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Karl Kristiansen (ein Jung), Ava Gesell (Doppelgängerin). Foto: © Matthias Jung

Karl Kristiansen (ein Jung), Ava Gesell (Doppelgängerin). Foto: © Matthias Jung

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Liebe im Eis – Björks „Vespertine“ als Oper in Bonn

Vorspann / Teaser

Mitten in die abgestandene Diskussion um die angeblich fragwürdige Unterscheidung von E- und U-Musik – eine Diskussion, in der ohnehin alle einer Meinung zu sein scheinen und nicht müde werden, sich eine noch abgestandenere, Bernstein zugeschriebene Plattitüde mit Kennermiene aufzusagen, eine Diskussion, die nun aber durch die geplante Reformierung der GEMA-Ausschüttungs-Modalitäten in Fahrt gerät, was tatsächlich dazu führen könnte, die Grenzziehung zwischen E und U einzureißen –, mitten in diese Diskussion platzt eine Opernversion von Björks Album „Vespertine“ am Schauspielhaus Bonn.

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Wie viele wären zu nennen, die, verwurzelt in der U-Sparte, mit höchstem künstlerischen Anspruch produzieren! Nehmen wir also Björk, die isländische Sängerin, Produzentin, Songwriterin, Komponistin, Schauspielerin, und ihr viertes Album, „Vespertine“ (etwa: abendlich), mit dem sie sich 2001 erstmals fast vollständig auf elektronisches Terrain begab. Es gilt als introvertiertes Album, zärtliche Musik für frisch Verliebte. Schüchternes Knistern ersetzt die Rhythmusspur, Celesta und Harfe akzentuieren zaghaft, ein Inuit-Chor multipliziert Sehnsüchte und Ängste, die Isländerin flüstert „I love you“. Björk betört, sinniert, gesteht. Schöne, persönliche Musik.

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Hermes Helfricht, Ensemble Musikfabrik. Foto: © Matthias Jung

Hermes Helfricht, Ensemble Musikfabrik. Foto: © Matthias Jung

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Es brauchte einen findigen, kreativen und hartnäckigen Theatermann wie den Komponisten und Dramaturgen Jan Dvořák, um „Vespertine“ den Weg auf die Opernbühne zu ebnen. 2017 erarbeitete er eine Opernversion für das Nationaltheater Mannheim mit dem dänischen Performancekollektiv „Pro forma“, großem Orchester und ebensolchem Budget. (Die Produktion erschien auch auf CD.) Die aktuelle Aufführung in Bonn (Premiere am 5. April) ist deutlich kleiner dimensioniert, ohne künstlerische Abstriche zu machen. Das „Kommando Himmelfahrt“, zusammengesetzt aus Julia Warnemünde, Thomas Fiedler, dem Arrangeur Roman Vinuesa und eben Jan Dvořák, passen die Partitur an das 15-köpfige Ensemble Musikfabrik an, das, geleitet von Hermes Helfricht, mit der Sensibilität des gewieften neue-Musik-Ensembles fragile und facettenreiche Klänge zaubert. Das Kommando versetzt das Geschehen in die Arktis. Hier forscht eine junge Frau – schwanger oder nicht, verliebt oder verlassen, die Inszenierung selbst will das nicht so genau wissen – nach einem rätselhaften Virus und sieht sich in der unerbittlichen Kälte und Isolation zusehends auf sich selbst zurückgeworfen. Nicole Wagner spielt die Wissenschaftlerin ohne ausgestellte Esoterik, konzentriert auf ihren Sopran, der sich immer eleganter in die Ensembleklänge schmiegt. Sängerisch stärker im Fokus steht ihre Doppelgängerin, Ava Gesell, mit berührend geschwungenen Melodiebögen. Karl Kristiansen (Knabensopran) und Carl Rumstadt als infizierter Elch wie herbeifantasierter Liebhaber sowie die Damen des Theaterchores ergänzen das Ensemble. Die einsame Forscherin kreist durch ein im Inneren extrem wandelbares Iglu (Bühne von Evlien König), die Eiswelt scheint im fantastischen, nie vordergründigen Licht von Max Karbe, an einigen Stellen ziehen die Videos von Carl-John Hoffmann das Premierenpublikum in ihren Bann. 

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Carl Rumstadt (ein Mann). Foto: © Matthias Jung

Carl Rumstadt (ein Mann). Foto: © Matthias Jung

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Die Frage, was von Björks Musik bleibt, wenn an Stelle ihres exaltierten Gesangsstils geschulte Opernstimmen treten, ist mäkelig, aber angemessen. Opernbühne und Ensemblefassung lassen die Zutaten des musikalischen Menüs kenntlich werden. Durchgehendes mezzopiano, pentatonische Skalen, eine Handvoll stufenmäßig abgeschrittener Mollakkorde … man ernährt sich sparsam. Es sättigen die kraftvollen Bilder und die Beschwörung der Liebe. Der Bonner Abend strahlt 90 Minuten Trost aus. Wie Björks CD changiert er zwischen U und E. Mit der Abrechnung der Verwertungsgesellschaft mögen sich andere beschäftigen.

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