Hauptbild
Der Barbier von Sevilla an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Der Barbier von Sevilla an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Liebe in Zeiten der SMS-Kommunikation – Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ an der Komischen Oper Berlin

Publikationsdatum
Body

Angeblich soll schon so manche vom falschen Rezipienten gelesene SMS oder E-Mail Beziehungen abrupt beendet haben. In Rossinis Oper, die der russische Regisseur Kirill Serebrennikov zur Spielzeiteröffnung an der Komischen Oper Berlin inszenierte, sind projizierte SMS-Botschaften der Liebenden an die Stelle der heimlichen Briefchen getreten.

Doktor Bartolo ist ein Antiquitäten-Sammler und –Händler, dessen ehrliche Liebe zur jungen Rosina vom Reichtum des Sängers und Grafen Almaviva mühelos getoppt wird; der hatte sich für sein Liebesabenteuer lange hinter dem Pseudonym Lindoro versteckt hatte, aber die von ihm mit Preziosen bestückte, gar nicht so glückliche Braut Rosina doch für sich gewinnt.

Kirill Serebrennikov, wer an diesem Haus 2012 bereits „The American Lulu“ inszeniert hat, kommt ursprünglich vom alternativen Fernsehen. So beginnt der Opernabend mit deutlichen Assoziationen zum TV-Studio. Ein Aufnahmeleiter (aus ihm wird später Fiorello, der Handlanger des Grafen) instruiert den Dirigenten, der in Jeansjacke auftritt und dann das hochgefahrene, in Freizeitkleidung musizierende Orchester leitet. Aber der Vortrag der für ihn viel zu langatmigen Ouvertüre langweilt den Pop-Sänger Lindoro, der daher lautstark telefoniert oder sich demonstrativ zum Schlafen legt. Dann wird seine Arie aufgezeichnet, die Lindoro auf seine Facebook-Seite stellt – mit dem Motto „Wenn du nichts bezahlst, bist du das Produkt“. Das Orchester ist erweitert um eine Gruppe von singenden Instrumentalisten, die sich dann als der Herrenchor herausstellen, dessen Mitglieder sich mit Selfie-Sticks, zusammen mit dem Pop-Idol ablichten lassen.

Der inmitten des Publikums im ersten Rang auftretende Figaro ist – laut Programmheft- Aussage des Regisseurs –ein Kokser, verdeutlicht durch wirre Videoprojektionen und ein vervielfachtes „f“.

Seim Ständchen singt er dann zu einer groovigen E-Gitarre mit improvisierten Zwischenspielen. Dazu wedelt Figaro Papierschnee, dessen Wirkung erst im Video zum Tragen kommt. Wie in Peter Sellars’ „Don Giovanni“, wird auch gern mit vollem Mund gesungen. Offenbar assoziierte der Regisseur beim Namen Berta das 1. Weltkriegsgeschütz „die dicke Bert[h]a“ und ließ Doktor Bartolos Dienerin (von Julia Giebel sehr schön gesungen) von Schuh bis Schulter als fetten Trampel ausstopfen. Bei der Einquartierung kommt der Graf nicht allein, sondern brennt drei mehrfach für Umbauten und Umschminken in Aktion tretende Figaro-Doubles mit, welche wie er, mit langem krausen Bart, Kippa und Türkenkoffer raumfüllend für Aufregung sorgen und einen Gebetsteppich ausrollen. Den Flüchtlingsbezug betont zusätzlich ein von Rosina gehaltenes Transparent „Refugees welcome!“

Zu den Besonderheiten in Bartholomäus Antiquitäten-Sammlung gehört ein arg verstimmter Leierkasten, der dreimal, jeweils auch nach dem Verklingen des Schlussakkords der beiden Akte, bedient wird.

Das berühmte erste Finale bringt einen absurden Maskenzug, mit Totenköpfen, einem Falstaffgeweih-Träger, einem Vogelmenschen und einem Schlächter – von Figaro, im Sinne der TV-Wirkung, eingenebelt.

