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Komponist meuchelt Kritiker

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„Number Nine“ und „Sinfonie 999“ von Moritz Eggert beim Beethovenfest Bonn
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Mittendrin wird’s blutig, spaßeshalber, versteht sich. Der Komponist (Moritz Eggert) ist der ewigen Nörgeleien des Kritikers (Axel Brüggemann) überdrüssig. Wutentbrannt zerrt er ihn von der Bühne des Bonner Opernhauses und schleift ihn hinaus ins Treppenhaus. Die makabre Fortsetzung erlebt das Publikum drinnen im Saal als Video. Der Komponist trägt jetzt Metzgerschürze, greift mit lustvollem Blick zu einem riesigen Messer und meuchelt den Kritiker. Damit nicht genug. Dessen Gehirn, das immer wieder Forderungen nach gesellschaftlicher Relevanz und künstlerischer Qualität ausbrütet, ist schließlich das Problem. Eggert setzt das Messer an, holt mit satanischem Grinsen des Kritikers Denkorgan heraus und stopft eigene Skizzen in den entstandenen Leerraum. Nun kehrt wieder Leben in den Kritikerkörper, mit dem Unterschied, dass er nun Eggerts Musik mag.

Wer das umfangreiche Œuvre des 56-jährigen Komponisten auch nur flüchtig durchstöbert, erkennt sofort, dass die Lust am Sarkasmus, am Burlesken, an der Ironie, eine Grundströmung seines Schaffens bildet. So auch in „Number Nine“, einem Auftragswerk für das Beethoven-Jubiläum in Bonn 2020, das nun, mit zwei Jahren Verspätung, seine Uraufführung erfuhr. Das Opus handelt von einem Komponisten (Moritz Eggert spielt sich selbst), der hin- und hergerissen ist zwischen den Erwartungen des Publikums, den Nörgeleien der Kritik und dem eigenen Schaffensdrang. Zweiter Hauptdarsteller: der Musikjournalist Axel Brüggemann, bekannt unter anderem durch seinen Podcast „Alles klar, Klassik?“ Auch er spielt sich selbst und agiert zugleich, wie auch Eggert, stellvertretend für seine Zunft.

Im Stück sind die beiden Antipoden, im wirklichen Leben teilen sie die Skepsis gegenüber üblichen Klassikritualen. Wobei Brüggemann seine Kritik (sehr) sanft verpackt, während Eggert mit scharfen Worten oft nicht hinter dem Berg hält. Berüchtigt ist seine Hasstirade gegenüber dem oscargekrönten Filmmusikkomponisten Hans Zimmer. Dessen Schwelgereien in Mollseptakkorden lösen bei Eggert, wie er einmal bekannte, regelrechten Übel aus. Statt klanglichem Einheitsbrei liebt Eggert die Kontraste. Wie in der „Sinfonie 999“, genannt „Die Bönnsche“, mit der das Konzert beim Bonner Beethovenfest eröffnet wurde. Hier bringt er ein fröhliches Miteinander verschiedenster Klangkulturen auf die Bühne: ein Streichquartett, die Mundart-Band „Jedöns“, das integrative „Kültürklüngel Orkestar“ und das Akkordeon-Orchester Wesseling. Alle spielen mit- und gegeneinander, auf der Bühne, in der Seitenloge, schrill und schräg. Lustig das Ganze, wohl auch der Versuch, das Beethovenfestmotto „Alle Menschen“ umzusetzen, aber doch ein wenig plakativ.

Zurück zu „Number Nine“. Es handelt sich dabei um den neunten Teil eines Zyklus, der ebenfalls „Number Nine“ heißt. Schwer zu sagen, um was es sich eigentlich handelt. Um ein weltliches Oratorium? Eine Revue mit autobiografischen Zügen? Eine Kette aus musikalisch-szenischen Gags? Unterhaltsam wurde es auf jeden Fall, burlesk und bizarr, manchmal auch klamaukig und albern. Geschrieben ist das Ganze für „großes Orchester, Chor, 6 Akteure, Musikjournalisten und singenden Komponisten.“ Moritz Eggert, der als Komponist ein stilistischer Tausendsassa ist, bedient sich nach Herzenslust in verschiedensten Genres: Videoblog, Schlager, Jazz, spätromantischer Orchesterklang, Filmmusik, sinfonische Dichtung, Neoklassik und vieles andere mehr. In „Number Nine“ zeigt er sich wieder einmal als Meister der Orches­terbehandlung. Und das Beethovenorchester unter Leitung von Dirk Kaftan holt aus der mal zarten, süffigen, mal kernigen oder ins Opulente gesteigerten Musik das Beste heraus. Auch die Kölner Kartäuserkantorei bietet exzellenten Chorgesang. Eggert steigt mit einer Art Rückblende ein (der lange Weg vom Auftrag bis zur Aufführung). Die Zwänge des Kulturbetriebs beschwört er mit dem Bass-Rezitativ aus dem Finale von Beethovens 9., dem er die Namen von Sponsoren unterlegt („Dem Verdienste seine Kronen“).

Der notorisch unzufriedene Kritiker stichelt derweil aus dem Off und sagt gelangweilt voraus, was kommen wird. Der leibhaftige Brüggemann philosophiert über Relevanz von Musik und illustriert das mit Auszügen aus der Oper „Wieland, der Schmied“. Komponist: Adolf Hitler. Kurzer Moment der Nachdenklichkeit. Ein Streitgespräch auf dem Sofa zwischen Eggert und Brüggemann endet in oben beschriebenem Splatter-Eklat. Später probt Eggert des Komponisten Flucht aus dem Elfenbeinturm: in aufdringlich blumenbedrucktem Jackett singt er Frank Sinatras „You and me“ (mit Auszügen aus Beethovens Brief an die unsterbliche Geliebte), als Schlagerfuzzi (mit dem beklemmenden „Hoy, Hoy, Hoyerswerda“) biedert er sich noch weiter ans Publikum an. Im Orchester schüttelt man bunte Pompons, der Videoscreen zeigt Plattencover klassischer Musik mit spärlich bekleideten Frauen. „Sex sells“ als Lösung für Klassikkrise?

Meint Eggert natürlich nicht ernst. Das Motto des Schlussteils, „Alle Menschen werden Brüder“, dementieren Fotos aus zerstörten ukrainischen Städten (was FAZ-Kritiker Patrick Bahners „geschmacklos“ nannte), eine düstere Bassposaune mischt sich mit sphärischen Klängen des Chores, das Motiv der Beethovenschen „Freudenmelodie“ wendet sich von Dur nach Moll, eine einzelne Trompete repetiert wie unter Zwang ein paar Töne. Dunkelheit – Schluss. Und nun? Wie schreibt Eggert im Programmheft: offene Fragen seien in der Kunst „essentiell“. Klar – man muss nicht alles verstehen. Doch das ständige Relativieren aus Angst vor „Bedeutungshuberei“ führt letztlich in eine seltsam neutralisierte Kunst, die vor lauter Ironisieren, Zitieren, Collagieren und Verfremden ihre Authentizität verliert. Aber das ist auch wieder nur so eine Kritikernörgelei.

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