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„The Rake’s Progress“ am Gärtnerplatztheater: Gyula Rab (Tom Rakewell) und Matija Meić (Nick Shadow). Foto: Jean-Marc Turmes
„The Rake’s Progress“ am Gärtnerplatztheater: Gyula Rab (Tom Rakewell) und Matija Meić (Nick Shadow). Foto: Jean-Marc Turmes
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Liebe ohne Glut: Strawinskys „The Rake’s Progress“ am Münchner Gärtnerplatztheater

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Brauchen wir im Kulturbetrieb noch den Teufel? Haben wir nicht rundum berechnend hochgefährliche Fake-Produzenten und raffiniert betrügerische Influencerinnen, die mit einer Müll-Lawine an „High“ und „Style“ und sonstigem „wahren Leben“ in die letztlich öde Irre locken?! Doch 1951 griff Igor Strawinsky in seiner gezielt italienischen Oper ganz traditionsbewusst den Verführer-Teufel mit dem stylisch sprechenden Namen Nick Shadow auf. Ob das geht, prüfte jetzt Münchens anderes Opernhaus.

Angeregt von einem Kupferstich-Zyklus William Hogarths aus dem 18. Jahrhundert entschied sich Strawinsky zusammen mit seinen theatralisch versierten Textautoren W.H. Auden und Chester Kallman für eine musikalische Parabel über „The Rake’s Progress“. „Progress“ spielt schon hübsch doppeldeutig mit dem „Vorwärts…“ sowohl in Richtung „Erfolg“ wie „Untergang“… und eine Parabel weist über sich hinaus. Also beginnt alles im fast idyllischen Landleben, in dem der leichtlebige Tom Rakewell zwar Ann Trulove liebt, aber weiter ins große London will – oder ins „swinging London“ der 1960er? – wo ihm Nick Shadow als zwielichtiger Diener und teuflisches alter Ego binnen eines Jahres Renommee und Reichtum verspricht. Genau dorthin hat das Bühnenteam der Neuinszenierung alles transponiert.

Doch Tom landet in der verlogenen Idylle eines gestylten Bordells, wo er als PR-Gag die bärtige „Türken-Baba“ heiratet. Seine Fake-Apparatur zur Brot-Herstellung führt dann in den Ruin. In einer gespenstisch gedehnten Friedhofsszene gewinnt Tom eine finale Kartenwette gegen Shadow, indem er auf die Herzdame Trulove setzt. Doch er bleibt geistesgestört zurück. Er hält sich für Adonis, als Ann ihn im Irrenhaus findet, wo er sie zur Venus verklärt. Sie wird ihn ungebrochen lieben, doch als sie geht, stirbt auch Toms letzte bessere Hälfte.

Vom Realen ins Irreale, von der Süße in Bitterkeit, von der Rock-Gitarre und Goldenen Schallplatte zur hysterischen Versteigerung von Toms und „Türken-Babas“ Wohlstandsmülls – da konnten Bühnenbildner Walter Vogelweider und Kostümzauberer Alfred Mayerhofer „in die Vollen gehen“: visuell eine rundum gelungene Transponierung. Das gelang auch szenisch über ein verzichtbares, wohl „sozialkritisch“ gemeintes Obdachlosenpaar hinaus kunterbunt: Der Teufel hat zwei gefährlich-verführerische Models als gefallene Engelshilfen dabei; er kann die Zeit auf der Bühnen-Digital-Uhr rasen lassen oder anhalten; musikalische Vor- und Zwischenspiele hat Regisseur-Choreograph Adam Cooper zu kleinen Tanzeinlagen geformt. Auch die Personenregie war gelungen, doch musikalisch…

Dirigent Rubén Dubrovsky, der kommende musikalische Chef des Hauses, formte, überzeichnete und konstrastierte die Extreme der Partitur, die mit Formen und Stilen der gesamten Musikgeschichte spielt, nicht interessant genug; er zog die Tempo-Zügel für diesen Trubel zu wenig an – ein enttäuschender Einstand. Hinzu kam: mit dem zwar lautstarken, aber hart und scharf klingenden Sopran von Mária Celeng als Ann Trulove fehlte dem Abend das anrührende, alles durchwärmende „Herz“; ihrer eigentlich hinreißenden Szene vom Aufbruch nach London „I go, I go to him“ fehlten Glut und lodernde Begeisterung – insgesamt grüßte da zu wenig „Pamina“-Seele…

Dafür ist das gesamte übrige Ensemble zu loben: der Chor wechselte klangdifferenziert von Punks zu Society und Geistern; Holger Ohlmanns gutbürgerlicher Vater, Ann-Katrin Naidus attraktive Edelbordellchefin, Anna Agathonos‘ show-gevifte Türken-Baba, und Juan Carlos Falcóns glatter Auktionator besaßen durchweg auch vokales Profil. Für den berechnenden Teufel brachte Matja Meić zur imposanten Bühnenerscheinung auch den entsprechend voluminösen Bassbariton mit.

Tenor Gyula Rab meisterte nicht nur die vokalen Anforderungen eines turbulenten Aufs und Abs, sondern verkörperte den zwischen amüsanter Oberflächlichkeit, blinder Erfolgsgier und zwischenmenschlicher Kurzsichtigkeit schwankenden Tom überzeugend. Mehr noch: Szenisch und im Schlusswort vor dem Vorhang wiesen all diese Figuren – auf uns! Einhelliger Beifall.

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