Zahnräder, Wellen, Transmissionsriemen klappern, klopfen und surren im Takt, greifen ineinander mit der Präzision eines Uhrwerks. Es ist eine Mühle – die Mühle der alten Buryja. Man sieht sie nicht, aber man hört sie! Schon gleich zu Beginn in Leoš Janáčeks Jenůfa. Die rhythmisch knallharte Klangkulisse beschreibt, wie unerbittlich es zugeht in dem engen Kosmos, in dem sich Jenůfas Leben und das all der anderen abspielt. Eine geschlossene Gesellschaft ist es, mit klaren und für alle verbindlichen Regeln.
Leoš Janáčeks Oper „Jenůfa“ in Duisburg berührt in Tatjana Gürbacas Inszenierung
„Aus dem mährischen Bauernleben“ heißt es im Untertitel zu Janáčeks Oper. Dem aber schenkt Regisseurin Tatjana Gürbaca in ihrer Inszenierung kein besonderes Interesse, was durchaus von Vorteil ist. Denn das Spannungsfeld, die Konflikte, die in Jenůfa entfaltet werden, finden sich nicht nur in einer dörflichen Gemeinschaft aus dem 19. Jahrhundert – sie reichen hinein in die Jetzt-Zeit.
Dazu passt, was auf der Bühne zu sehen ist: ein aus massivem Holz gebautes Haus mit ebenso massivem Dach, durch dessen hohe und unerreichbare Fensterluke hin und wieder mal ein paar Strahlen Licht fallen. Die Rückwand bilden lange, treppenförmig nach oben führende Holzbalken – eine Art Tribüne, auf dem das Volk sich als Zuschauermasse drapieren und den Ablauf der Katastrophen gewärtigen kann. Jenůfa: die einfache Frau mit einem unehelichen Kind; die alte Buryja: bemüht um Besitzstandswahrung und Ordnung; die Küsterin: Jenůfas Stiefmutter, innerlich hin- und hergerissen zwischen Empathie für ihre Ziehtochter und Druck der gesellschaftlichen Normen. Letztere geben ja den Ausschlag für ihren Mord an Jenůfas neugeborenem Sohn. Bis dessen Leiche am Schluss der Oper gefunden wird, ist viel passiert. Gürbaca zeigt Menschen, die leiden. Oder sich ihrer Sache sicher sind, skrupellos handeln, mit sich selbst nicht im Reinen sind oder im Laufe des Dramas an Selbstbewusstsein gewinnen. Kurzum: hier werden Einzelschicksale erfahrbar gemacht. Ganz existenziell, ganz unmittelbar und völlig im Dienst der vielschichtigen Musik, die eigentlich alles sagt.
Gürbaca entwickelt mit großer Suggestionskraft Rollenportraits. Etwa die der beiden Männer an Jenůfas Seite: Štewa, den sie liebt und von dem sie schwanger wird, ist ein Leichtfuß. Er nimmt weder Leben noch Liebe besonders ernst und will einfach Spaß, lässt sich hineinwerfen in die ausgelassene Menge. Wie ein Pop-Star wird er aufgefangen und getragen – ein Typ zum Liebhaben und Knuddeln. Aber keiner, auf den man sich wirklich verlassen kann. Jussi Myllys zeichnet ihn großkotzig, bei Überforderung aber mit passendem Zittern in der Stimme. Giorgi Sturua ist Laca. Er liebt Jenůfa lange mit Intensität und Leidenschaft wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. Gürbaca zwingt ihn wohl zur Zurückhaltung, lässt ihn bisweilen aber ausbrechen. Sturua folgt diesem Regiekonzept bedingungslos, hält seine Stimme im Zaum, um sie im richtigen Moment voll zu entfalten. Mit aller Wucht und unbändiger Kraft.
Im Mittelpunkt stehen natürlich die Frauen. Bei Gürbaca ist Jenůfa eine, die trotz aller Ängste, die sie wegen ihres unehelichen Kindes aussteht, stetig an Selbstbewusstsein gewinnt. Aus allen Tragödien, die ihr widerfahren, scheint sie Kraft und Ruhe zu generieren, um ihr Schicksal zu meistern. Und Jacquelyn Wagner singt durchsetzungsfähig, schlicht und geradeheraus. Sie legt Angst und Gefühle gnadenlos offen. Und eben deshalb offenbart sie Jenůfa als eine durchweg starke Person.
Wir erleben an diesem Abend dann auch noch eine Küsterin, wie sie kaum einmal zu sehen war. Rosie Aldridge pocht nicht nur stur auf die Einhaltung der Normen des Dorfes, sie reflektiert stets ihr Handeln, hat immer große Skrupel – auch vor dem Mord an Jenůfas Kind. Diese Küsterin ist beherrscht vom Zweifel an ihren Handlungen und sieht dennoch oft keinen anderen Ausweg. Aldridge beglaubigt das mit einer gebrochenen, manchmal scheinbar berstenden Stimme voll von Riesenkräften. Das ist berührend und nimmt in jedem Augenblick mit.
Die Duisburger Rheinoper verfügt über ein breit aufgefächertes stimmliches Ensemble, das mit Verstärkung vom Opernstudio und wenigen Gästen eine imponierend ausgewogene Besetzung der kleineren Rollen liefert. Gerhard Michalskis Chor ist eine Bank, die einen homogenen, stimmlich ausgewogenen Klang garantiert.
Axel Kober und die Duisburger Philharmoniker lassen Janáčeks zutiefst emotionale Musik durchscheinend ertönen, drehen in den richtigen Momenten aber auch mal richtig auf und zeichnen so das Drama auf der Bühne packend und unmittelbar im Graben nach.
Am Ende fallen sich Jenůfa und Laca in die Arme. Ob ihr Glück von Dauer sein wird, oder sich nur zwei Ausgestoßene aneinanderklammern? Diese Frage lässt Tatjana Gürbaca offen. Da muss sich das Publikum schon selbst eine Meinung bilden. Der Premierenbeifall – exorbitant wie selten – gab ein eindeutiges Signal: Gürbacas Jenůfa muss man erlebt haben!
- https://www.operamrhein.de
- Weitere Termine: 26. 4., 9. 5., 11. 5., 19. 5. 2024
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