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Alexander Franzen (Tobias »Sir Toby« Müller), Dagmar Hellberg (Roswitha »Rosie« Murr),Gunnar Frietsch (Vinzenz Murr), Frances Lucey (Ulicia »Uschi« O Riagáin). Foto: © Jean-Marc Turmes
Alexander Franzen (Tobias »Sir Toby« Müller), Dagmar Hellberg (Roswitha »Rosie« Murr),Gunnar Frietsch (Vinzenz Murr), Frances Lucey (Ulicia »Uschi« O Riagáin). Foto: © Jean-Marc Turmes
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Lebensnahes Ernstical als Musical – Das Staatstheater am Gärtnerplatz landet mit „Rockin‘ Rosie“ einen Coup

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Die Musikstadt München? Klar, drei Spitzenorchester, zwei mehr oder minder blühende Musiktheater, Klassik-Starnamen von Rafael Kubelik über Sergiu Celibidache bis Kirill Petrenko mit vorbeiziehend-wiederkehrenden Kometen wie Leonard Bernstein oder Carlos Kleiber, dazu x hochklassige Ensembles anderer Sparten… Aber München war auch ganz anders, damals in den 1970ern.

Da gab es Clubs wie das „Rigan“, „Tiffany“, „Big Apple“ oder „Blow Up“, deretwegen nicht nur Freddy Mercury oder Leonard Bernstein sich in München zuhause fühlten. Da gab es weltweit bekannte Aufnahmeleiter, besser „Sound-Mixer“ wie Harry Thumann, oder Giorgio Moroder, dann Sylvester Levay oder Michael Kunze, die komponierten und produzierten – und in die ebenfalls weltweit geschätzten „Musicland“- und „Country Lane“-Aufnahmestudios kamen neben den Rolling Stones, Led Zeppelin oder Deep Purple viele andere Stars. Eine junge Background-Sängerin war damals mit dabei und zog mit ihren Bands durch die Clubs. Mit ihren Kenntnissen der deutschen Pop & Rock-Szene saß sie dann lange bei „Rock nach acht“ neben Thomas Gottschalk als Moderatorin im Bayerischen Rundfunk – bis die deutschsprachigen Musical-Bühnen ihre Präsenz und ihr Multi-Talent entdeckten und eine breit gestreute Karriere folgte. Seit 2016 ist sie als soeben ernannte „Kammersängerin“ Ensemble-Mitglied des Gärtnerplatztheaters: Dagmar Hellberg.

Die Metier-erfahrenen Wolfgang Böhmer als Komponist und Peter Lund als Texter kamen auf die Idee, über diese „Sex’n-Drugs’n Rock’n-Roll“-Jahre ein Stück zu schaffen, setzten sich mit dem kommenden Ensemble zusammen und ließen sie über diese Jahre erzählen. Jetzt stand „die Hellberg“ als „Rockin‘ Rosie“ im Zentrum eines 100-minütigen Musicals: diese Bühnen-Rosie feiert in einer bürgerlich hübschen Zweieinhalb-Zimmer Wohnung am Rande Schwabings – Blick vom kleinen Balkon Richtung Münchner Frauen-Kirche (detailfreudige Ausstattung Rainer Sinell) - ihren 70.Geburtstag; die mit ihr „gereiften“ Band-Mitlieder kommen und nach über 20 Jahren familiärem Stillschweigen auch die Familie.

Daraus entwickelt Regisseurin Nicole Weber eine mal nostalgische, mal witzige Feier: der Hard-Rocker und wohl einstige Front-Man „Sir Toby“ muss als unverbesserlicher Aufreißer-Typ Altersgrenzen erkennen, was Alexander Franzen überzeugend verkörpert; die „Uschi“ von Frances Lucey fällt erneut auf sein Anbaggern herein und ist so herrlich sexy, dass sie am Ende den jungen abgehalfterten Verlobten von Rosie-Enkelin Hanna verführen wird; der „Aki“ von Frank Berg führt leise-mitleiderregend vor, wie Demenz beginnt; „Manni“, Erwin Windegger als der durchgehend ruhig-feine Ex-Manager der Band, kümmert sich um ihn und gleicht auch sonst mehrfach aus… Denn es bricht – trotz oder wegen - etlicher Joints und Hasch-Keksen das allzu bürgerliche Familien-Chaos aus: Rosie hat 46 Jahre lang ihrem Architekten-Sohn mit der Kleinstadt-Karriere verschwiegen, wer sein Vater ist, was Armin Kahl glaubhaft steif-kantig verkörpert; Enkelin Hanna will sich in eine Ehe mit einem überkorrekten Jungarchitekten flüchten, bricht aber Hasch-gelockert aus – was Florine Schnitzel tänzerisch-turnend und gesanglich hochamüsant gelingt; der Enkel Vinzenz von Gunnar Frietsch gibt den „Lieber-Gras-rauchen-als-Heuschnupfen“- Aussteiger, der in Rosies Garage durchhängt – und auf diesem Stadtgrundstück, einst Proberaum der Band, inzwischen Millionen wert, will der Kirchenchor-steife Jungarchitekt von Peter Neustifter ein „Mehrgenerationen-Haus“ errichten, scheitert mit Bauplan und Verlobung. Für dieses sehr realistische „gutbürgerliche“ Familien-Freundes-Chaos haben Böhmer-Lund eingängige, oft melodiös schwingende, nur kurz in „Freiheits“-Rock ausbrechende Songs geschrieben, die viele amüsante Text-Bissigkeiten enthalten.

Alles würde in ein „Ernstical“ führen, wäre da nicht die souveräne Lebensfreude der Rosie, für die Dagmar Hellberg die Bühnen-Statur und selbstverständliche Präsenz mitbringt, dass sie wie „die Sonne und ihre Trabanten“ wirkt. Mit strahlender Stimme serviert sie „Heute ist mein Tag“ und ebenso überzeugend führt sie das Band-Ensemble „Freiheit“ an. Da konnte die von Andreas Partilla am Keyboard geleitete Band etwas loslegen, doch ansonsten gelang das Kunststück, mal nicht rockig zu dröhnen, sondern differenziert zu begleiten – merci dafür! Doch zum Höhepunkt des Abends wurde „Mannis“ spätes Liebes-Geständnis „Ich seh‘ dich jeden Tag“: Erwin Windegger sang das am Ende mit glutvoller Emphase und großem Ton – doch wie „die Hellberg“ das Phrase für Phrase auf- und annahm, war nicht nur großes Theaterspiel, sondern auch anrührende, tief empfundene Menschendarstellung. Stehende Ovationen – das unterhaltende Theater hat ein ernstzunehmendes Musical mehr.

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