Wie manche Politikerinnen und Politiker – linke, rechte, liberale, gemäßigte oder extreme – fordern auch immer mehr Künstlerinnen und Künstler von sich und anderen, man müsse „Haltung zeigen!“. Entscheidend sei weniger, was und wie man etwas tut, sondern welche Haltung man dabei an den Tag legt. Was das freilich sein soll, wofür oder wogegen, bleibt indes meist unklar bis schwammig.
Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen es geboten ist, andere – mitunter auch sich selbst – in die Schranken zu weisen: „Halt! Bis hier und nicht weiter!“ Denn ohne aufgezeigte Grenzen gibt es kein einigermaßen gedeihliches, friedliches, freiheitliches und gar glückliches Zusammenleben in Familie, Hausgemeinschaft, Freundeskreis, Stadt, Nation, Staatenvereinigung und planetarischer Erdenbürgerschaft. Doch politische Demarkationslinien von Parteisoldaten dienen nicht der Lösung von Problemen. Und im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung sind auch ästhetische Trennlinien zwischen Kulturkreisen, Sparten, Szenen und Stilen nicht mehr so streng abgezirkelt, wie sie es angesichts Jahrtausende alter Wanderbewegungen von Menschen, Ideen und Gütern ohnehin nie waren. Was soll also „Haltung“ inmitten aller Bewegung? Warum sich einen Besen in den Rücken klemmen und Haltung bewahren, statt zu kehren und Staub aufzuwirbeln?
Statt Haltung ist Kunst wesentlich Bewegung, die ihrerseits Denken, Fühlen, Hören, Sehen, Handeln mobilisiert. Kunst verträgt sich nicht mit dem Einnehmen standfester Posen und Haltungen. Denn dabei werden entweder bloß unverbindliche Allgemeinheiten geäußert oder bereits bezogene Positionen und Meinungen bestätigt, die in bestimmten Milieus ohnehin längst Gültigkeit besitzen. Haltung dient dann nichts anderem, als den Zusammenhalt innerhalb einer Peergroup zu stärken und nach außen gegen andere Ansichten, Erfahrungen und Weltanschauungen abzudichten. Man versichert sich gemeinsamer sozialer, politischer, moralischer oder ästhetischer Normen: „So ist es halt!“. Statt sich selbst einen starren Rahmen zu verordnen, wäre es wichtiger, in kritischen Dialog mit anderen Ansichten zu treten und sich auf den Streit um gesicherte Fakten, plausiblere Deutungen, originellere Ideen, bessere Argumente und Lösungen einzulassen. Nur im Ringen mit den Erfahrungen, Perspektiven und Ansätzen anderer lassen sich Urteile bilden und revidieren. Wer bloß eine Haltung bezieht, macht es sich zu bequem, denn er oder sie zieht sich bloß auf das zurück, was man immer schon vertreten hat. Letztlich konserviert man nur liebgewonnene Vorurteile, teils auch aus Berechnung, weil man weiß, wer sie teilt, erwartet, goutiert und vielleicht auch honoriert. Das Ziel ist dann nicht aufrüttelnde aktuelle Kunst, die neue ästhetische Welt- und Selbsterfahrungen ermöglicht, sondern Selbstvermarktung, Prätention und Proporz: Haltung als bloße Attitüde.
Ach ja, fast vergessen: Was ist mit Uraufführungen? Gibt es welche? Wenn ja, wo und wann, unter welchen Umständen? Ein Ausblick auf aktuelle Novitäten ist momentan leider kaum möglich, da die von Veranstaltern und Verlagen längerfristig bekannt gegebenen Termine durch Corona allesamt hinfällig wurden. Nur in kleinstem Maßstab kommt hier und da wieder etwas hoch. Das Ensemble Musikfabrik gibt in seinem Kölner Studio im Rahmen der neuen Reihe „Concertini“ bis zum 13. August jeden Montag und Donnerstag ein Kurzkonzert mit kleinbesetzter Kammermusik vor stark reduziertem Publikum. Dabei wird am 13. Juli „Datod“ von Bethan Morgan-Williams uraufgeführt. Und das Festival für neue Orgelmusik Mixturen an der Kölner Kunst-Station Sankt Peter präsentiert am 27. Juli ein neues Werk von Dorothea Hofmann. Auch andernorts gibt es wieder Konzerte in kleinen, teils auch größeren Rahmen, vielleicht auch mit Uraufführungen? Voller Hoffnung verschicken Konzert- und Opernhäuser auch wieder ihre Jahresbroschüren für die Spielzeit 2020/21. Ob die Haltbarkeit dieser Planungen allerdings bis zu den Aufführungen reicht, muss sich erst erweisen. Woran soll man sich in diesen ungewissen Zeiten also halten?