Stellen Sie sich vor, werte Dame, da steht jemand in ihrem Garten, verströmt sein Gefühl für Sie in einer schmelzenden Serenade, steht da zwischen Nachtschmetterlingen und Glühwürmchen – und bekommt doch keinen Ton heraus! Sie wachen dennoch auf in ihrem Schlafgemach, spüren die Hände und die Lippen eines unbekannten Eindringlings, ein Schrei entringt sich Ihres Schwanenhalses Und nun?
Nun sind Sie gefordert, werter Herr, um durch alle Instanzen hindurch, durch Kirche, Staatsmacht und Presse, Ihren kriminalistischen Spürsinn zu treiben. Dieses geheimnisvolle Geschehen ist zu klären, und ein anderes. Zeitgleich nämlich entsetzte eine Bombe den Ministerpräsidenten, platziert unter seinem Bett und rechtzeitig vom Diener gefunden, als er den pot de chambre wechselte. Dieser Fund allerdings löste mehr als einen Schrei aus!
Wer wissen will, ob ersteres nun Alp- oder Wunschtraum war, möglicherweise der dunklen Erinnerung einer Somnambulen entsprang, wer zudem wissen will, wie sich bei beidem, dem einen Schrei und den vielen, die entstehenden Turbulenzen lösen, dem sei empfohlen, nach Lübeck zu fahren. Dort hatte am 12. November 2021 die Komödie mit Musik von Erich Wolfgang Korngold Premiere, die der Komponist der „Toten Stadt“ nach einem Buch von Victor Clement Ende der 40er Jahre geschaffen hatte und zunächst als ein Broadway-Stück plante. Doch Korngold benutzte eine deutsche Bühneneinrichtung von Raoul Auernheimer, der wie er als Jude nach Amerika geflohen war.
Dieses Bühnenergebnis hat eine verworrene Geschichte. 1951 war das Werk zunächst konzertant im Radio Wien zu hören, dann drei Jahre später szenisch in Dortmund zu sehen, wo es das Publikum begeistert aufnahm. Die Damen und Herren Kritiker allerdings urteilten anders und verrissen das Werk. Die Theater glaubten ihnen. Die Folge war, dass erst 2007, zu Korngolds 50. Todestag das Bayerische Staatsschauspiel zusammen mit der Hochschule für Musik und Theater „Die stumme Serenade“ wieder herausbrachte. Das geschah sinnvollerweise in Münchens Haus der Kunst, in dem Korngold wie viele andere einst als „entartete“ Künstler präsentiert worden waren.
Zweimal im Norden
Nun ist die „Stumme Serenade“ wieder da, kurioserweise gleich zweimal im hohen Norden. Das Landestheater Schleswig-Holstein, Hauptsitz in Flensburg, war Lübeck allerdings zwei Monate voraus, präsentierte dieses schwer bestimmbare Werk (Komische Oper? Operette? Musical? Revue? Musikalische Groteske oder ?) aber mit der gleichen Sängerin in der Hauptpartie.
Prima Donna ist Amelie Müller, eine stilsichere Sängerin und lebendige Schauspielern. Sie gibt mit Grazie dem schönen Kopf der Silvia Lombardi eine pointierte, schöne, vor allem sichere Stimme und ist glaubhaft Italiens derzeit schönste Schauspielerin. Ihr zur Seite steht Andrea Coclé, ein die Damenwelt betörender Modeschöpfer. Silvia ist begeistert von ihm, von seinen Schöpfungen und im Laufe des Stückes immer mehr von ihm. Steffen Kubach ist in dieser Rolle ein wunderbarer Partner. Erstaunlich kultiviert, wie er zunächst die Scheu vor ihrer Schönheit, auch die vor ihrer gesellschaftlichen Stellung darstellt. Fast steif steht er, wagt die große Geste nicht, die er dann peu à peu immer mehr findet. Grandios die Kerkerszene, die ihn, den Designer, in einen Anzug mit waagerechten Streifen zwingt. Die Duette der beiden, natürlich die stumme Serenade, als sie endlich doch aus ihm herausströmt, die Couplets, alles „sitzt“ bei ihm, macht ihn zum Star der Aufführung.
