Für die Idealisten und namentlich Friedrich Schiller war es „der Geist, der sich den Körper schafft“. Doch dies schien allzu ideal gedacht, denn schließlich krankte der Dichter selbst mehrere Jahre vor seinem Tode kläglich dahin. Dagegen stellte Karl Marx den Hegel’schen Weltgeist vom Kopf auf die Füße, indem er materialistisch tönte, „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, womit er freilich die Freiheit des menschlichen Geistes ebenso unterschätzte wie er den vermeintlich historisch objektiv notwendigen Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft überschätzte. Was also stimmt? Eine gelungene Synthese der unversöhnlichen Antithesen formulierte vielleicht der im Januar achtzigjährig verstorbene Dirigent Claudio Abbado mit seinem Credo: „Kultur schafft Reichtum, nicht umgekehrt.“
Ganz handfest schafft Kultur als wirtschaftsfördernder Standortfaktor und millionenschwerer Bestandteil der sogenannten „Kreativwirtschaft“ tatsächlich „Reichtum“. Zugleich und vor allem aber sorgt Kultur in all ihrer Vielfalt ganz immateriell für einen Reichtum menschlichen Wahrnehmens, Erlebens, Fühlens, Denkens, Sich-Orientierens, -Begegnens und -Neuausrichtens.
Angeführt wird der Uraufführungsreigen im März von Mark Andres Musiktheaterwerk „wunderzaichen“, dessen Premiere am 2. März an der Oper Stuttgart stattfindet. Am 7. März folgt Thomas Daniel Schlees „Horai“ für Orgel und Kammerorchester am Salzburger Mozarteum und am 12. März im Leipziger Gewandhaus Wolfgang Rihms „Wortlos“ nach sechs Gedichten von Friedrich Nietzsche. Allein beim Festival MaerzMusik vom 14. bis 23. März sind unter dem ebenso berlinomanischen wie marktschreierischen Motto „Nach Berlin! Nach Berlin! Berlin – Magnet musikalischer Immigration“ 15 Uraufführungen zu erleben, unter anderem von Hugues Dufourt, Mela Meierhans, Sarah Nemtsov, Makiko Nishikaze, Charlotte Seither und posthum von Friedrich Goldmann. Am 22. März singt in der Gaisburger Kirche in Stuttgart das SWR Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed „¿Por que / Warum?“ von Hans Zender. Und die Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks „musica viva“ in München präsentiert am 28. März die Uraufführung von Salvatore Sciarrinos „Unʼimmagine di Arpocrate“.
Doch mit welchen Verfahren sollte sich jemals empirisch erheben und dann womöglich auch genau beziffern lassen, welchen Reichtum all diese Uraufführungen generieren? Bei welchen Hörern wirkt welche Musik auf welche Weise? Welchem Musikstück kommt die meiste „Wertschöpfung“ zu? Welches generiert den größten ästhetischen oder konkret finanziellen „Mehrwert“? Vor allem für wen schafft die Uraufführung dieser Komposition Reichtum? Für den Komponisten, die Musiker, diesen oder jenen Hörer? Für den Veranstalter, den Beleuchter, die Garderobenfrau, den Platzanweiser, die Druckerei des Programmhefts, das darin mit einer Anzeige werbende Finanzunternehmen, das vom Publikum genutzte Verkehrsunternehmen, die umliegende Gastronomie, das Hotelgewerbe der Stadt, die Diversität einer Kultur, die Hellhörigkeit einer Gesellschaft, die Toleranz einer Demokratie, das Selbstbewusstsein einer Minderheit,
et cetera …? All diese Fragen sind angebracht, aber unbeantwortbar. Claudio Abbado stellte deshalb – Danke! – allen eindimensionalen Kosten-Nutzen-Kalkulationen und allerorts gebetsmühlenartig wiederholten Behauptungen, Kultur koste Geld, seine ebenso trotzige wie genauso richtige Behauptung entgegen: „Kultur schafft Reichtum!“
Weitere Uraufführungen
10.03.: Wolfram Wagner, Ballade für Kontrabass und Klavier, Musikverein Wien
12.03.: Isabel Mundry, Erste Annäherung für Orchester, Festsaal Inselhotel Konstanz, und Charlotte Seither, Chercher le chien, Villa Concordia Bamberg
14.03.: Miroslav Srnka, Track 01 für Violine und Klavier, Printemps des Artes Monte Carlo
15.03.: James MacMillan, Lukaspassion, Concertgebouw Amsterdam
31.03.: Tomasz Skweres, neues Werk für das Philharmonische Orchester Regensburg