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Emilio Pomàrico und das Klangforum Wien im Berliner Pierre Boulez Saal. Foto: Peter Adamik
Emilio Pomàrico und das Klangforum Wien im Berliner Pierre Boulez Saal. Foto: Peter Adamik
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Konzertprogramme nur vom Allerfeinsten

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Die Ernst von Siemens Musikstiftung feiert ihr 50-jähriges Jubiläum
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Am ersten Märzwochenende fanden in Berlin im gediegenen Ambiente der 2012 gegründeten Barenboim-Said-Akademie zwei Konzerte statt, mit denen gleich mehrerlei geleistet wurde: das feierliche Begehen eines Jubiläums, die Präsentation einer Reihe teils ikonischer Kompositionen und eine beeindruckende Leistungsschau zweier Spitzen-Ensembles der Neuen Musik. Hinzu kam die programmatisch befeuerte Reflexion jüngerer Musikgeschichte, wie sie von der Ernst von Siemens Musikstiftung seit 1974 wesentlich mitgestaltet wurde und nicht zuletzt die Begegnung eines allerdings nicht sehr zahlreichen zahlenden Publikums mit einer illustren Schar geladener Gäste, darunter viele Komponist*innen, Interpret*innen und Multiplikator*innen des Kulturlebens.

Passend zum Anlass wurde in beiden Konzertprogrammen, jeweils dargeboten von Klangforum Wien und Arditti Quartet, vor allem musikhistorische Rückschau betrieben: So waren insgesamt sieben der seit 1974 ausgezeichneten Hauptpreisträger*innen mit teils bereits historischen Werken vertreten. Hinzu kamen aktuelle Arbeiten von Träger*­innen der seit 1990 an den kompositorischen Nachwuchs verliehenen Förderpreise, darunter eine als Audiocollage musikalisch allzu beiläufig daherkommende Lautsprecher-Installation Christian Masons und – als kleines Give-Away – ein nahezu stummes Klang­kunstobjekt in Gestalt eines Daumenkinos von Lisa Streich. Der Norweger Lars Petter Hagen hielt eine im Ges­tus (wie leider auch akustisch) bescheidene Laudatio, in der er neben dem Dank für die nachhaltige Förderpraxis der Stiftung ganz allgemein verständnisvolles Bewusstsein und Aufmerksamkeit für die „less loud voices“ anmahnte. Seinem Wunsch nach Räumen, in denen wir „listen, learn and grow together“, verlieh er mit einer kleinen, klanglich betörenden und nachdenklich stimmenden Intervention mithilfe seines Smartphones Nachdruck. Die beiden neueren Werke des aus Manchester stammenden Alex Paxton (*1990) und der 1977 in Izmir geborenen, lange in Berlin lebenden Zeynep Gedizlioglu markierten dabei ästhetische Extrempositionen, die in ihrer Gegensätzlichkeit auch das übrige Programm des Wochenendes prägten.

„Hörst du mich?“

Paxton dreht seine Zuhörerschaft mit „Shrimp BIT Babyface“ (2022) in unverfrorener Anlehnung an den sensorischen Overkill im digitalen Zeitalter im wahrsten Sinne durch die Mangel, indem er eine aus Musikfetzen jeglicher Herkunft superdicht gewebte, turbulent-überdrehte Jahrmarktsmusik für kleines Ensemble samt Laptop-Keyboardern schafft. Deren zunächst hoher Unterhaltungswert weicht allerdings bald eher der Anstrengung des Aushaltens. Gedizlioglu hingegen wählt im 2009 vollendeten „Wenn Du mich hörst, klopf zweimal“ für Sopran und Streichquartett zunächst den eindringlichen, konzentriert ruhigen, schön klingenden Ton, mit dem sich die ukrainische Sängerin Christina Daletska – in enger Verschränkung mit an- und abschwellenden Lineaturen samt kleiner dynamischer Stiche des Quartetts – allmählich an den beklemmend aktuellen Wortlaut herantastete: „Hörst Du mich? Wo bist Du? Halte durch!“ Mit diesem elegischen Klagegesang, der nach großem Spannungsbogen schließlich in gemeinsame Flüs­terlaute der Musiker mündet, gelang es der Komponistin, die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit auf ideelle Weise für die Reflexion äußerer Lebenswirklichkeit zu öffnen.

