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Foto: © Hannes Malte Mahler
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„Leibniz‘ Harmonien“ mit Vielfalt, Komplexität und Humor – Preisträgerkonzert des Wettbewerbs

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„Wenn Gott rechnet, und seinen Gedanken ausführt, entsteht die Welt“.
Es ist Leibniz-Jahr in Hannover, denn Gottfried Wilhelm Leibniz‘ 370. Geburts- und 300. Todestag fallen auf 2016. Wenn man von Lena Meyer-Landrut und den Scorpions absieht, ist Leibniz die einzige Berühmtheit Hannovers neben Kurt Schwitters und muss damit stets als Allzweck-Waffe dienen. Das Preisträgerkonzert des international ausgeschriebenen Kompositionswettbewerb „Leibniz‘ Harmonien“ lässt Großes ahnen.

Der Ort: Orangerie Herrenhausen. Die Schirmherren: Bundesminister des Auswärtigen Frank-Walter Steinmeier und Botschafter der Volksrepublik China in Berlin Shi Mingde. Preisgelder: 30.500 Euro.

Nach Herrenhausen lädt man in Hannover zu den besonderen Anlässen. Obwohl natürlich jeder, der das nötige Kleingeld besitzt, die Orangerie mieten kann und die meisten Politiker sich gerne mit den schönen Künsten in Verbindung setzen, macht der Rahmen bereits viel her. Das Programm des Abends noch unbekannt: Die Preisträgerinnen und Preisträger werden erst direkt vor dem Konzert bekannt gegeben. Der internationale Kompositionswettbewerb für Komponisten und Komponistinnen ohne Altersbeschränkung fand in vier Kategorien statt: Orchester, Ensemble aus traditionellen chinesischen und westlichen Instrumenten, Solo-Instrument (Zheng, Pipa, Klarinette, Violoncello oder Akkordeon) und Radiophone Komposition / Klangkunst. Zudem sollten die Kompositionen auf Leibniz’ Texten zum Verhältnis von Harmonie und Dissonanz sowie von Arithmetik und Musik basieren.

„Wir zählen in der Musik nur bis fünf, [...] die von uns benutzten Intervalle sind alle aus Verhältnissen zwischen den Primzahlen 1, 2, 3 und 5 zusammengesetzt. Wenn uns etwas mehr Feinheit gegeben wäre, könnten wir auch die mit der Primzahl 7 einbeziehen. Und ich glaube, daß es das in der Tat gibt. [...]“

Nach der Vorveranstaltung mit Dankesreden an Förderer und Partner und der Preisüberreichung durch Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok geht es zum Uraufführungskonzert der sechs Preisträger-Werke in den Kategorien ‚Ensemble‘ und ‚Solo-Instrument‘ über. An der chinesischen Herkunft des überwiegenden Teils der Preisträgerinnen und Preisträger macht sich die Kooperation des Veranstalters Musik für heute e.V. mit dem Zentralen Konservatorium Beijing bemerkbar, obwohl es wohl Einsendungen aus der ganzen Welt gab. Den Auftakt macht das Stück „Rivière sans Retour“ vom chinesischen Komponisten FUNG Dic-Uin, der den zweiten Preis in der Kategorie ‚Ensemble‘ erhält. Nach eigenen Angaben ließ sich der Komponist durch das Gedicht „River of No Return“ des chinesischen Poeten Su Shi inspirieren, in dem es um einen alten Kriegsschauplatz und um die Vergänglichkeit geht. Musikalisch wird aufgefahren, wofür die Neue Musik steht: der Flügel wird im Innenraum gespielt, die Klarinette wird wie eine Querflöte gehalten, das Geräuschhafte der Instrumente wird nicht versteckt. Die Leibniz‘schen Gedanken von Primzahlen und den Tonverhältnissen von Intervallen werden in diesem Stück am deutlichsten hörbar sein an diesem Abend, denn gebrochene Akkorde sind das Hauptmotiv.

„A House without Windows“ von WANG Ruiqi, die zurzeit an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg studiert, lässt bereits vor Erklingen viele Assoziationen zu. Düstere, beklemmende Gefühle kommen beim Hören der Musik, die die Zwangsräumungen für Entwicklungsprojekte der Regierung in China thematisiert, auf. „A House without Windows“ belegt den 3. Preis in der Kategorie ‚Ensemble‘. Vor der Pause dann das erste Solowerk und 3. Preis in der Kategorie: „Kìnesis für Violoncello solo“ von Franco Venturi. Venturi eröffnete seine Wettbewerbseinreichung mit einem 7-seitigen Essay über Leibniz. Dem gegenüber wirkt das musikalische Ergebnis sehr minimalistisch – sowohl im Genresinne des Minimalism als auch im Sinne des Reduzierten – und erst durch das Lesen des Programmtextes mag sich sein Sinn eröffnen: „Kìnesis ist ein Universum, das expandiert, entstehend aus einem winzigen Punkt, dem ersten und einzigen Ton, den man während der ersten knapp zwei Minuten hört.“ XU Zhentong ist die jüngste Komponistin des Abends und eine professionelle Pipa-Spielerin. Der Pipa, einer chinesischen Laute, widmete sie auch ihr eingereichtes Stück „Written in Water für Pipa solo“, dem 2. Platz der Kategorie ‚Soloinstrument‘. Ihre Beschreibung, die sie vor Ort gibt, dass sie bei der Musik an Wasser in Bewegung gedacht habe – eine Beschreibung, die leider auf jedes Musikstück zutrifft – mag Kommunikationsschwierigkeiten geschuldet sein. Ebenso ihrer unbeflissenen Beschreibung im Programmheft, dass es eine verflossene Liebschaft widerspiegelt, kann auf ihr junges Alter geschoben werden. Einseitigkeit und Eintönigkeit kann XU nicht ganz verhindern, trotz allem gab ihr die Jury einen Preis. Bei einem Blick in die Noten oder einem zweiten Mal Hören, könnte aber auch ein völlig anderer Eindruck der Musik entstehen, weshalb hier noch nicht vorschnell geurteilt werden soll.

