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Foto: Bernd Uhlig
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Kühl und bestechend

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Esa-Pekka Salonen und Krzysztof Warlikowski präsentieren Béla Bartóks „Barbe-bleue“ und Francis Poulenc „La Voix humaine“ an der Pariser Oper. Frieder Reininghaus hörte eine herausragende Barbara Hannigan.

Auch Kritiker feiern gelegentlich kleine Jubiläen. Der neue „Barbe-bleue“ im Palais Garnier ist die zwanzigste „Blaubart“-Inszenierung, die in vier Jahrzehnten zu besuchen und zu beschreiben war. Dabei ist’s nie langweilig geworden (diese Gefahr droht weit eher bei „Figaro“, „Traviata“ oder „Walküre“). So gut wie in allen Fällen war und ist von besonderen Anstrengungen zu berichten. Angefangen von Klaus Michael Grübers Frankfurter Inszenierung Mitte der Siebziger Jahre, in der Bartóks nach kriegsbedingter Zeitverzögerung erst 1918 uraufgeführtes Zweipersonenstück mit Schönbergs zeitgleich geschriebenem Monodram „Erwartung“ zusammengespannt wurde. „Blaubart“ mit „Erwartung“ – das erwies sich ohnedies als die häufigste Kombination. Es stellten sich freilich auch ganz andere ein: Die Paarung mit Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ zum Beispiel, mit Robert Schumanns prädebilen „Geistervariationen“, mit Martinůs „Ariane et Barbe-bleue“, mit Puccinis „Gianni Schicchi“, mit Bartóks „Wunderbarem Mandarin“ oder (Dank Herbert Wernicke) mit sich selbst. Insgesamt eröffnete sich eine erstaunliche Bandbreite der „Deutungen“ und der Pointierung der aus unterschiedlichen Auffassungen von „Liebe“ genährten Auseinandersetzungen zwischen Mann und Frau (oder Frau und Mann). Die reichen hier allerdings nicht an die Gottheit heran, wie Emanuel Schikaneders Text zur berühmtesten „Teutschen Oper“ 1791 noch flötete. Sie bleiben auf schreckliche Weise irdisch und reichen in Regionen, welche die Jugendsprache zeitweise als „unterirdisch“ bezeichnete.

„A kékszakállú herceg vára“ von Béla Bálasz und Béla Bartók

„A kékszakállú herceg vára“ von Béla Bálasz und Béla Bartók kam am Palais Garnier in Paris zehn Tage nach der Anschlagsserie auf ein Theater und Cafés ohne Bezugnahmen auf neuere gesellschaftliche Realitäten im Verbund mit „La Voix humaine“ von Francis Poulenc heraus. Krzysztof Warlikowski verschränkte die beiden ‚Frauenstücke‘. Blaubart kommt in seine „Burg“ (die nichts anderes ist als das Abbild des Palais Garnier), zusammen mit einer hoch aufgetakelten Blondinen: Barbara Hannigan, die hier eigentlich noch gar nichts zu suchen hat, entschwebt wie von unsichtbaren Händen getragen in die Höhe, wird dann aber vom Herzog mit hypnotischen Kräften wieder aufs Parkett der Bühnentatsachen heruntergeholt. Der Bräutigam, ausstaffiert wie ein Varieté-Direktor, zaubert eine weiße Taube aus dem Schal und ein süßes Kaninchen. Das schmust die etwas überdreht wohlgelaunte Partnerin. Es ist nicht die Braut, die da in feinem Ambiente vom hoch gewachsenen, schlanken und lässig-nobel intonierenden Bassisten John Relyea verwöhnt wird, sondern eine andere, unbestimmte „Beziehung“. Sie ist die im zweiten Teil des (pausenlos anberaumten) Abends an der Reihe: Elle, die ihren Liebhaber einbüßt wegen dessen Hochzeit „mit einer anderen“.

