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Così fan tutte and er Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Così fan tutte and er Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Kurs im Restaurieren von Gemälden – „Così fan tutte“, zweisprachig an der Komischen Oper Berlin

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Die jüngste Berliner Inszenierung von Mozarts Dramma giocoso in zwei Akten wurde im „Opernhaus des Jahres“ angekündigt mit dem Titel „Così fan tutte oder Die Schule der Liebenden“. An der Komischen Oper Berlin, wo bis vor zwei Jahren alle Opern ausschließlich in deutscher Sprache und zumeist in sehr frechen, neuen Übertragungen gesungen wurden, geriet die Mischung des italienischen Originals mit der alten deutschen Textfassung von Georg Schünemann in der Revision von Götz Friedrich optisch zu einer „Schule der Restauration“. Nicht nur auf einem Flachbildschirm wird dem Zuschauer im ersten Akt ein Dauerlehrgang in der Technik der Restaurierung geboten.

Der lettische Regisseur Alvis Hermanis wird als Schauspielregisseur gefeiert, während er in seinen bislang drei Operninszenierungen weniger zu überzeugen vermochte. Er siedelt die Geschichte vom Partnertausch als Prüfstand der Liebe aus dem Jahre 1790 in einer heutigen großen Restaurierungswerkstatt an. Auf zwei Ebenen arbeiten hier Techniker (Solisten und Komparsen) in weißen Kitteln als beruflich heteropartnerschaftliche Teams an restaurierungsbedürftigen Gemälden aus der Rokokozeit.

In einem zentralen hohen Rahmen erfolgt die Projektion von Gemälden vornehmlich in Ausschnitten, wobei mir das Statement von Hermanis’ Regiekollegen Peter Konwitschny in den Sinn kommt, "Pornographie" sei für ihn die ausschließliche Reduzierung des Gesamten auf Details.

Auf dieser Projektionsfläche sieht der Zuschauer auch solche Gemälde, die in Magazinen großer Museen schlummern und sich primär in Erotik-Bildbänden als Reproduktion finden. Für neun dieser Gemälde von Francois Bouchet, Jean-Honoré Fragonard, Jean Baptiste Perroneau und Maurice Qentin de La Tour weist der Programmzettel ausdrücklich Bildrechtsinhaber nach.

Eine Ausnahme in der Projektionsabfolge erotischer Gemälde aus dem 18. Jahrhundert bieten William Turners Schiffsbilder als Signal für die angebliche Abreise der beiden Liebhaber per Schiff.

Ferrando und Guglielmo entsprechen als zunächst leblose Manifestationen der Rokoko-Zeit in Kostümen und Perücken der Ansicht zweier rahmenloser Porträts. In ihren neuen Rollen singen sie in der Sprache der Liebe, also auf Italienisch. Die deutsch-italienische Kommunikation der Frauen mit ihren präsumtiven neuen Liebhabern beginnt zunächst radebrechend, mit Händen und Füßen, aber erstaunlich schnell erlernen sie die Fremdsprache, und singen dann selbst umfangreiche Arien im italienischen Original. In der nicht immer überzeugenden Wahl der Sprache erfolgen manche der Aparts der Herren, dramaturgisch korrekt, auf Deutsch (Dramaturgie: Pavel B. Jiracek).

Bei der Arie von Ferrando (mit Intonationsschwierigkeiten: Aleš Briscein) zeigen sich Federrisse auf dem gemalten Porträt der Begehrten, dies obendrein im Wechsel von Positiv- und Negativansicht. Die zeitbedingten Brüche und Sprünge im Bild werden somit wechselnden Erfahrungen in einer Partnerschaft gleichgesetzt.

Im Chemikalienschrank der Werkstatt finden die beiden Herren das angebliche Arsen, damit die Damen an ihnen (bewusst erlebbare) Wiederbelebungsversuche unternehmen können.

Wie die drei Inszenierungen dieser Oper in der Vorwoche an der Deutschen Oper Berlin, verzichtet auch diese Aufführung auf den Choreinsatz. Allerdings wird der hier (interpretiert von Chorsolisten der Komischen Oper Berlin) als Konserve über scheppernde Lautsprecher und im Schlussakt über ein altes Dampfradio eingespielt.

Despina (kraftvoll: Mirka Wagner) agiert als hochschwangere, süßigkeitssüchtige Putzfrau, deren Verkleidung für die beiden Commedia-Szenen sich auf gelbe Gummihandschuhe beschränkt. Ihr Messmersches Eisen ist ein Lippenstift, mit dem sie sich schminkt und den Schwestern Fiordiligi und Dorabella demonstriert, wie leblose Männer durch Küsse auf den Mund zu revitalisieren sind.

