Oper ist so was von pervers: Lug und Trug, Verrat, Nötigung, Quälerei, Folter, Totschlag, Mord – meist hingerissen bejubelt und beifallsumrauscht. Oper ist so was von einseitig: lebenslange Freundschaft, Ergebenheit, Treue, schlichte Liebe – naja, schon auch, ganz nett, aber nicht umwerfend. Pietro Mascagni wollte 1891 das Gegengewicht zum Jubel um Betrug und Mord in seiner „Cavalleria rusticana“ schaffen – doch dieses andere Werk setzte sich nicht so recht durch. Das hinterfragen derzeit die Festspiele in Erl.
Der Erfolg von Mascagnis zweiter Oper „L’amico Fritz“ war damals groß. Sogar ins Opern-Mekka, an New Yorks Met wurden Mascagni und erste Sänger zur Einstudierung und Aufführungen eingeladen, von europäischen Häusern zu schweigen. Und Verdis gnadenlosem Verdikt über Libretto und Komposition stand Gustav Mahlers Engagement für das Werk gegenüber: „Zwischen Mascagni und mir gibt es eine unendlich große Wahlverwandtschaft.“
Auch zu unserer derzeitigen Phase von Distanz und Liebesverhinderung gibt es Parallelen. Da ist dieser reiche elsässische Großgrundbesitzer Fritz: fröhlich überzeugter Junggeselle; doch Reichtum nicht als Distanz, vielmehr hilft er seinen Freunden großzügig und gegenüber seinem engsten Vertrauten, dem Rabbiner David, verwettet er einen ganzen Weinberg. David ist auch als Heiratsvermittler tätig; er erkennt in der Kleinbauerntochter Suzel die reiche Seele, die heimliche Liebe zu Fritz, zieht Fäden hin und her – und nach Spannungen erkennt auch Fritz die Übermacht der Liebe über alles Junggesellentralala. Mascagni hat für diese Emotionen mitsamt Frühling, Kirschblüte und süßen Kirschfrüchten, Scheiternsangst und finalem Liebesglück eine ebenso heftig wallende Musik für großes Orchester komponiert; den zum Freundeskreis gehörenden Zigeuner Bepe umspielt ein herb-wildes Geigensolo; im Kirschenduett erblüht süße Zuneigung zwischen Fritz und Suzel; das Intermezzo vor dem Finalakt malt Abgründe wie leuchtendes Hoffen aus und immer wieder blüht anrührende vokale Italianità: zwei Liebende können sich auch finden, Glück ist auch möglich.
Das Aufführungsglück in Erl wurde gemindert, weil ausgerechnet das weibliche Bühnenteam – Ute Engelhardt-Regie, Sonja Fürsti-Bühne und Henriette Hübschmann-Kostüme – glaubte verbessern zu müssen: Aus Bepe wurde eine Carmen-nahe Gegenspielerin zu Suzel; David wurde ein hässliches, wohl aus Antisemitismus-Sorgen „halb-neutrales“ Äußeres verpasst; Wände im Herrenhaus öffneten sich zu symbolistischen Traumszenarien im mal Renaissance-, mal Nazarener-Stil – und dafür fehlte es an ausdifferenzierter Personenregie. Denn Mascagnis Musik, in die Landvolkchöre nur atmosphärisch hereinklingen (Einstudierung: Olga Yanum), verführt: die aus etwa 20 Nationen stammenden Instrumentalisten des Tiroler Festspielorchesters Erl brennen in Lockdown-Zeiten vor Spielfreude und die linke Hand von Jung-Dirigent Francesco Lanzillotta konnte gar nicht genug dämpfen – es wurde ganz groß aufgespielt und dementsprechend gesungen, so dass wagnerianische Liebesräusche tosten.
Im durchweg guten Solisten-Ensemble sangen folglich Gerard Schneider und Karen Voung als Fritz und Suzel, als würde Lautstärke wirklich ihr Liebesleben retten – von „dolce piano“ keine Spur. So ragte der slowenische Bariton Domen Križaj als David künstlerisch heraus: ein warm und füllig strömender, gelegentlich dunkel timbrierter Bariton, dessen große Bibel-Szene, in der er Suzel Parallelen zu Rachel offenlegt, zu einem Höhepunkt geriet – da kann ein Verdi-Bariton von großem Format heranwachsen. Križajs David war zudem ein anrührendes Beispiel dafür, dass nicht nur Blut und Tod Liebesglück erblühen lassen.