Im von Emilio Pomàrico gewohnt souverän dirigierten Konzert des Klangforum Wien, das sich 1985 auf Initiative Beat Furrers (auch er Hauptpreisträger) formierte und bis heute stets verjüngt hat, fiel die Häufung von Stücken auf, die sich auf hyperaktive Weise einer Art Horror vacui verschrieben haben, wofür Paxtons geradezu klaustrophobische Reflexe auslösendes Hysterienspektakel nur das extremste Beispiel lieferte. Zuvor erklang mit Olga Neuwirths „Vampyrotheone“ (1995) – einem Kontinuum schriller Klangmixturen aus bizarr ineinander verschlungenen Solo- und Ensembleparts – die schmerzlich intensive Beschwörung eines monströsen Tiefseetintenfischs. Es folgte Beat Furrers obsessiv bohrendes, aber dynamisch gezügeltes, nervös wuselndes, dabei erstaunlich transparent gefasstes „linea dell’orizzonte“ (2012), in dem die individuelle Präzision und Virtuosität der Musiker am besten zur Geltung kam.

Extremturbulenzen

Weitere Extremturbulenzen (mit immerhin ruhigem Epilog) entfachte Luciano Berios „Chemin II“ von 1967, dessen Bratschensolo sich als geradezu besinnungslose, auf das Ensemble ausstrahlende Tremolo-Orgie erweist. Die Lust des Solisten (hier Klangforum-Mitglied Paul Beckett) an diesem durch die starke Einbettung ins Gesamtgewebe eher undankbaren Part speist sich dabei vielleicht eher aus dem Wissen um die dem Werk zugrundeliegende „Sequenza VI“ für Viola sola. Wer nun weitere Aktivitäts- und Intensitätssteigerungen nicht für möglich hielt, sah sich getäuscht. Das Hölderlin-inspirierte „Jahrlang ins Ungewisse hinab“ (1997) des kürzlich verstorbenen Nestors österreichischer Gegenwartsmusik Friedrich Cerha brach mit apokalyptischen Fanfaren über das Publikum herein, um sich zunächst aus stiller Tristesse vorantastend, dann mittels immer höher anbrandender Klangwogen zu schier symphonischer Wucht aufzuschaukeln. Die zu ungemein plastischem Verlauf geronnene Form ungezügelten Pathostransports ließ die Zuhörenden mit der komponierten Ausweglosigkeit des traurigen Abgesangs – engelsgleich gesungen von der Sopranistin Peyee Chen – am Ende ermattet in den Stuhl sinken.

Hyperaktive Bewegungsexzesse, expressives Aufrauschen, das Hervorkehren virtuosen Vermögens – sowohl auf der Seite der Musiker als auch der Komponisten – prägten dieses Konzert. Kaum einmal ließ die Musik Stille ein, Brüchigkeit erleben, Zweifel erkennen. Ob dies nun Hinweis auf entsprechende ästhetische Vorlieben ist, wie sie sich im programmverantwortlichen Kuratorium gewissermaßen „ausgemittelt“ haben, ist natürlich nicht leicht festzustellen. Vielleicht lässt sich dieser Effekt auch dem Genre solistisch ausdifferenzierter Ensemblemusik zuschreiben, in dem eben jenes Hervorkehren virtuosen Vermögens zum Standard geworden ist. Durchaus anders fiel das Konzert des ebenfalls 1974 gegründeten, bisher als einziges Ensemble mit dem Siemenspreis ausgezeichneten Arditti Quartet aus. Hier hielt die Musik nicht nur mehr oder weniger kraftstrotzende Antworten bereit, sondern formulierte auch Fragen (Gedizlioglu „Hörst Du mich?“, siehe oben), Ängste und Zweifel. Eines der letzten großen Werke des ersten Siemenspreisträgers Benjamin Britten, das selten zu hörende 3. Streichquartett von 1976, gibt als formal seltsam unwuchtiger Fünfsätzer, der verschiedene Konstellationen des Zusammen- und Nebeneinanderspiels auslotet, musikalisch beredt Auskunft über die Bedrängnisse des Abschieds vom Leben. Witold Lutoslawski bricht in seinem 1965 komponierten Quartett die Stabilität herkömmlicher Satzstrukturen anhand aleatorischer Techniken auf und findet zu einer episodischen Form, die mit verschiedenen Graden sozialen Zusammenhalts zu spielen scheint. Helmut Lachenmann schließlich verkörpert geradezu die Vorstellung einer unablässig erforderlichen Überwindung künstlerischer (Selbst)Zweifel. Sein drittes Streichquartett „Grido“ (2001/2002) mutet an wie ein ziellos durchwandertes Landschaftspanorama, angesiedelt zwischen maximalistischer Stille-, Geräusch- und Klanggestaltung. Den Ohren ergibt sich die paradoxe Wirkung spartanischer Opulenz, vielleicht zu begreifen als geläuterte Fülle des Wohllauts.

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