viel Applaus und Bravorufe.

Noch vor Verdunkelung des Zuschauerraums betreten Solisten und Chor aus dem Auditorium die Bühne, die zunächst wie ein kleiner Plenarsaal aussieht. Sie begrüßen sich individuell, und auch der Dirigent mischt sich darunter, nimmt Platz, scheinbar vergessend, dass er ja am Pult der Staatskapelle erwartet wird.

Schön ist es, die Gefühle der ins Orchester blickenden alten Gesangskoryphäen, die allesamt in dieser Oper früher einmal Hauptpartien verkörpert haben, zu beobachten: Siegfried Jerusalem als Balthasar Zorn, der über achtzigjährige Franz Mazura als Hans Schwarz am Krückstock, Olaf Bär als Hans Foltz, Reiner Goldberg als zunächst Turban tragender Gewürzkrämer Ulrich Eisslinger und Graham Clark als Kunz Vogelgesang.

Für den Einsatz des Chorals drehen sich dann alle Sänger nach hinten, wo die Deutschlandfahne gegen ein schlichtes Kreuz ausgetauscht wurde. Der zweite Akt spielt auf den Hochhaus-Flachdächern eines fiktiven, modernen Nürnberg, mit Leuchtschriften der Geschäftshäuser von Pogner und Sachs sowie der Nürnberger Versicherung. Hier bauen die Meister Hanf an, der ihnen offenbar Inspiration für ihre Dicht- und Sangeskunst liefert: Pogner gießt die verbotenen Pflanzen und Sachs schneidet deren Blätter ab, die er als Zigaretten raucht. Der zigarettenrauchende Sachs erscheint dabei als Referenz an die Inszenierung von Katharina Wagner. Wie schon bei deren Onkel Wieland Wagner, agieren am Anfang des zweiten Aktes die Lehrproben mit Bierflaschen, in der Ausstattung von Jan Pappelbaum (Bühne) und Adriana Braga Peretzki (Kostüme) als Punks mit Irokesen-Schnitt. Beckmesser (Markus Werba, den Belcanto-Stil ironisierend) zieht für sein nächtliches Ständchen ein Pluderhosenkostüm aus dem mitgeführten Karton eines Theater-Verleihs an. Der Nachtwächter (Jan Martiník) ist ein Schärflein sammelnder Pastor, möglicherweise Martin Luther selbst, der Sachs' Gedicht von der „Wittenbergisch Nachtigall“ vor dem „Wach-auf“-Chor an das Volk verteilt.

Im ersten Aufzug erfolgt in der Inszenierung von Andrea Moses sehr viel addiertes Leerlaufspiel (als Theaterterminus: „stumme Jule“ genannt), was gerade bei Wagner unangebracht ist, zumal der Komponist in dieser Partitur zahlreiche Stimmenverläufe synchron übereinanderschichtet. Erst die gut gearbeitete Schusterstube erfreut durch intensive, gelebte Interaktionen. Insbesondere die Personenführung des erfrischend skurril bis rüpelhaft gezeichneten Hans Sachs entschädigt für so manches überflüssige Mätzchen, wie den hinter einem mittelalterlichen Gemälde versteckten Flachbildschirm. Sachs begrapscht Evas Schenkel und küsst sie in jenem Moment, als Stolzing eintritt, gerade leidenschaftlich. Walther von Stolzing reagiert dann entsprechend eifersüchtig.

Mit betont komischer Ausgelassenheit bemüht sich Moses’ Regie, die insbesondere in Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung herausgearbeitete politische Rezeption der Opernhandlung auszuklammern. Doch dann fällt die Ohrfeige bei der Erhebung Davids zum Gesellen blutig aus. Nachdem im zweiten Finale ein Rabbiner kopfschüttelnd die Bühne überquert hatte, werden bei Sachs' Schlussansprache vor der Kulisse des umstrittenen Berliner Wiederaufbau-Schlosses im Hintergrund Neonazi-Fahnen geschwungen.