Dramaturgisch richtig setzen die Programmgestalter die beiden Sieger an das Ende des Abends. XIE Xin, der unter anderem bereits Stipendiat der Darmstädter Ferienkurse war, hat mit „Unnatural Nature für Klarinette solo“ ein Musikstück geschaffen, das die Vielfalt, Komplexität und Natur einer Klarinette zeigt und dank des Solisten Udo Grimm ergreifend und packend auf die Bühne kommt. Zudem beweist XIE, dass die einfachen Dinge, oft die besten sind und der doch sehr ernsten Veranstaltung etwas Humor gibt. Am Ende von „Unntatural Nature“ wird eine einfache Getränkedose als Dämpfer verwendet.

Zum Schluss: „The Mist not Mist“ von HUI Tak-Cheung – 1. Platz in der Kategorie ‚Ensemble‘. Hier treffen westliche auf chinesische Instrumente, entstehen gleiche Töne von sehr unterschiedlichen Instrumenten, wird ein breites Spektrum an Klang generiert, kurz: die Herausforderung der Ausschreibung wird musikalisch aufgegriffen, getroffen und darüber hinaus gegangen. Die Idee der Völkerverständigung durch Musik wird greifbar.

Aufgeführt wurden die Werke gemeinsam von dem Ensemble ConTempo Beijing und dem Neuen Ensemble aus Hannover, deren Zusammenspiel tadellos funktionierte und man ihnen weder anhören konnte, dass beide sich erst vor Kurzem zum ersten Mal begegnet waren, noch dass zwei verschiedene Ensembles agierten. Angeleitet wurden sie durch Stephan Meier, dem künstlerischen Leiter des Leibniz‘ Harmonien.

Sehr besonders machte den Abend, dass alle Komponistinnen und Komponisten der aufgeführten Werke anwesend waren. Die Idee zur Umbauüberbrückung kleine Gespräche zwischen den Komponistinnen und Komponisten und dem hr2-kultur-Moderatoren Stefan Fricke zu führen, war theoretisch wunderbar. In der Umsetzung scheiterte es zu großen Teilen in der Verständlichkeit auf Grund fehlender oder kaum vorhandener Sprachkenntnisse des Deutschen bzw. Englischen. Zumal man mit der Jury im Publikum doch die Expertinnen und Experten vor Ort hatte und die Musikwissenschaft schon längst weiß, dass der Künstler selbst nicht unbedingt die beste Informationsquelle seines Werks ist, hätte eine kleine Einführung durch jene vor jedem Werk gut getan. Denn da das Programm erst vor Ort bekannt gegeben wurde, hatte das Publikum keine Chance auf eine Vorbereitung. Zumindest muss es nicht beim einmaligen Hören bleiben.

Dass den Veranstaltern und Förderern Ernst mit der Neuen Musik im Leibniz-Jahr ist, davon zeugen die noch elf bevorstehenden Konzerte im Rahmen der Leibniz Harmonien. Die Konzerte finden teils in Hannover, teils in Peking statt. Fast immer dabei sind Aufführungen der prämierten Werke.

„Die Musik ist eine verborgene arithmetische Übung des Geistes, der nicht weiß, daß er zählt.“

Die Preisträger im Überblick

Werke für Ensemble aus traditionellen chinesischen und westlichen Instrumenten.

1. Preis, HUI Tak-Cheung (*1983): The Mist not Mist

2. Preis, FUNG Dic-lun (*1988): Rivière sans Retour (Januar 2016)

3. Preis, V. WANG Ruiqi (*1987): A House without Windows (2016)

Sonderpreis des Auswärtigen Amts für junge chinesische Komponisten: ZHANG Qi (*1988): Lead to Somewhere Far Away

Werke für Solo-Instrument:

1. Preis, XIE Xin (*1982): Unnatural Nature für Klarinette solo

2. Preis, XU Zhengtong (*1993): Written in water für Pipa solo

3. Preis, Franco Venturini (*1977): Kìnesis für Violoncellosolo

Sonderpreis des Auswärtigen Amts für junge chinesische Komponisten: WEI Cong (*1988): Die Reise – von 0 bis 1 für Violoncello solo

Radiophone Kompositionen/Klangkunst (Ursendungen bereits am 21.05. und 18.06.2016 in hr2-kultur):

1. Preis ex aequo, Johannes S. Sistermanns (*1955): 887

1. Preis ex aequo,  Silvia Simons: Poème d'espace

1. Preis ex aequo, WEN Bihe (*1991): Ancient Reunion

Die Preisträger der Kategorie ‚Orchester‘ werden am 9.12.2016 in einem eigenen Konzert mit der NDR Radiophilharmonie geehrt.

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