Trotz der nunmehr 20. Ausgabe ihres Festivals gaben sich die ausrichtenden Sender Deutschlandfunk Kultur und kulturradio vom rbb keiner Retrospektive hin. Wozu auch? Das Berliner Ultraschall hat seit seinem Start zwar einige organisatorische Wandlungen durchgemacht – das vormals über zwei Wochen reichende Programm ist seit 2014 auf fünf Tage kondensiert –, und natürlich liegen die ästhetischen Schwerpunkte heute anders als 1999, als man noch Komponisten wie Matthias Pintscher, Enno Poppe und Stephan Winkler zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Die jungen Wilden“ einladen konnte. Aber im Großen und Ganzen knüpfte man auch dieses Jahr wieder an die Ursprünge an: Ein Spielstätten-Mix aus etablierten Häusern und Off-Szene bot ein multiperspektivisch angelegtes, Themenschwerpunkte aufeinanderschichtendes Programm.
Am offensichtlichsten der Anlasskultur geschuldet zeigte sich die Würdigung Bernd Alois Zimmermanns, dessen 100. Geburtstag im März ansteht. Sein Orchester-Prélude „Photoptosis“, im Auftaktkonzert am 17. Januar vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Heinz Holliger vorgestellt, entpuppte sich prompt als das eindrucksvollste Werk des Abends – 50 Jahre nach seiner Entstehung. Konsequenzen aus der „Kugelgestalt der Zeit“ zogen auch Zimmermanns „Monologe“, am nächsten Tag vom GrauSchumacher Piano Duo unter genüsslichem Unterarm-Einsatz im Heimathafen Neukölln auf die Bühne gebracht. Das ebenfalls vorgestellte, um Live-Elektronik und Zuspiel ergänzte „Key of presence“ von Brigitta Muntendorf ergriff das Publikum jenseits aller oberflächlichen Zeitgeist-Kritik, mit der sich Muntendorfs kompositorischer Ansatz unverständlicherweise zunebelt. Außerdem zollte man in diesem Jahr der sich in immer komplexere Besetzungen verästelnden Ensemblekultur Respekt. Zum Beispiel mit dem Ensemble LUX:NM, bestehend aus Saxofon, Posaune, Akkordeon, Klavier und zwei Violoncelli.
Doch auch solche Instrumentenkombinationen sind nicht vor Langeweile gefeit: Das Konzert bot viel gediegene, auch schlimm schmunzelnde Kost, so dass – ausgerechnet mal wieder – Johannes Kreidlers „Film 2“, eine Art Powerpointpräsentation auf Ecstasy, als rätselhafter Rohdiamant aus ihm hervorstach. Einmal mehr geriet das Festivalprogramm hier mit seiner Verwertung als Sendematerial in Konflikt, denn wie auch Simon Steen-Andersens „Piano Concerto“ wird Kreidlers Werk im Äther, ohne die dazugehörige Videoeinspielung, Bedeutungsebenen einbüßen. Ähnliches gilt für die Zwischentöne in „low poly rose“ von Martin Schüttler, der für das betont leger auf der Bühne erscheinende Trio Catch in seinem Kleiderschrank gewildert hatte.
In puncto Sendetauglichkeit keine Reibungsverluste zeitigten Isabel Mundrys „Sound-Archaeologies“, uraufgeführt ebenfalls von den drei Hamburgerinnen. Im Vorgespräch beschrieb die Komponistin das Auftragswerk des rbb als „bescheidenen Versuch“, und mancher im Publikum mochte ihr beipflichten, als Mundrys Ausdeutung der Besetzung Bassetthorn, Cello und Klavier nach reizvollem Beginn mehr und mehr in eine sehr allgemein gehaltene Klangidiomatik abdriftete. Ihr Verlagskollege Márton Illés schuf da mit der eigens für das Ensemble ascolta geschriebenen Fortsetzung seiner „Rajzok“-Serie weitaus Unterhaltsameres: Pizzicati im Flügelinneren weiteten sich auf den unterschiedlich bearbeiteten Stabspielen zu einem fast schon synthetisch anmutenden Gluckern, Rinnen und Strömen aus, das schließlich im Rauschen zahlreicher Muschel-Chimes mündete.
Als zwiespältige Angelegenheit entpuppten sich die elektronischen Werke im Programm der Gruppe hand werk. Martialisches Rausch-, Noise- und Impuls-Gebratzel von Simon Løffler oder Sergej Maingardt überwältigte zu entsprechender Lightshow, aber der Umgang mit dem Material erfolgte weitgehend ohne dessen Reflektion. Man schien völlig gebannt von dem der Technik innewohnenden Potenzial, und diese Widerspruchslosigkeit rächte sich in futuristischen Kitschanklängen à la „Blade Runner“. Doch trug auch dieses Konzert wie viele weitere zur konstitutiven Buntscheckigkeit von Ultraschall Wesentliches bei.