In seiner Werkeinführung hatte Dramaturg Jens Schroth korrekt darauf hingewiesen, dass Wagner die fatal antiwelschen Verse erst spät, auf Drängen seiner Gattin Cosima, eingefügt hat: Linguistisch, musikästhetisch und formal hat Wagner diesen Einschub als potenziellen Strich konzipiert (Vgl. Walter Keller: Die schwache Stunde kommt für jeden. In Ders.: Parsifal-Variationen. Tutzing 1979, S. 131). Auch an der Staatsoper wäre die von Richard Wagner intendierte Eliminierung dieser Verse, die Kürzung direkt von „Was wollt ihr von den Meistern mehr?“ auf „Drum sag’ ich euch“ – wie sie in Berlin zuletzt im Sommer 2000 bei der in Arte TV übertragenen Festwiese auf dem Gendarmenmarkt realisiert wurde – das fraglos probatere Mittel gewesen.

Schwarz-rot-goldene Luftballons zur Festwiese. Die Fanfarenbläser, in bayerischen Lederhosen, sind offenbar ebenso in Berlin zu Besuch, wie die auf dem Kanal per Schiff aufsteigenden Zunftchöre und Mädeln aus Fürth.

Dass Hans Sachs den Hans Schwarz mit seinem persönlichen Vornamen Franz (Mazura) anspricht, bleibt eine eingeschobene Fremdzelle, möglicherweise gedacht als Reminiszenz an die verbalen Injektiven in Peter Konwitschnys Hamburger Inszenierung.

Gesungen und musiziert wird auf sehr hohen Niveau. Doch der Umgang mit Wagners Partitur ist recht freizügig: am Ende der ersten Ansprache des Schustermeisters in der Singschul’ setzen die anderen Meister in dessen häufig gebrauchten Endreim „(mein ich,) Hans Sachs“ genervt mit ein. Ebenso singen die Meister am Ende jeder Phrase von Kothners Vortrag der Tabulatur mit. Einmal repetiert sogar Stolzing, der dafür aber von den Meistern gemaßregelt wird.

Rhythmisch klappert es bisweilen zwischen Bühne und Graben. Unter den Sängerdarstellern gefallen am besten Wolfgang Koch als souveräner Hans Sachs und Kwangchul Youn als stimmgewaltiger Veit Pogner, sowie Julia Kleiter als leidenschaftlich aufbegehrende Eva und Anna Lapkovskaja als stimmschöne Magdalene. Frühzeitig gesellenhaft Stephan Rügamer als zumeist kauender Sachs-Lehrbube David. Klaus Florian Vogt als stimmlich schlank gestaltender Walther von Stolzing ist in der Mittellage erfreulich gewachsen. Nachdem er bei seiner ersten Antwort in der Singschul’ in eine falsche Textschlaufe geraten war, dominierte er beim Abgesang seines ersten Werbeliedes auf dem Souffleurkasten. Im zweiten Akt charakterisiert er den Spruch Pogners, „ein Meistersinger muss es sein“ in der Farbe des Bassisten, verlor dabei aber prompt das Tempo.

Mit ungewöhnlichen Zäsuren im Preislied Walther von Stolzings verblüfft Dirigent Daniel Barenboim, der so offenbar den Schritt von der Schusterstuben-Fassung zur endgültigen Version verdeutlichen will und auf diese Weise dem Zuhörer die von Wagner für die gesamte Partitur formbildend durchgeführte Barform an einem Teil-Beispiel verdeutlicht. Gyula Orendt (Konrad Nachtigall), Jürgen Linn (Fritz Kothner), Paul O’Neill (Augustin Moser) und Arttu Kataja (Hermann Ortel) fügen sich als „jüngere“ Meister gut ins Ensemble. Stimmlich kraftvoll singen die von Martin Wright einstudierten Chöre.

Im Großen setzt Barenboim auf opulenten Klang, mit leuchtendem Blech und satten Streichern. Zum musikalischen Höhepunkt des Abends gerät ihm das Vorspiel zum dritten Aufzug – als Idee der Reformation im Sinne einer beispielgebenden, stetig nötigen Veränderung im weltweit herrschenden Wahn(sinn).

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