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Angela Denoke. Foto: Copyright: Hans Jörg Michel
Angela Denoke. Foto: Copyright: Hans Jörg Michel
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„La Reine“ – eine Kreation mit Berlioz und Wagner, Rimbaud und Benn in Mannheim

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Trümmer stechen ins Auge. Der letzte Krieg scheint dem Land der Königin nicht gut bekommen zu sein. Die Signatur der Zerstörung bestimmt die Bühne des Nationaltheaters. Martin Kukulies ließ sie für die Solo-Performance von Angela Denoke bereitstellen: einen ausgeklinkten Pilotensitz, einen lädierten Flugzeugmotor, eine noch auf den Einsatz wartende Fünf-Zentner-Bombe, den Torso eines Pferde-Denkmals und das Fragment eines Krieger-Standbilds. Eine unwirtliche Landschaft für Musik, die sich exzessiv der Liebe und Schönheit hingibt.

Ohne von den dekorativ installierten Objekten Notiz zu nehmen, schreitet die Solistin aus der Tiefe des Raums nach vorn. Mit „Les nuits d’été“ beginnt sie den Abend und „Le spectre de la rose“ absolviert seinen Geisterflug. Das von Liebes- und Lebenslust kündende Orchesterlied setzt sich mit seinem speziellen erotischen Aroma in Kontrast zu den Bild-Chiffren von Tod und Verderben: „Du nahmst mich, noch Wassertropfen auf der Haut …“. Zunächst also ein halbes Dutzend Lieder von französischer Liebe in ländlicher Idylle („Villanelle“) – von einer Liebe, die auch in Abwesenheit fortdauert. Von Liebe auf Lagunen, einem Friedhof und schließlich einer nicht minder metaphorischen Insel („L’île inconnue“). Hector Berlioz, Connaisseur der angesprochenen Fragen, komponierte diese Gesänge zu Beginn der 1840er Jahre auf Texte von Théophil Gautier und instrumentierte dann nach und nach. Der Zyklus wurde jetzt – wie die pausenlos anschließenden Wesendonck-Lieder Richard Wagners – von mehr oder minder poetischen Texten durchschossen. Der erste stammt aus Wilhelm Müllers „Schöner Müllerin“ und handelt vom „trotzigen Jäger“, von dem der wandernde Müllerbursch annimmt, dass er sich als Liebhaber der Müllerstochter durchsetzen wird.

Weitere Texte mit teils weit höherem Härtegrad folgen: Gedichte und Fragmente von Arthur Rimbaud und Gottfried Benn. Vorgetragen und szenisch gestaltet werden sie von drei SchauspielerInnen – Krieger / Weib / Nonne. Die „Blaue Stunde“ trifft auf Mathilde Wesendoncks „Baldachine von Smaragd“ und „schwere Tropfen“, Rimbauds „planmäßige Ausschweifung aller Sinne“ und seine im Gewässer vorbeitreibende Ophelia auf Benns „drei Näpfe voll: von Hirn bis Hoden“. Auch die literarischen Leichen des dichtenden Hautarztes (aus „Fleisch“) werden aufgerufen. Die Kreation und das ihr beigegebene Programmbüchlein verzichten auf Erklärung der Einzelteile und des Montage-Prinzips. Unüberhörbar ist freilich, dass die Textkomponenten und Szenen die Schönheit der Liedertexte und -klangwolken nicht kommentieren, sondern kontrapunktieren.

Thomas Bischoff, Theatermacher in Heiner-Müller-Nachfolge, und der Mannheimer Opernoberspielleiter Jan Dvořák sorgten für die Montage des musikliterarischen Abends und dessen szenische Aufbereitung. Die geht über das Genre des kommentierten Konzerts deutlich hinaus. Sie zielt auf den Geistes- und Gemütszustand einer ganz auf sich selbst gestellten „Königin“. Die ist erkennbar nur mit dem eigenen Ego (und mutmaßlich selektiven Erinnerungen) befasst; sie sieht sich durch „Dämonen, Abspaltungen ihrer Persönlichkeit“ bedroht. Offensichtlich suchen die alternde Dame auch Folter- und Hinrichtungsphantasien heim (diese werden ihr und den Zuschauern jedenfalls vorgespielt). Das SchauspielerInnen-Trio zeigt drastisch die Atemnot beim Waterboarding (das für die Delinquentin tödlich endet), das Strangulieren und andere Formen des Quälens. Zwingend geht dies handgreifliche Sortiment der Hinweise auf die Nacht- und Schattenseiten der menschlichen Psyche und Kommunikation weder aus den Sommernachtsliedern von Berlioz hervor noch aus der schwülen Hausfrauenlyrik der Mathilde W., mit deren musikalischer Vergoldung Richard W. Anlauf zu seiner nachmals viel gerühmten musikalischen Handlung von „Tristan und Isolde“ nahm.

Angela Denoke wirkt mit langen blonden Haaren und einem Diadem in ihnen wie eine nordische Königinnenmutter. Woher sie kommt, wofür sie steht und wohin es mit ihr gehen könnte, lässt die Kreation von Bischoff & Dvořák ebenso offen wie die Umstände und Hintergründe des Kriegs, dessen Folgen eher dekorativ als problematisierend oder gar mit kritischer Intention aufgeboten werden. Mag sein, dass die Theatermacher ihre Assoziationen gegen eine beim OperngängerInnen-Publikum vermutete „Kulinarik“ in die Waagschale werfen wollten. Dabei haben sie jedenfalls die von der „Königin“ in Anschlag gebrachte „Schönheit der romantischen Musik“ als Eskapismus „aus der düsteren Welt“ und den „Gedanken über den Tod, die Einsamkeit, die scheiternde Liebe“ deutlich markiert (manchen im Premieren-Publikum offensichtlich zu drastisch).

Denoke zelebriert die elf kontrastreichen Orchesterlieder mit großer Intensität und nutzt die Chancen, die Bandbreite ihrer stimmlichen Möglichkeiten auszustellen. Das Mannheimer Orchester, zurückhaltend, aber durchweg akkurat begleitend, hilft unter der umsichtigen Leitung von Benjamin Reiners beim Ausbalancieren der delikaten Klang-Tableaus. Vom Perlen der Tropfen und der unbekannten Inselmusik bis zum Triebleben der von Felix Mottl instrumentierten Treibhaus-Klänge, den musiktheatralischen Schmerzen Richard Wagners und den Tristan-Träumen.

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