Als angebliche Krankheitsvertretung des Musikmeisters Basilio erscheint der Graf als Conchita Wurst. Der doch noch hinzukommenden Basilio wird mit Wodka abgefüllt und kotzt in einen Blumenkübel, deren Blumen erst später geballt auf Rosina wirft. Doktor Bartolo wird – wie weiland König Gunter in Oscar Straus’ „Die lustigen Nibelungen“ an einen Nagel an der Wand – frei schwebend an einem Glühlampen Kabel aufgehängt.

Als die zumeist im Trainingsanzug agierende Rosina erfährt, dass Lindoro mit ihr nur ein Spiel treibt, ist sie bereit, Bartolo zu ehelichen. Die Gewitter-Musik ist hier umgedeutet als ihre Einkleidung, beginnend mit weißen Unterhosen, Mieder und Unterrock, in ein Hochzeitskleid mit Brautkrone.

Der Graf aber hat Rosina so viele Gucci-Einkaufstüten mitgebracht, dass sie sich tatsächlich in den Schmuck verliebt und bereit ist, sich im doppelten Sinne von ihm niederdrücken zu lassen – zunächst für ein Facebook-Foto, denn schließlich ist er einen Kopf kleiner als sie. Nach einem rektalen Quickie folgt ein schwer nachvollziehbares Ersatzspiel für die im Original von Bartolo im Sinne des Untertitels der Oper („Die vergebliche Vorsicht“) entfernte Leiter an seinem Haus.

Zum Rundgesang fährt das Orchester wieder hoch – und nun sind die Instrumentalisten in ihrer üblichen dunklen Abendkleidung gewandet, ebenso der (von David Cavelius einstudierte) Herrenchor. Über dem hochgesellschaftlichen Schlussbild mit den obligatorischen Absperrungen herrscht Trauer: Rosina fügt sich in ihr Los, und Bartolo, einsam und verrückt, spielt seine Drehorgel, deren Melodie sich nun als die des Finales erweist, aber traurig deformiert in Richtung einer Object Art des späten 20. Jahrhunderts.

Es wird intensiv gespielt und ausgezeichnet gesungen, beginnend mit dem wohltönenden jungen Bariton Denis Milo als Fiorello über Tarek Nazmi als Basilio, bis hin zu dem strahlend singenden und insbesondere als Transe köstlich agierenden Tenor Tansel Akzeybek als Graf und der wiederum ganz wunderbaren Nicole Chevalier als Rosina. Die Hautpartie in diesem „Barbier“ ist diesmal aber nicht der Figaro, den Dominik Köninger trefflich verkörpert, sondern – ungewöhnlich für diese Partie – Doktor Bartolo als Sympathiefigur: mit trocken pointiertem Witz und immenser Bandbreite an stimmlichen Schattierungen lässt ihn Philipp Meierhöfer zum Erlebnis werden.

Dirigent Antonello Manacorda, Anwärter auf die GMD-Position an diesem Haus, lässt das Orchester prachtvoll klingen und hat die sich häufig auf der Passarelle in seinem Rücken bewegenden Solistinnen gut im Griff und sorgt mit teilweise ungewöhnlichen Tempi, deren Logik sich wohl nur durch die oft bewusste Unlogik der Handlung begründen lässt, für eine besondere Note.

Im Vergleich der Saison-Starts drei großen Berliner Opernbühnen liegt die Komische Oper klar vorne, wenn auch mit einem nicht rundum überzeugenden Ergebnis.

Das Premierenpublikum jedoch war großenteils in Spaß-Laune und quittierte schon zu Beginn der Oper die Gags mit lauten Lachern und mit Zwischenapplaus. Einige Besucher, die zur Pause mit Buhrufen reagiert hatten, waren im zweiten Akt nicht mehr zugegen, und so gab es am Ende einhelligen Applaus für alle Beteiligten, auch für den Regisseur.

  • Weitere Aufführungen: 13., 16., 19., 28. Oktober., 5., 26. 11. November, 4. 16., 26. Dezember 2016, 5. und 13. Juli 2017.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!