Am Anfang des zweiten Aktes erlebt der Zuschauer, wie auch die beiden weiblichen Objekte der männlichen Wette und des Begehrens ihre Gegenwartskleidung ablegen und in Rokoko-Kostüme schlüpfen (Kostüme: Eva Dessecker). Etwas unmotiviert hebt sich die Projektionsfolie im zentralen Rahmen um dahinter das zuvor darauf projizierte Bild „Les Hasards beurex de l’escarpolette“ von Fragonard in dreidimensionaler plastischer Ausführung zu zeigen (Bühne: Uta Gruber-Ballehr): Dorabella schaukelt ausgiebig, damit Ferrando durch Blicke unter ihren Rock stimuliert wird. Statt des Medaillons dient Guglielmo als „Unterpfand der Liebe“ ein getragenes Damenhöschen.

Besonders deutlich werden die projizierten Teilaspekte weiblicher Genitalzonen während Guglielmos Arie, zu der im ersten Stock des Lofts das andere neue Paar die körperliche Liebe bereits in actu vollzieht.

Aber auch das solistische Spiel der Damen wird drastisch zugespitzt: in diversen Selbstbefriedigungstechniken räkelt sich Fiordiligi (dramatisch: Theresa Kronthaler) auf dem Sofa und auf dem Boden.

Einen der großformatigen Lüftungsschläuche, die zur Wärmeregulierung für die zu bearbeitenden historischen Bilder dienen, nutzt Dorabella (Nicole Chevalier, trefflich charakterisierend, im Rezitativ Subtexte durch unterschiedliche Farben vermittelnd) in ihrer zweiten Arie als gigantischen Dildo. Auch das anschließende Duett Fiordiligi- Guglielmo läuft über das Spiel mit einem derartigen Ersatzschlauch – aus einem Karton, in welchen sich anschließend Despina mit einer Bierflasche verkriecht, bis bei ihr die Wehen einsetzen.

Unklar, wohl bewusst als Open End gewählt, dann die Wiederbegegnung der in heutige Kostüme und ihre weißen Restauratorenkittel rückverwandelten Liebenden: Don Alfonso (etwas blass: Tom Erik Lie) scheint verzweifelt, dass er die Wette gewonnen hat; Guglielmo (Dominik Köninger, markant, aber weniger eindrucksstark denn als Orfeo) und Dorabella laufen vor einander weg, während Fiordiligi und Ferrando vorsichtig einander die Hand reichen.

Bereits mit der Ouvertüre hatte Dirigent Henrik Nánási ein forsches Tempo vorgelegt und das darin musikalisch vorweggenommene Thema „Così fan tutte“ stark betont und so den Bogen geschlagen zu komponierten Fragezeichen des 20. Jahrhunderts (etwa zu Strauss und dem zunächst noch unausgesprochenen Wunsch der Salome). Vermutlich wollte Nánási mit seiner sehr rauen Interpretation einer heutigen Erzählebene gerecht werden. Aber die Szene bot – im Gegensatz zum Graben – ja auch die Welt des 18. Jahrhunderts aus einem sehr spezifischen Blickwinkel. Zudem war das Orchester nicht gut disponiert, all zu Vieles klang unsauber.

So erntete dieser Premierenabend nicht nur Zuspruch. Der Regisseur, der künftig nur noch Oper inszenieren will, applaudierte seinerseits dem Publikum, sei es für deren Aufgeschlossenheit oder – für deren Durchhaltevermögen. Denn auch mit einigen Strichen bleibt Mozarts Dramma giocoso ein langer Abend.

Gemessen an den vorangegangenen drei szenischen Realisierungen dieser Partitur in der Deutschen Oper Berlin, bewies Hermanis, dass eine konventionelle Erzählweise nicht unbedingt weniger provokant und kurzweilig sein muss als Experimental-Produktionen, die auf das Nacherzählen der von da Ponte und Mozart intendierten Handlung komplett verzichten.

Vier Produktionen dieser Oper in zehn Tagen scheint mir allerdings selbst für die Hauptstadt Berlin mit ihrer bürgermeisterlichen Definition von „arm aber sexy“ zu viel, es sei denn man verstünde die Parforce-Tour in Sachen „Così“ als einen Anti-Beitrag zum Wagner-Jahr: der Bayreuther Meister, ein ausgewiesener Mozart-Freund  und -Bearbeiter, hatte seine Kritik an dieser Partitur in folgendes Lob gehüllt: „O wie ist mir Mozart innig lieb und hochverehrungswürdig, dass es ihm nicht möglich war, zu ‚Così fan tutte’ eine Musik wie die des ‚Figaro’ zu erfinden, wie schmählich hätte dieß die Musik entehren müssen!“

 

Weitere Aufführungen: 3., 9., 15. November, 1., 10., 15., 19. Dezember 2013, 1., 9. 31. Mai, 11. Juli 2014.

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