Ein zweites Pärchen ist da, ein Gegenpaar mit leichteren Charakteren. Nataliya Bogdanova singt mit warmem Sopran und gut sitzenden Koloraturen die sinnliche Probierdame Louise in Coclés Modesalon, die sich mit weiblicher Verführkunst den gewieften Zeitungsreporter Sam Barzalino angelt. Noah Schaul hat den leichten Tenor für diese verspielte Partie, die gleichzeitig die Sensationspresse aufs Korn nimmt. Einen Bass muss es geben. Boris Boehringer bringt ihn als Gast kraftvoll mit, fordert damit Respekt für sein Amt als Polizeichef. Ein quirliges Damentrio, sängerisch wie tänzerisch, mit Elisa Pape, Marlou Düster und Lorena Mazuera Grisales sorgt im Modesalon für Glanz und Schick, wie in der Henkersmahlzeit-Szene mit seinem Gänge-Arrangement, das für optische und spielerische Pointen sorgt, vor allem mit der ‚BOMBE SURPRISE‘ zum Dessert.
Mix mit Schauspiel
Die Schwierigkeit, dieses Stück einem Genre zuzuordnen, beruht nicht zuletzt darauf, dass eine Reihe von Schauspielrollen die Szenen auflockern. Jörn Kolpe hat gleich zwei groteske Auftritte, als Pater und als Richter. Imke Looft als Laura darf eine verhuschte, im (Liebes)Leben zu kurz gekommene Geschäftsführerin mimen und Iris Meyer die Kammerfrau der Silvia. Thomas Stückmann beherrscht die Dienerdevotion gleich in zwei Rollen. Am Schluss hat Elisa Papa als Anarchistin Carla Marcelini einen deftigen Auftritt, die zugleich als Dea ex Machina für den Operettenschluss sorgte.
Rudolf Katzer schließlich, Alter Ego von Michael Wallner, hat eine sehenswerte Rolle als Verlobter Silvias und Ministerpräsident, mit dem wunderbar italienisch klingenden Namen Benedetto Lugarini. Er hat diesen Auftritt fein tariert und mischt die groteske Zeichnung eines Operettenfürsten mit einer Anspielung auf den Großen Diktator.
Wallner hatte wieder sein gut eingespieltes Team um sich. Heinz Hausers lichte Stangen- und Spiegelkonstruktion auf der Drehbühne erlaubten zusammen mit der Beleuchtung (Falk Hampel) Atmosphäre und Tempo, ergänzt durch geschickte Zitate (u.a. zweimal Munchs „Schrei“) auf Inhaltliches. Aleksandra Kicas Kostüme hätten jeder Modenschau Glanz gebracht, eine wahre Augenpracht, zumal ihrer Trägerinnen insgesamt darin Figur gewannen. Auch Andrea Danae Kingston sorgte mit ihrer Choreografie mit wenig Mitteln für große Effekte, hervorzuheben Coclés Tanz mit der Robe für Silvia.
Fazit
Das Stück liefert beste, unbeschwerte Unterhaltung, da Anspielungen auf Politisches nie einen Beigeschmack oder Schwere bekamen, die Liebesszenen immer locker und humorvoll blieben, die himmelschreienden Zufälle und Handlungsbrüche charmant serviert wurden und die Sänger trotz der schmelzenden Melodik nie schnulzten. Geschickt war das kleine Orchester mit seinen zwei Klavieren und ganz wenig Bläsern durch ein paar mehr Streicher ergänzt worden, die Korngolds variable und äußert mitreißende Musik im Sound voller und zugleich farbiger machten. Die Spiellust und Gestaltungsfreude aller auf und vor der Bühne begeisterte, musikalisch angeregt vom Schwung des kleinen Orchester (Leitung: Paul Willot-Förster). Diese Aufführung könnte belebend für die „Stumme Serenade“ werden.