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Markus Hechtle- Foto: Hufner
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Kugelgestaltiges, Rauschhaftes, Ekstatisches: cresc – Biennale für Moderne Musik Frankfurt Rhein Main

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Bernd Alois Zimmermann schien ein ganz entspanntes Verhältnis zu Musikkritikern zu haben. Seine „Verreißer“, wie er sie nannte, sah er als ganz persönliche Richtungsweiser: „Werde ich verrissen, bin ich auf dem richtigen Wege; sollte von dieser Seite gar Anerkennung kommen (erfreulicherweise ist das bisher noch nicht geschehen), bin ich mit Sicherheit auf dem falschen Weg.“ Er bekam dann doch noch einiges an Lob zu hören, ohne sich deshalb beirren zu lassen.

Nun ehrt Zimmermann nicht nur das Feuilleton, sondern auch die Biennale cresc… 2013. Für die Veranstaltungsreihe im Rhein-Main-Gebiet haben sich das Ensemble Modern, das hr-Sinfonieorchester und Spielstätten wie die Alte Oper Frankfurt oder das Staatstheater Darmstadt zusammengetan, um der modernen Musik Raum und Zeit zu widmen. Und das ist durchaus konzeptuell zu verstehen: Die erste Biennale 2011 umkreiste mit dem Komponisten und Architekten Iannis Xenakis die Verbindung von Raum und Musik. Die zweite Ausgabe in diesem Jahr thematisiert dagegen Aspekte des Zeitlichen in der Musik. Da bietet sich Zimmermann als Schwerpunkt förmlich an, spielte doch das Zeitverständnis eine große Rolle in seinen Kompositionen. Zeit sei nicht nur linear zu verstehen, also als das Nacheinander von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigen, sondern „kugelförmig“. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können hier zusammenfallen, zum Beispiel in der Erinnerung oder der Erwartung. Mit den vielfältigsten Mitteln hat Zimmermann diese Zeitgestalt auskomponiert und cresc…  spürte ihr in den unterschiedlichsten Konzertformen nach.

Ein kleines Festival im Großen war der Samstagabend im Darmstädter Staatstheater. Von 18 bis 24 Uhr konnte der Besucher von Sinfoniekonzert zu Solodarbietungen, von der Ballettperformance zu Interaktionen zwischen Jazz und Neuer Musik wandeln. Der zeitliche Rahmen spannte sich von Zimmermanns frühen Werken aus den 1950er-Jahren bis zu Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten. 60 Jahre wurden durchschritten, in denen musikalisch so Einiges passierte.

Den Auftakt machte das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens mit der „Sinfonie in einem Satz“ von 1953. Das voll besetzte Orchester füllte den ganzen Bühnenraum des Großen Hauses aus, dementsprechend wuchtig, ja manchmal fast brachial erklang das Werk. Aus chaotischem Streichergeflirre und gedämpften Bläserakkorden entwickelt sich erst nach und nach thematisches Material, das immer wieder zerpflückt oder von dynamischen Explosionen übertönt wird. Lange, expressive Melodiebögen sind hier (noch) zu hören, Zimmermann erlaubt sich Pathos. Hat sich der Komponist hier mit der Form der Sinfonie auseinandergesetzt, so tat er dies im zweiten Stück des Abends mit dem Jazz. Die Sinfonie schlug er noch mit ihren eigenen Waffen, in „Nobody knows de trouble I see“ für Trompete und Orchester aber verschmelzen die Form des Choralvorspiels mit dem pentatonische Negrospiritual und dem konzertierenden Jazz. Den Musikern, allen voran dem grandiosen Reinhold Friedrich an der Trompete, wird da viel abverlangt: Die (rhythmische) Lässigkeit des Jazz verbindet sich mit rhythmisch präzis gestochenen Zwiegesprächen der Instrumente, von der Virtuosität Friedrichs ganz zu schweigen. Messiaens sinfonische Meditationen aus „L’Ascension“ von 1932/1933 waren dazu ein beruhigender Kontrast. Himmlische Ruhe und Klangfarbenpracht bot das hr-Sinfonieorchester.

