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Police Deranged for Orchestra © Dariusz Gackowski

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Kunstfest Weimar: The Police philharmonisch und Orffs „Carmina burana“ fast ausradiert

Vorspann / Teaser

Arrangements und Auftritte mit Pop-Größen sind neben der Filmkonzert-Welle der nächste große Trend bei Sinfonieorchestern. Letztes Jahr kam die Thüringen Philharmonie Gotha -Eisenach auf ABBA. Mitte August huldigte die Staatskapelle Weimar auf der Seebühne im Weimarhallenpark Udo Jürgens zum 90. Geburtstag. Zum Kunstfest reiste am 23. August das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera vom Beginn der Thüringer Städtekette im Osten an und sekundierte auf der Seebühne dem The-Police-Gründer und der Schlagzeug-Legende Stewart Copeland (geb. 1952). Auf dem Theaterplatz gab es als „Opening“ zum Kunstfest Weimar 2024 eine grobe Überschreibung von Orffs „Carmina burana“ durch die Forward Dance Company aus Leipzig. 

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Das Wetter war mit Bilderbuch-Abendsonne, Wärme und minimalem Wind ideal für philharmonisch erweiterten New Wave. Auf den Terrassenstufen vor der Weimarhalle tummelte sich zum Teil von weither angereistes Publikum in Fest- und Feierlaune. Die Rasenplätze um das Wasserbecken und Blumenlinien waren gut gefüllt. Es strömte viel Weimarer Musikhochschul-Prominenz. Einige Gäste lagen auf dem Rasen und blickten beseligt zum Himmel. Bei solchen Momenten ist das Durchschnittsalter des Publikums inzwischen oft weitaus höher als das des Security- und Rostbratwurst-Teams. Auch ist die Enttäuschung über nur 85 Minuten Musik- und Ekstase-Flow größer als bei den Jungen: Wenn schon Star-Präsenz, dann bitte etwas länger. Trotz der pausenlosen Gedrängtheit der Songfolge, an deren Ende die drei Sängerinnen unter Lichtkegeln endlich ihren Weg zum Steg ins Becken vor der Seebühne nahmen, wurden alle Konzert-Rituale erfüllt. 

Das Multi-Genie Copeland schwärmt von der Schiller- und Goethe-Stadt Weimar. Er rühmte hymnisch das Orchester und die dazu geholten Bläser. Copeland wechselt mit altersloser Energie von den Drums zum Dirigentenpult und erinnerte an die Uraufführung seiner Oper „Electric Saint“ beim Kunstfest Weimar 2021. Perfekt sitzt die weiße lockere Haarmähne und seine knappe weiße Jeans in ebenso knapper Konfektionsgröße. Er springt, spreizt die Beine, dirigiert suggestiv und befeuert die wie unter Strom gesetzten Orchestermusiker*innen. Die großen Police-Hits kommen alle: „Message In A Bottle“ gegen Ende, „Every Breath You Take“, „Walking On The Moon“ und „Roxanne“. Die Musik gleitet allmählich in subtilere Orchesterbewegung, wenn die Pausenräume zwischen den Songs bei anbrechender Dunkelheit größer werden. Erst imitierte das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera ziemlich schematisch die Band- und elektroakustischen Klänge der Einspielungen. Als man allmählich auch im Gesang freier und – befeuert von Copeland – freisinniger wurde, ergab der Switch vom Band-Sound zum Orchester-Aufgebot Sinn. Streicher und die Dialoge mit dem Blech sprangen über. Trotzdem gab es gemessen am beschworenen Kult-Level eher sparsamen Applaus. Der Aufbruch nach dem abrupten Ende verlief zäh und die Enttäuschung über das kurze Programm wurde vielfältig artikuliert. 

Während man bei der vor fast 50 Jahren gegründeten Band The Police bisher keine anfechtbaren Themen und Verstöße feststellt, geriet Carl Orffs „Carmina burana“ – uraufgeführt 1937 – durch Kritik am Verhalten des Komponisten in Hitler-Deutschland und der Funktionalisierung im ‚Dritten Reich‘ fast vollkommen aus der Beliebtheits- und Frequenzskala. Als Hit-Stück für Profis oder Laien hat die Partitur derzeit also weitgehend ausgedient. Mindestens drei Ohrwürmer gibt es darin allerdings: den Fortuna-Chor, „Oh, oh, oh, totus floreo“ und ein Sopran-Solo, mit dem Simone Kermes in einem romantischen Facebook-Post mit Schaukel und Hund derzeit einige sommerliche Klickzahlen generiert. Dagegen war in der als Kunstfest-„Opening“ an drei Abenden auf dem Theaterplatz angesetzten Uraufführung der Leipziger Forward Dance Company so gut wie nichts aus dem verachteten Original erkennbar. Dekonstruktion ist angesagt. Die letzten Fetzen aus Orffs Opus gerieten im Sound- Arrangement von Ashley Alexandra Wright zum mit Hintergrund-Kolorit wummernden Bässen, wenig variantenreichen Elektrobeats, fontänenartigen Synthesizerläufen und generell geringfügiger Varianz. Das alles kam von einem Turm und damit aus schwebender Höhe über den Figuren des Goethe-Schiller-Denkmals. 

Es wurde nicht ganz einsichtig, warum Mirjam Gurtner in ihrer aus offenbar sehr vielen Improvisationsetüden entstandenen Choreographie das monochrome Musikgeschehen einforderte. Immerhin erhält Orffs mit mannigfaltigen Stimmungsstufen zwischen dionysischer Motorik und Liebespoesie ein koloristisches Spektrum, das maßgeblich zum langen Nachruhm des Werks beigetragen hatte. Mouafak Aldoabl, Elsa Artmann, Yen Lee, Renan Alves Manhães, Alfred Quarshie und Lisa Zocher sind ein prachtvoll aufeinander eingestimmtes Tanzensemble, das die Schrägen und Rampen (Raum und Licht: Ulysse Fontaine) in weißen, fast uniformen Kostümen (Julia Bosch) stürmt und erobert. Barrierefreiheit gilt für Konzept und Gedanken. Es ist in dieser Realisierung vollkommen unwesentlich, ob ein Rollstuhl Alltagsstütze oder Requisit ist. Die Inklusion wird für 45 Minuten zum physischen Glücksmoment, die Barriere zum Anlass gebenden Kunstwerk dagegen bleibt. „Ich erkenne nichts“, sagte meine Publikumsnachbarin im Portikus des Deutschen Nationaltheaters. Wer Orffs originale „Carmina burana“ nicht kennt, würde zwangsläufig auch deren Relikte in diesem Konzept nicht erkennen. Wer aber auf eine das Bewusstsein erweiternde Dekonstruktion wartete und diese aufgrund des zu stark abgedrängten Urmaterials nicht verstand, wurde enttäuscht. Abgesehen von zu spärlichen Rückverweisen auf das zu übermalende Original kam dieses mutige „Opening“ der Forward Dance Company einer optimistischen Bebilderung des Kunstfest-Mottos „Wofür wir kämpfen“ doch ziemlich nahe – dieses Mal mit einem Plädoyer für die Strategien des radikalen Ausradierens und spurenlosen Verdrängens.

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