Es war Wolf Biermann, der einmal sagte, Franz Schuberts „Die Winterreise“ dürfe nicht von den schönen Stimmen fabelhafter Sänger gesungen werden, unausgebildete Schauspieler sollten das tun. Was er damit meinte, ist nicht falsch: die Gesänge des traurigen, verzweifelten Winterreisenden dürfen uns nicht als romantischer Liebeskummer oder depressive, aber eben private Weltsicht erreichen.
Kreis schauriger Lieder – Armin Petras und Christoph Heinrich inszenieren Franz Schuberts „Winterreise“
Die 24 Lieder von Wilhelm Müller, der im Gefängnis Hohenasperg inhaftiert war und dessen verbotene Texte sich Schubert illegal verschaffte, sind so viel mehr als das: geschrieben im Winter 1827, erfasst der Komponist ein Jahr vor seinem Tod das Lebensgefühl eines in einer Diktatur lebenden Menschen, der nicht mehr ein noch aus weiß.
Es hat neben unterschiedlichen Gesangsstilen viele Versuche der Interpretation gegeben, szenische und auch musikalische wie Instrumentierungen des Hammerklavierparts: Eine aufsehenerregende war die Orchestrierung von Hans Zender, der Begriffe wie Eis und Erstarrung viel tiefenschärfer umsetzte als ein Klavier es kann. Nun trafen im Theater Bremen zwei Künstler aufeinander, die gemeinsam nach neuen Spuren des unsterblichen Werkes suchen: den Bass-Bariton Christoph Heinrich treibt Schuberts Zyklus, diesen „Kreis schauriger Lieder“ (Schubert) seit Jahren um, und der Regisseur Armin Petras war der richtige Partner eine gemeinsame Arbeit.
Eingebunden wurden die Komponisten Thomas Kürstner und Sebastian Vogel, die eine klare, aber unaufdringliche Version für Vibra-und Marimbaphon (Kan Tun), Klarinette (Xinjie Hu), Viola (Hou Kan Mg), Kontrabass (Asako Tachikawa) und Schlagzeug (Matti Weber) geschaffen haben, in der die Klarinette eine ausdrucksstarke Hauptrolle spielte. Dirigiert wurde das studentische Quartett von Lukas Ziesché.
Eine Eisscholle im Vordergrund, mit einem schwarzen Stift immer neu gemalte Winterlandschaften und philosophische Texte im Hintergrund (Bühne und Video Peta Schickart): darin tummelten sich in sich immer ändernden Verzweiflungen Christoph Heinrich und Nadine Lehner, aber auch die SchauspielerInnen Fania Sorel und Simon Zigah und Fabio Toraldo. Jedes Lied kommt fast fragmentarisch aneinandergereiht in und mit einer – in Schminke und Kostüm (Cinzia Fossati) – eigenen Performance, anders kann man die 24 Charaktere nicht nennen, mit der die überragenden SingschaupielerInnen Lehner und Heinrich textliche Konnotationen wie Vertriebensein, Sehnsucht, Erniedrigung, Heimatlosigkeit und Traum zeigen. Sie rennen durch diese Welt, die sie zu verlassen haben scheint, sie toben in ihrem Widerstand – „Mut“ und „Der stürmische Morgen“ –,sie finden zu viert Sehnsuchtsmomente, sie erleben ohnmächtige Einsamkeit, wenn Heinrich den Schlagzeuger gewaltsam von seinem Sitz schmeißt und selbst losschlägt. Und die Schlusszeile des barfuß auf dem Eis stehenden Leierkastenbettlers: „Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ wird hier krass präsentiert: Der Schlagzeuger holt zum Schlag aus und ihm bleibt der Arm stehen: es gibt keine Hoffnung …
In diesem Sinne gelingen viele unter die Haut gehenden Bilder des hilflosen Ausgesetztseins einerseits, andererseits ist die originale Komposition Schuberts so präzise und bildlich deutlich, dass alles Zusätzliche manchmal eher tautologisch wirkt. Aber eben nur manchmal. Es stellt das Konzept der Aktualität nicht infrage. „Ihr werdet es bald hören und begreifen“ hatte Schubert gesagt, als seine Freunde nach dem Grund seiner Stimmung fragten. Anhaltender Beifall.
- Die nächsten Aufführungen:11.und 26.12.24, weitere Termine in 2025
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