„Clash!“ war die 71. Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung überschrieben. Das Motto der viertägigen Tagung mit Konzerten, Workshops, Vorträgen und Diskussionen, die in der Akademie für Tonkunst alle Altersgruppen vom Grundschulalter an musikalisch, spielerisch und philosophisch ansprach, zielte auf den Zusammenprall von Generationen, Kulturen und (nicht nur hybriden) Identitäten im Spiegel nicht-kommerzieller zeitgenössischer Musik.
Wieviel Gegenwartsbezug Neue Musik braucht und wieviel sie vertragen kann, fragte Jörn-Peter Hiekel in seinem Eröffnungsvortrag und trat damit eine lebhafte Debatte über autonome Kunst und darüber los und wie sie von der absoluten Musik zu trennen sei, auf die einschlägige Online-Nachschlagewerke fälschlicherweise in ihrem Zusammenhang verweiesen.
Kontroversen sind fruchtbar. Aber die eigentlichen Knaller dieser Tagung lagen wieder einmal im inneren „Clash“ der eigenen Erwartungshaltungen mit den wie eh und je horizonterweiternden Erlebnissen dieser Tagung, beginnend mit dem eröffnenden Gesprächskonzert von Vincent Royer. Der in Straßburg geborene und in Köln lehrende Bratscher hatte sich Kompositionen von Außenseitern der Neuen Musik im wahrsten Sinne des Wortes „zu Eigen gemacht“. So zelebrierte er aufs Virtuoseste die mikrotonalen Polyphonien in Giacinto Scelsis Manto I, II und III, zugleich spielend, singend und mit so ausdifferenzierter perkussiver Fußarbeit, als wäre er, ganz im Sinne des Komponisten, ein Medium außerirdischer Mächte.
Die folgenden „Intimate Rituals XI“ Op. 63 (2003) von Horatiu Radulescu waren Vincent Royer in ebenso spürbar enger Zusammenarbeit auf den Leib geschrieben wie die Viola-Fassung der „17 Miyagi Haikus“ (2011/17) von Sandeep Bhagwati, deren Uraufführung den Abschluss dieses Konzertes bildete. In allen drei Kompositionen ging die Klanglichkeit weit über die Möglichkeiten einer Verschlüsselung in traditionell lesbarer Notation hinaus. Nach dem Konzert wurde Royer nicht müde, den auf ihn Zuströmenden die Obertonreihen vorzuführen, mit denen Horatiu Radulescu in den ihm gewidmeten Intimate Rituals arbeitet: Naturtrompeten arbeiten mit 16 Obertönen, Radulescu mit bis zu 80. Bei Royers Vorführungen zählte man nach einiger Zeit nicht mehr mit, sondern staunte nur noch, dass man sie tatsächlich hörte und zwingend als „harmonisch“ erkannte.
Wem nach diesen Erlebnissen noch am kommenden Morgen der Kopf schwirrte, der konnte bei Stefan Hladek Alexandertechnik erleben und staunen, wie grundlegend anders ein Mensch sich bewegt, wenn man ihm sagt „Steh auf!“, oder wenn er von sich aus den Zeitpunkt bestimmen darf, an dem er sich vom Stuhl erhebt. Nicht nur aus den Erlebnissen des Vorabendkonzerts befand man, dass es sich bei Musikern ähnlich verhält: Seien sie Blattspieler oder Improvisatoren, Orchestermitglieder, die ihrem Dirigenten folgen oder Ausnahmemusiker, die ihren Part so gründlich durchdrungen haben, dass sie ihn aus eigenem Antrieb so spielen können, als hätten sie ihn selbst komponiert. Oder Solisten wie Vincent Royer oder der weiter unten erwähnte William Forman, deren Part in enger Zusammenarbeit mit einem Komponisten entstanden ist.
Im abendlichen Konzert des Ensemble Mosaik sorgte „Fremdarbeit“ (2009) von Johannes Kreidler, der in dieser Aufführung auch als Moderator auftrat, für Konfliktstoff (– nicht nur bei anwesenden Chinesen): Der Konzept- und Medienkünstler erzählt darin die Geschichte einer Auftragskomposition. Der Komponist soll dafür eine Summe bekommen, die, wie üblich, in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand steht. So beschließt er, die Arbeit an Subunternehmer in Billiglohnländern zu vergeben. Zunächst verpflichtet er einen Komponisten in China, der sich auf das Plagiieren verschiedener westlicher Komponisten spezialisiert hat. Neue Musik war diesem Auftragnehmer noch nicht untergekommen. Aber was tut man nicht alles für Geld? Das Resultat klingt zumindest nicht übermäßig konventionell und genügt damit dem Zweck. Aber es geht noch billiger. Ein Audio-Programmierer in Indien analysiert die Merkmale der Komposition, die an diesem Abend gleichsam als erster Satz über Lautsprecher erklungen war und synthetisiert quasi einen dritten Satz. Das Resultat macht ohrenfällig, dass es ohne kompositorisches Know-how nicht geht. Also lässt Kreidlers lyrisches Ich den Inder für den vierten Satz ein Kompositionsprogramm entwickeln, das er an Komponisten weiterverkaufen kann – unter anderem an Kreidlers Subunternehmer in China.
„Ich bin eine strickende Oma“, bekannte Sergej Newski im Hinblick auf Bernhard Langs Spott über Komponisten-Kollegen, die ihre Partituren noch von Hand entwerfen, während Sandeep Bhagwati für sich entschieden hat: „Ich will in erster Linie mit wunderbaren Persönlichkeiten zusammenarbeiten.“ Damit meint er vor allem seine Interpreten. Unter anderem den oben bereits erwähnten Vincent Royer.
Im Abschlusskonzert des Ensemble Modern begeisterte die von Heiner Goebbels selbst angefertigte Trio-Bearbeitung seines „Surrogate“. Uwe Dierksen übernahm darin die Doppelrolle von Posaunist und jenem Sprecher, der melodramatisch in die Runde fragt, warum die junge Frau in Hugo Hamiltons Roman wohl rennt und ob sie nicht vielleicht vor genau dem wegrennt, wonach ihr im Grunde der Sinn steht. In „Ja-Nári“ (mein verbranntes Herz) von Samir Odeh-Tamimi über die palästinensische Redewendung vom schmerzgeborenen wachen Blick erreichten Sava Stoianov (Trompete), Saar Berger (Horn), Uwe Dierksen (Bassposaune) und Schlagzeuger Rainer Römer eine archaisch-zwingende, brennend intensive Klanglichkeit. Den Höhepunkt des Abends bescherte Trompeter William Forman im Solostück „iv 6“ von Mark Andre. Das Stück gehört zu einer Serie von Kompositionen, die die Problematik der Introvertiertheit thematisieren. Es ist William Forman gewidmet und in enger Zusammenarbeit mit ihm entstanden. Der Widmungsträger entfaltete einen klanglichen Makrokosmos an der Wahrnehmungsschwelle und darin einen ungeheuren Sog.