Nach Messiaen musste man sich entscheiden: Erst Ballett im Kleinen Haus oder doch lieber die Short Cuts, kurze Solostücke für Violine, Viola und Flöte? „Présence“, der Titel von Zimmermanns Ballettmusik „erscheint als jene Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet“. In ihr stehen musikalische Zitate nicht nur für die auftretenden Personen, Don Quichotte, Molly Bloom und Ubu-Roi, sondern auch für verschiedene Zeiten. Drei Tänzer und ein „Speaker“ sind vorgesehen, außerdem ein Klaviertrio für die Musik. Die Darmstädter Aufführung zeigte eine Choreografie von Florian Ackermann, Norbert Pape, Friederike Thielmann und Kristina Veit. Das Team ließ sich weder von Zimmermanns spärlichen szenischen Angaben noch von John Crankos „Referenzchoreografie“ einschränken, sondern entwickelte eine eigene Lesart: Im Mittelpunkt standen die Wortembleme, die Zimmermann der Partitur hinzugefügt hatte. Mit großen Stecktafeln generierten die Tänzer Satzfetzen wie „sarg der umkehrenden träume“. Hier wurde der Fantasie des Hörers Raum gelassen, auch von der Musik. Im zartesten Pianissimo musizierten RafaƂ Zambrzycki-Payne, Michael M. Kasper und Hermann Kretzschmar. Selbst in tänzerisch-leichten oder schwelgerischen Momenten entstand eine Atmosphäre höchster Konzentration, die die Tänzer durch wenige, aber ausdrucksstarke Bewegungen unterstützten.

Die Short Cuts widmeten sich drei Instrumenten und ihren ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten. Konzentriert und quasi zur Essenz verdichtet zeigt Zimmermann das Eigentümliche der Violine, der Viola und dreier Vertreter der Flötenfamilie. In der „Sonate für Violine solo“ (1951) besinnt sich Zimmermann auf die Beziehung von Ton zu Ton. Flirrende Figurationen zeigen, wie sich ein Nacheinander der Töne zu Gesamtklängen kumuliert, Doppelgriffe und Doppeltriller beleuchten die Faszination eines Intervalls. Atemberaubend virtuos interpretierte Andrea Kim das Werk, unverschämt leicht klang das und dennoch wohl durchdacht. Thaddeus Watson stellte dagegen gleich drei Instrumente vor: In den 13 Miniaturen des „Tempus loquendi“ zeigte er, was man mit Bass-, Alt- und großer Flöte alles anstellen kann. Fassungslos ob der Vielseitigkeit applaudierte das Publikum. Mit der „Sonate für Viola solo“ und Megumi Kasakawa kam etwas Ruhe, wenngleich nicht weniger Virtuosität zu Gehör.

Nach so viel konzentrierter Solowerke ging es ohne Umschweife zum Abschlusskonzert des Darmstädter Abends, der nun keine Werke Zimmermanns, aber mit Collagen, Zitathaftem und Jazzelementen doch Kompositionen bot, die mit Zimmermanns Ästhetik leicht in Einklang gebracht werden konnten.

In „üg“ setzte Mark Andre der Stadt Istanbul ein klingendes Denkmal. Man fühlte sich als Zuschauer in einen Kinosaal versetzt; auf der Bühne flüsterte, knarzte und schabte das Ensemble Modern, um einen herum wisperten Stimmen aus den Lautsprechern. Oder war das doch der Nachbar? Hanspeter Kyburz‘ Komposition dagegen klang wie Musik aus den Cafés der Piazza San Marco im zeitgenössischen Gewand. Tänzerisches, auch Rauschhaftes unterbricht meditative Tonrepetitionen, die kontrollierte Ekstase erforderte eine hohe Konzentration der fünf Musiker und des Dirigenten Brad Lubman. In der Uraufführung von Markus Hechtles „Wortlose Rückkehr“ scheinen die Sonaten von Zimmermann noch einmal in neuem Gewand zu ertönen: Kurze Miniaturen bieten einzelnen Instrumenten den großen Auftritt, immer leise konterkariert durch weitere Musiker. Den wirklich krönenden Abschluss boten Nina Janßen-Deinzer und Mitglieder der hr-Bigband sowie des Ensemble Modern mit Leonard Bernsteins „Prelude, Fugue and Riffs“. Hiermit wurde zum Einen der Bogen zurück zu Zimmermanns jazzigem Trompetenkonzert geschlagen, aber auch eine klingende Einladung zum „Unlimited“-Teil des Abend ausgesprochen, bei dem Musiker des Ensemble Modern und der hr-Bigband gemeinsam musizierten.

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