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Kunst und Anti-Kunst

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Uraufführungen 2015/04
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Als Reaktion auf Phasen besonders ambitionierten Kunstwollens und verfeinerter Ästhetik gab es in der Vergangenheit immer wieder dezidiert anti-künstlerische und anti-ästhetische Bestrebungen, auch in der Musik. Auf das lange 19. Jahrhundert mit Musikdramen, Monumentalsinfonien, Symbolismus und Jugendstil, mit übersteigertem Romantizismus, Ausdrucks-, Stil- und Schönheitsbedürfnis antworteten während und nach dem Ersten Weltkrieg die provokant „sinnlosen“ Musik-, Sprach-, und Bildkompositionen des Dadaismus, dessen Materialien, Durcharbeitungs- und Präsentationsweisen dem bisherigen Kunstverständnis eklatant widersprachen. Die fundamentale Kunstkritik des Dada richtete sich nicht zuletzt gegen den – wie Herbert Marcuse später konstatierte – „affirmativen Charakter“ der idealistischen bürgerlichen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts, die das Publikum die humanistischen Ideale von Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit – wie etwa im Schlusschor von Beethovens 9. Sinfonie – als bereits erfüllt hatte erleben lassen, statt Impulse zu geben, die tatsächlich ganz anderen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse aktiv zum Besseren zu verändern.

Eine ebenso radikale Absage erhielt auch der während der 1950er-Jahre auf rigorose Reinigung des Materials von allen tonalen und historischen Besetzungen bedachte serielle Konstruktivismus. Auf ihn reagierten Bewegungen wie Happening, Fluxus sowie verschiedene Formen einer durch divergente Materialien, Alltagsgegenstände, Zitate, Texte, Bilder, Szenen, Schauplätze, Handlungen et cetera gleichsam „verunreinigten“ und oft mit politischen Aussagen verbundenen „musica impura“. An die Stelle puristischer Material- und Strukturimmanenz setzte man eine interdisziplinär für andere Künste und Lebenswirklichkeiten durchlässige Musik, die aktuelle Probleme und Fragen der Menschen thematisieren und auf die Gesellschaft zurückwirken sollte. Und nach Jahrzehnten einer mehr empfundenen als in der Vielstimmigkeit unterschiedlichster Ansätze tatsächlich dingfest zu machenden postmodernen Erstarrung seit den 70er- und 80er-Jahren propagieren heute einige in den 1970er- und 80er-Jahren geborene jüngeren Komponisten unter Schlagworten wie „Digitalisierung“, „Welthaltigkeit“, „Gehaltsästhetik“, „Diesseitigkeit“ oder „Konzeptualismus“ eine ganz ähnliche Pauschalabsage an „die“ Neue Musik. Doch erst der Einzelfall zeigt, ob bestehende Ansätze bloß abgelehnt werden oder eine Neubestimmung von Kunst gelingt.

Gut vertreten ist die jüngere Komponistengeneration vom 24. bis 26. April bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik mit Uraufführungen der allesamt aus Osteuropa stammenden Komponisten Milica Djordjevic, Joanna Wozny, Agata Zubel, Miroslav ­Srnka, Márton Illés, Ondrej Adámek, Vladimir Gorlinsky und Vito Žuraj. Weitere Novitäten stammen von Martin Matalon, Pascal Dusapin, Hans Thomalla, Clemens Gadenstätter, Andreas Dohmen, Georg Friedrich Haas, James Clarke und Beat Furrer, dem ein eigenes Porträt gewidmet ist. Noch weiter gen Osten schweift zuvor vom 17. bis 19. April das Forum Neuer Musik des Deutschlandfunk Köln. Unter dem Motto „Ostasien Modern“ präsentiert das Festival Vorträge, Diskussionsrunden und fünf Konzerte mit Uraufführungen von Ying Wang, Daniel Cueto, Guoping Jia, Ralph Bernardy und Nico Sauer. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation samt geographischer und kultureller Herkunft beeinflusst unbewusst oder reflektiert jeden Komponisten. Letztlich aber entscheidet jedes einzelne Werk über den darin sich manifestierenden Kunst- und Musikbegriff. Und der ganzen Hellhörigkeit und Erfahrungsfülle von uns Hörern bleibt herauszufinden, was daran individueller künstlerischer Charakter ist oder allgemein epochal, zufällig oder modisch. Viel Freude beim Hören und Einschätzen wünscht:

Weitere Uraufführungen:

10.04.: Rudolf Kelterborn, Ensemble-Buch V, Kunstraum Walcheturm Zürich
20.04.: Hanspeter Kyburtz, anceps/Tropus für Ensemble Modern, Alte Oper Frankfurt
21.04.: Dieter Einfeldt, Oratorium Neue Ökumene, St. Georgs-Kirche Hamburg
25.04.: Johannes Harneit, Alice im Wunderland, Bühne am Park Gera
28.04.: Gordon Kampe, Sechse kommen durch die Welt, Kölner Philharmonie, und am 29.04. Plätze. Dächer. Leute. Wege – Musiktheater für ein utopisches Bielefeld, Theater Bielefeld
30.04.: Julien Jamet, Matthias Muche, Simon Rummel, neue Werke, Acht Brücken/Musik für Köln

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