Diese andere ist Judit, die robust-russische Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova. Sie steigt aus dem Parkett hinauf zur Bühne und beginnt, als vierte Ehefrau Blaubart ihren Willen nahezulegen und sich durchzusetzen. Zielstrebig legt sie die dunklen Seiten seines Charakters offen und zwingt ihn, sein Vorleben zu offenbaren. Sie erzwingt die Öffnung der verschlossenen Türen zu den Kammern mit den Folterinstrumenten, Waffen, Schätzen, Orchideen, schönen Aussichten, unergründlichen Wassern und den abgelegten Frauen. „Herzog Blaubarts Burg“ befasst sich mit Fragen von Dominanz und Bändigung in der Beziehung zwischen einem gealterten Machtmenschen und einer unbefangenen jungen Frau, die sich nicht bange machen lässt. Warlikowski zeigt den Beziehungskonflikt als etwas scheinbar ganz Normales, kühl und distanziert – ohne nennenswerten Körpereinsatz der beiden Protagonisten. Herzog John scheint an Körperkontakt wenig interessiert (Sekundärmerkmale von sexuellem Überdruck, der zuletzt bei Barrie Kosky die Bühne der Komischen Oper Berlin erfüllte, zeigt er schon gar nicht). Einseitig legt Judit Gubanova gelegentlich Hand an. Kommt aber nicht sehr weit damit. Derweil werden die hinter den unsichtbaren Türen schlummernden Geheimnisse Zug um Zug gelüftet. Von seitwärts rollen zum jeweils rechten aufschlussreichen Moment hohe Glasvitrinen herbei. In ihnen befinden sich u.a. eine blutige Badewanne, ein Messersortiment, ein blutender Knabe, schließlich ein Raubtier-Video. Die Symbolik ist hinreichend deutlich.

Cocteaus Monodram „La Voix humanine“

Der Hinweis auf die Raubtier-Natur des Mannes leitet über zu Jean Cocteaus Monodram „La Voix humanine“ (1930), das Poulenc knapp drei Jahrzehnte nach der Pariser Uraufführung als großes Sopransolo mit süffiger Orchesterbegleitung komponierte: Es thematisiert die Einsamkeit einer verlassenen Geliebten, die bereits durch die Umstände der Trennung erheblich ramponiert erscheint. Wimperntusche und Lidstrich sind von den Tränen aufgelöst. Das Orchester tritt aus der Reserve, die es bei Blaubart und Judit weithin praktizierte, und folgt Esa-Pekka Salonens Aufforderung, kräftiger zu kolorieren.

Barbara Hannigan ist die oszillierende Stimme von „La Voix humanine“ – fragend und klagend, geschmeidig und verzweifelt, von Erinnerungen und von (trügerischen) Hoffnungen getrieben, fordernd und liebeshungrig bis zur Fortissimo-Grenze. Die einsame Akteurin kommt ohne Fünfzigerjahre-Telefon aus und ohne Strippe. Die Kamera beobachtet sie von senkrecht oben, die Aufzeichnungen werden direkt auf die Rückwand des nur mit einem Designer-Sofa und einer Kommode möblierten Riesenzimmers übertragen. Man sieht, wie sich die Sopranistin zum Sofa schleppt und robbt. Überhaupt wie sie sich quält und wie sie wartet. In buchstäblich allen Körperpositionen und Lebenslagen wirbt und stöhnt diese Stimme. Sie scheint sich zu entziehen und zu räkeln. Sie kann leicht verhangen bleiben und sich freisingen. Das ungetröstete Liebesverlangen vergrößert den Schmerzfaktor: Das letzte Aufbäumen mit „Je t’aime, je t’aime“ beendet ein Pistolenschuss in den Mund.

Gutgeschmierte Reklametrommeln des Musikbetriebs mögen einen so exquisit modulationsfähigen Sopran wie den von Barbara Hannigan als „Sonnenstimme“ reklamieren. Kein Zweifel: Man hatte in Paris jetzt das Vergnügen und fast lebensechtes Mitleid mit einem Goldkehlchen. Wohl aber mit noch viel mehr: Mit der belastbarsten und effizientesten Sängerdarstellerin der Gegenwart, die bislang den Versuchungen des Wagner-Dröhnens widerstanden hat und konsequent der Moderne des 20. und 21. Jahrhunderts zugetan bleibt. Sie erweist sich, was für eine Hoffnungsträgerin großen Formats so wichtig ist, als geistig, stimmlich und körperlich beweglich.

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