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Kunst als und mit Spiegel – Richard Strauss‘ „Capriccio“ bei den Münchner Opernfestspielen. Foto: Wilfried Hösl.
Kunst als und mit Spiegel – Richard Strauss‘ „Capriccio“ bei den Münchner Opernfestspielen. Foto: Wilfried Hösl.
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Kunst als und mit Spiegel – Richard Strauss‘ „Capriccio“ bei den Münchner Opernfestspielen

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Wenn die Münchner Staatsoper eine Produktion von Richard Strauss‘ Konversationsstück für Musik „Capriccio“ einkauft – immerhin hier im Oktober 1942 uraufgeführt und mit einer beachtlichen Aufführungstradition behaftet – dann muss es schon eine besondere Produktion sein. Das gilt insbesondere, wenn der aus Lyon kommende Intendant Serge Dorny nun seine dortige Koproduktion mit der Brüsseler Oper als zweite Festspielpremiere präsentiert.

Ein Ausgangspunkt ist dabei spannend: in Frankreich wie in Belgien wird ein Werk aus dem Jahr 1942 ganz anders gesehen als etwa in München, der damaligen „Hauptstadt der Bewegung“, deren Oper zum Vorzeigehaus der NS-Kulturpolitik werden sollte. Hierzulande und speziell in München wird diese an Geist wie Ironie reiche Kunst-Reflexion einer französischen Hautevolee-Gruppe gerne als reifes Alterswerk, als heilsame Weltflucht aus der Realität des Kampfes um Stalingrad eingestuft. Ganz anders im frankophonen Theater: herausragend Robert Carsen - er ließ 2004 alles im NS-besetzten Paris von 1942 spielen (Naxos-DVD mit René Fleming); ebenbürtig die Entscheidung von Regisseurin Brigitte Fassbaender 2018 in Frankfurt, das Wort-oder-Ton-samt-Liebes-Geplänkel um diese intelligente, selbstbewusste Gräfin auch entschieden enden zu lassen: sie tritt aus einem enormen Rokoko-Reifrock-Kostüm heraus und zusammen mit ihrem Haushofmeister bricht sie auf dessen codierten Satz „das SOUPER ist serviert“ mitsamt allen Bediensteten in Trenchcoat und Baskenmütze zur nächsten Aktion der Resistance auf.

Wenn also der ungarische Regisseur David Marton in Lyon – wo seit 1942 der Gestapo-„Schlächter“ Klaus Barbie hauste und dennoch Jean Moulin, den Kopf der Resistance, 1943 nicht brechen konnte – inszeniert, dann ist etwas zu erwarten. Doch da blieb zu vieles unerfüllt.

Dass Marton alles in der Entstehungszeit ansiedelte und Christian Friedländer ihm dafür ein kleines Provinztheater im Längsschnitt von Hinterbühne, Bühne, Unterbau, Orchestergraben, Parkett bis Logen baute, wirkte wie ein reizvoller Ansatz: da wird die opulente „azione teatrale“ zum Geburtstag der von Dichter Olivier (baritonal viril Vito Priante) und Komponist Flamand (Pavol Breslik mit lyrisch männlicher Kontur) umworbene Gräfin vorbereitet; da führt Theaterdirektor La Roche (Bass-imposant Kristinn Sigmundsson) ein bisschen Regie und hofft auf das neue Theater; da erobert der immer noch reiche Graf (mit Lebemann-Oberflächlichkeit im markanten Bariton Michael Nagy) die lebens- und liebeserfahrene Star-Schauspielerin Clairon (Tanja Ariane Baumgartner mit sinnlichem Mezzo) am Ende ziemlich handfest. Ihrer aller Zusammenspiel und Rivalitätsgetändel gelang mit einem Hauch von „Theater reflektiert Theater“ etwa in spiegelbildlich geführter Gestik und Haltung … schon weniger im  Grünpflanzen-Park-Aufbau auf der Bühne – und dann wirkt der Haushofmeister (Christian Oldenburg) mal hintergründig wie ein NS-Spitzel, mal wie ein hilfloses Liebesobjekt der Gräfin; dann sitzt ein eifrig mitnotierender Vertreter der „Reichsmusikkammer“ oder der Gestapo im Trenchcoat herum (Toby Spence) – und ist singend plötzlich der vergessene Souffleur Monsieur Taupe? – während das sehr gut singende Oktett der Bediensteten am Ende in uniformen Trenchcoats in den Logen steht – alle Kollaborateure? Alle Nazi-Spione? Regie-Linie vertan.

Doch Regisseur Martons hübscheste Idee muss erwähnt werden: die Gräfin wird theater-traumhaft von einer ganz jungen Ballett-Elevin, einer reifen Solo-Tänzerin und einer alten Charakterrollen-Tänzerin umgeben – und am Ende erkennt die Gräfin in der Alten ihr kommendes Spiegelbild – eine Pina-Bausch-nahe Szene. Nur auch vertan: alle Tänzerinnen werden gemäß NS-Rassen-Reinheit einer Kopfvermessung unterzogen und bilden später zusammen mit dem guten italienischen Sängerpaar und einem weiteren Mann einen „Flüchtlingszug“ – obwohl die Tänzerin am Schluss wieder auftritt?

Hübsch auch der Übergang vom Staatsorchester im Graben des Prinzregententheaters zur Kammermusik-Sextett im Graben auf der Bühne – was Lothar Koenigs alles gut dirigierte, ohne Intermezzi und „Mondschein-Musik“ zu Höhepunkten zu machen. Das Hauptinteresse des Abends aber war vokaler Natur: das Debüt von Diana Damrau als Gräfin. Sie stellte sich damit einer herausfordernden Vorgängerinnen-Galerie: von „der Ursuleac“ in der Uraufführung über Lisa della Casa zu Claire Watson und vielen Star-Sopranistinnen als Gast. „Die Damrau“ verkörpert die verwitwete Gräfin überzeugend. Gesangstechnisch bietet sie die Rolle auch sehr gut. Nur hat ihr der Sopran-Enthusiast Strauss ja blühende, glutvolle, schier überbordende Phrasen komponiert – und da bleibt der Damrau-Sopran zu klar und rein – da ist die brennende Emotion nicht zu hören. Da bleibt also noch ein „Reifen in der Rolle“ zu erwarten.

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