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Vor dem Orchester an der Bühnenkante stehen die Sänger*innen gemischt

Feine Gesten mit großer Wirkung: der Monteverdi Choir bei „Les Troyens“ in der Berliner Philharmonie. © Fabian Schellhorn/Berliner Festspiele

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Krieg, Flucht, Liebe, Fluch: Berlioz' „Les Troyens" beim Musikfest Berlin

Vorspann / Teaser

Ein Antikriegsstück ist Hector Berlioz’ große Oper „Les Troyens“ allenfalls indirekt durch brutale Schockmomente wie den Massenselbstmord der Troerinnen. Am Ende schwören die Karthager den Nachkommen des Enée ewige Vergeltung und sieht die sterbende Königin die zukünftige Überlegenheit Roms ein. Die halbszenische Aufführung in der Berliner Philharmonie fand allerdings ohne John Eliot Gardiner und den von ihm beim Festival geohrfeigten Bassisten William Thomas statt. Ovationen für ein großartiges Projekt beim Musikfest Berlin.

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Mehrfach war John Eliot Gardiners Monteverdi Choir beim Berliner Musikfest dabei, unter anderem mit einer großartigen „L’incoronazione de Poppea“. Diesmal gastierte das Orchestre Révolutionnaire et Romantique mit einem Spitzenwerk des französischen Repertoires. Hector Berlioz’ große Oper „Les Troyens“ nach Episoden aus dem römischen Nationalepos des Vergil ist mit knapp vier Stunden Spieldauer eine gewaltige Herausforderung, welche der Musikwelt zum 100. Todestag ihres Komponisten 1969 in London und Glasgow erstmals komplett vorgestellt wurde. Seit Gardiners erster Auseinandersetzung mit diesem Werk am Pariser Théâtre du Châtelet 2003 hat sich die Oper noch nachdrücklicher im internationalen Repertoire verankert und ist ein Leistungsprüfstein großer Opernhäuser wie zuletzt in München und Köln geworden. Gerade der Vergleich mit der nicht minder starken Leistung des Gürzenich Orchester unter dem ebenfalls stilkundigen François-Xavier Roth beweist, dass der strikt mit Originalinstrumenten oder deren Kopien operierende Ansatz sinnvoll ist. Es wäre spannend, diese Produktion in einem Festival mit dem „Ring des Nibelungen“ in historischer Aufführungspraxis von Concerto Köln und dem Dresdner Festspielorchester zu erleben.

Bereits vor der Salzburger Vorstellung am 26. August war Gardiner von der musikalischen Leitung zurückgetreten. Er soll dem mitwirkenden Bassisten William Thomas eine Ohrfeige gegeben haben, weil dieser auf der falschen Seite des Podiums abgegangen sei. Gardiner hat sich öffentlich entschuldigt und nimmt eine Auszeit. Für ihn leitete in der Berliner Philharmonie am 1. September deren ständiger Gastdirigent Dinis Sousa das Orchestre Révolutionnaire et Romantique, den Monteverdi Choir und eine Schar erstklassiger Solisten.

Spannung, Intensität und Transparenz waren die signifikanten Merkmale des hochklassigen Abends. Die musikalische Leitung und die Konzentration jeder einzelnen Orchesterposition – inklusive Ophikleide, sechs Posaunen und neun Saxhörnern – machten die Aufführung vom ersten bis zum letzten Takt faszinierend: Auch diesmal war die Präsentation halbszenisch – setzte Tess Gibbs die Massen der Karthager und Trojaner in tödliche, selbstmörderische, aggressive, leidende und feierliche Bewegungen. Es erstaunt, wie wenig an Gesten und Reaktionen zu spannendem Musiktheater nötig ist.

Berlioz besann sich in seinem letzten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nur mit starken Entstellungen aufgeführten Hauptwerk auf den gemessenen Ausdruck Glucks, blieb dabei als Orchester-Avantgardist aber in vorderster Reihe. Für das französische Repertoire steigt derzeit die Zahl stilistisch versierter Stimmen, die durch erhöhte Barock-Frequenz geschmeidig und beweglich bleiben. Zu merken vor allem an der nicht sonderlich langen, aber tückischen Partie des Enée. Mit dem Baritenore Michael Spyres ist jetzt endlich der richtige Mann dafür gefunden, nachdem sich bisher vor allem Heldentenöre von Jon Vickers bis Jonas Kaufmann als Enée abmühten. Etwas einfacher ist die Besetzung der großen Frauenpartien Cassandre und Didon. Beide sind hier keine dramatischen Stimmen. Alice Coote kommt vom Belcanto, klingt in Cassandres Untergangsvisionen mit brillanter Deklamation hell und bleibt sogar beim Aufruf zum Massenselbstmord der trojanischen Frauen konsequent auf diesem mehr intensiven als kraftvollem Level. Als Didon vollbringt Paula Murrihy wahre Wunder an Schattierungen einer klaren und eher weißen Stimme. Was die Farben gibt, ist ihre dramatisch sinnfällige Tongebung bis zu den unspektakulär gesetzten, gerade deshalb erschütternden Sterbeseufzer.

Solche Leistungen werden nur durch ein ganz starkes Zielfundament möglich. Fortissimo und Transparenz, Grandeur und Introspektion wechseln in enger Affinität zu Berlioz’ Partitur. Die Besetzung passt bis in die kleinste Partie ideal, allen voran die großartige Beth Taylor als Didos Schwester Anna. Für William Thomas sprang in Berlin Alex Rosen als Narbal nach seinem exquisiten Solo des toten Héctor ein. Tristan Hambleton übernahm König Priam. Laurence Kilsby sang seine beiden Arien als Iopas und Hylas mit betörender Leichtigkeit. Adèle Charvet konnte die Präsenz des unscheinbaren Parts von Ascagne bedeutsam steigern.

Die hochkarätige Tournee beinhaltete Stationen beim Festival Berlioz in La Côte Saint André, bei den Salzburger Festspielen, im Opernhaus Versailles und endet am 3. September in der Royal Albert Hall London.

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