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„Leichte Muse im Wandel der Zeiten“ –Tagung umreißt die Operettenkultur Nürnbergs in der NS-Zeit

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Die Theaterbegeisterung des „verhinderten Künstlers“ Adolf Hitler von Wagner bis zu Lehárs „Lustiger Witwe“ ist bekannt. Bücher belegen die Aufwertung des Münchner Gärtnerplatztheaters zur „Staatsoperette“ wie die Geschichte des Berliner Metropoltheaters in den „braunen Jahren“. Doch das Theater in der „Stadt der Reichsparteitage“ ist ein weißer Fleck – noch.

Zum Amüsement-Bedürfnis brauner Machthaber zwischen Münchens berüchtigter „Nacht der Amazonen“ und Berliner Unterhaltungstheatern oder Klubs liegen gehaltvolle Aufsätze und Bücher vor. Doch in der Achse zwischen der „Hauptstadt der Bewegung“ und der damaligen „Reichshauptstadt“ fehlt bislang Nürnberg, dem durch Wagners Musikdrama zur „Deutschen Kunst“ und durch die raffinierten Inszenierungen der Reichsparteitage eine eigene Rolle zufiel. Jetzt haben sich Bayerns viertes Staatstheater, die Oper Nürnberg, das Forschungsinstitut für Musiktheater an der Universität Bayreuth und das NS-Dokumentationszentrum Nürnberg zusammengefunden, um die „Inszenierung von Macht und Unterhaltung – Musiktheater in Nürnberg 1920–1950“ in einem Forschungsprojekt offen zu legen. In einer ersten Tagung wurden nun unter dem Titel „Leichte Muse im Wandel der Zeiten“ Eckpunkte abgesteckt und Leitlinien gezogen.

Nicht nur die drei Institutionen bilden ein gutes Fundament: die Quellenlage in den Archiven von Theater, Stadt und Berlin ist frappierend gut. Spielpläne, Aufführungsbücher der Inspizienten, Akten der Theaterverwaltung, Berichterstattung der damals 14 (!) Nürnberger Tageszeitungen, Zeitzeugen sowie biographisches Material damals engagierter Künstler und die Akten der lokalen wie der Berliner NS-Kulturverwaltung sind erhalten – wie der federführende Projektleiter, Prof. Anno Mungen umriss – und damit gleichzeitig die Breite des wissenschaftlich zu durchforstenden Materials deutlich machte.

Mungen umriss auch, dass in der nationalsozialistischen Opernpolitik eine Trennung in „deutsche“, „italienische“ und „andere ausländische“ Werke stattfand – nicht so bezüglich der Operette, die als „genuin deutsche Gattung“ eingestuft wurde. Angereiste Gastreferenten von den Universitäten Salzburg und Innsbruck sowie der profunde Kenner Kevin Clarke vom Operetta Research Center Amsterdam stellten dann viele Einzelheiten heraus. Klar wurde, dass zwischen dem seit 1927 umtriebigen „Kampfbund für deutsche Kultur“ Alfred Rosenbergs, der persönlichen und institutionellen Rivalität zwischen Goebbels und Göring in der NS-Kulturpolitik und lokalen Nürnberger „Größen“ wie Julius Streicher sich auch im Bereich der Operette „systematische Unsystematik“ einstellte.

Schlaglichter: bis Kriegsende blieb ein bekennender Kommunist in Nürnbergs Theatertechnik angestellt; Nürnbergs Theater erwirkte eine Sondergenehmigung zur Aufführung der ansonsten verbotenen Operette „Schwarzwaldmädel“ des - trotz katholischer Taufe – 1942 ermordeten jüdischen Komponisten Leon Jessel: weil „Chor-los“ und somit für hohe Einspielergebnisse geeignet; die Anfrage des Nürnberger Oberbürgermeisters, warum Lehárs „Friederike“ nicht gespielt werden dürfe, beschied Hitler, dass er Goethe nicht als Operettenfigur wünsche; die intelligenteren Köpfe in der Musikabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“ erkannten die Bedeutung der Operette als Vehikel der Massenkommunikation; die ideologische Nutzung zu „Ablenkung“, Aktivierung und Identifizierung mit dem NS-Regime“ führte stilistisch zur Eliminierung aller „anarchischen, phantastischen oder sozialkritischen“ Elemente in den Werken, speziell der Aufführungspraxis der Weimarer Jahre; Orchestrierungen wurden üppig romantisierend und klangselig aufgebläht; vokal wurden Opernstimmen bevorzugt und der früher noch „Opéra comique“- und Kabarett-nahe Tonfall eliminiert; ein Reichstagsunterhaltungsprogramm mit „Lohengrin-Meistersinger-Boccaccio-Zigeunerbaron-Lustiger Witwe“ wäre genau zu analysieren undundund…

Kevin Clarke belegte die fatalen Nachwirkungen bis ins Operettenverständnis der 1950 und 1960er Jahre – so wurde nach dem Krieg beispielsweise nicht die von Kálmán erstellte und bis 1933 gespielte freche Jazz-Version der „Csardasfürstin“ aufgegriffen, sondern er schuf 1950 eine „Rumba-Version“. Damit wurde auch klar, dass der anvisierte Forschungszeitraum eben nicht auf der „braunen Jahre 1933-45“ beschränkt sein darf, sondern zu Recht Tendenzen der 1920er Jahre und eben die restaurativen Analogien der Nachkriegsjahre verfolgen muss. Das „Projekt-Areal“ wurde durch Bild-, Ton- und dann auch einige live vorgetragene Operettenlieder sehr anschaulich – zu hoffen bleibt, dass all dies den Finanzierungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft befördert: breite Vorarbeiten sind zu finanzieren; 2017 soll eine Tagung zu „Hitler.Macht.Oper“ Nürnbergs Rolle weiter offenlegen und dann 2018 neben der Buchveröffentlichung auch eine Ausstellung im Dokumentationszentrum vieles anschaulich machen.

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