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Gyula Orendt (Corebo | Fauno) und Mark Milhofer (Nicea). Foto: Thomas M. Jauk
Gyula Orendt (Corebo | Fauno) und Mark Milhofer (Nicea). Foto: Thomas M. Jauk
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Liebesfüchse im wachsenden Schilf – Steffanis „Amor vien dal destino“ an der Berliner Staatsoper

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Cecilia Bartolis Projekt „Steffani Mission“ hat gefruchtet: auf dem 34. Track ihrer vor drei Jahren bei Decca veröffentlichten Doppel-CD ist die Introduzione al dramma „Amor vien dal destino“ zu hören – und diese, 1709 im Rahmen des Karnevals am Düsseldorfer Hof des Kurfürsten von der Pfalz uraufgeführte Oper erklang nunmehr, erstmals seit über 300 Jahren, als Berliner Erstaufführung an der Staatsoper im Schillertheater.

Der bereits in jungen Jahren in München ausgebildete, 1654 in der Nähe von Venedig geborene Komponist wirkte vor allem in Deutschland und starb 1728 in Frankfurt.

Im offiziellen Berufsleben ein Mann der Kirche, arbeitete er auch als Geheimagent. Das vom Steffani-Experten Colin Timms herausgegebene Aufführungsmaterial, basierend auf den im British Library verwahrten Autographen, umfasst 117 Nummern, wobei die Rezitative mitgezählt sind. Das wäre denn, mit an die 5 Stunden Aufführungsdauer, selbst für die Berliner Barock-Freunde, des Guten zu viel gewesen.

„Liebe kommt per Zufall“, ließe sich der Titel flapsig eindeutschen, korrekt übersetzt aber heißt er: „Die Liebe kommt durch das Schicksal“. Das tritt in der Oper allegorisch verkörpert auf durch die Götter Zeus und Venus.

Das Programmheft (Dramaturgie: Detlef Gliese) enthält das komplette Libretto in deutscher Übersetzung, inklusive der darin vermerkten Striche der Berliner Aufführung: Turno, der Gegenspieler des Enea, begehrt Lavinia. Die aber widersetzt sich seinen Werbungen, denn im Traum wurde ihr Enea (Jeremy Ovenden) als ihr künftiger Partner eingegeben, wie auch umgekehrt dem Enea das Bild der Lavinia eingepflanzt – so, wie später den Liebenden in Kleists „Kätchen von Heilbronn“. Hinzu tritt ein politischer Konflikt: König Latino (Bassbariton Marcos Fink) veranlasst seine Tochter, den ihn mit dem Heer bedrohenden Turno zu ehelichen. Schließlich erscheint dem König, ebenfalls im Traum, Fauno (Gyula Orendt), der ihm die große Zukunft der Verbindung von Asien (Enea) und Europa (Lavinia) voraussagt. Außerdem liebt Lavinias Schwester Giuturna schon lange den ihre Liebe abweisenden Turno; mit Zustimmung Jupiters (Countertenor Rupert Enticknap) finden sich mit der 117. Musiknummer dann doch die rechten Paare zu einem Happy-End hochbarocker Art.

Viel besungen und verbal attackiert wird Gott Amor, den Regisseur Ingo Kerkhof daher kurzerhand als Schauspieler in die Reihe der elf handelnden Personen integriert hat. Die chorlose Sängerriege ist in Berlin durch Kombinationen auf acht Sängerdarsteller reduziert. Wenn die Realpersonen in die Rollen der Überfiguren schlüpfen, ergänzen sie ihr barockes Realoutfit (Kostüme: Stephan von Wedel) durch goldene Halbmasken.

Als manischer Gärtner pflanzt Amor Schilf und beschriftet die Gewächsgruppen mit Hinweistafeln, wie „Liebesvorspiel“, „Liebestod“ und „Liebesfüchse“. Als Giuturna verzweifelt in ein Grab schlüpft, wirft er einen Blumenstrauß auf sie, woraufhin sie die Erdhöhle wieder verlässt.

Das Orchesterproszenium ist mit festen Wänden, als drapierte Vorhänge bemalt, umrahmt; eine Passarelle um und ein Steg durch das Orchester verlagern das Geschehen nach vorne. Auch hinten schließt eine Wand als gemalter Vorhang den Raum ab. Nach der Pause gibt es Szenenapplaus für die Bühnentechnik: die Schilfbüschel sind zu einem hoch gelagerten Feld in die Bühnentiefe angewachsen. Die Schilfszenerie von Dirk Becker wird mit allegorischen Figuren belebt; eine fängt den Pinkelstrahl eines Fauns in einem Eimer auf.  Dann wird mit ausgestopften Füchsen gespielt oder eine Festtafel vors Schilf gerückt. Ein blaues Sofa, aus dem Feld emporwachsend, krönt als Möbel das Final-Tableau. Die Regie ist unaufdringlich. Aktions-Höhepunkt ist das von Klaus Figge einstudierte Fecht-Duell zwischen Turno und Enea.

Nach der kürzlich erfolgten Barock-Reformoper Glucks nun Barock pur: René Jacobs leitet die hier vielfach bewährte Akademie für Alte Musik Berlin, inklusive Viola da Gamba, Laute und Theorben, sowie ein inklusive zwei Orgeln reich besetztes Continuo. Dabei entfaltet das Orchester ein Spektrum an Klangfarben. Bei staatlicher Macht ertönen dann auch drei Barocktrompeten.

In den zahlreichen Arien werden die Charaktere der Handlungsträger von durchaus divergierenden Seiten beleuchtet. Ortensio Mauros auf Vergils „Aeneis“ fußendes Libretto wechselnder Affekte vertont der Komponist mit dem Einsatz von vier Chalumeaux im Traumgesang des Fauno und einem die Dienerszenen im Spiel tänzerisch begleitenden Tambourin.

Musikalische Verstellungskünste gehören zu den Spezifika des beruflich auch als Spion erfolgreichen Agostino Steffani. Etwa drei Viertel der Arien dieser Oper werden von obligaten Instrumenten oder dem Orchester begleitet, Effekte durch Imitation erfreuen die Zuhörer.

Halsbrecherische Koloraturen des Turno meistert Olivia Vermeulen ebenso virtuos, wie der britische Tenor Jeremy Ovenden die des Eneas. Weniger gut, trotz Koloraturwendigkeit, gefiel mir die stimmlich betont quirlige Robin Johannsen in den Partien von Venus und Giuturna.

Gyula Orendt pfeift als Diener Corebo der Amme aus dem Rang nach und singt dann auch von dort, bevor er sie auf der Bühne von vorne und hinten besteigt – sie aber ist ein Mann, Mark Milhofer in der Rockrolle der Nicea. Neben seiner Tätigkeit als Schilf-Gärtner führt Konstantin Becker als Amor Spiegelgefechte mit zwei Fächern aus und wiederholt auch mal ein Wort des Enea. 

Nach dem inmitten des zweiten Aktes durch eine Pause unterteilten, dreistündigen Premierenabend bildeten in der Hierarchie der Applausordnung einmal die Sopranistin, einmal die Mezzosopranistin die Spitze. Der Applaus war heftig und einhellig, aber doch recht kurz. Vielleicht ist Agostino Steffanis Zeit doch noch nicht gekommen.

  • Weitere Aufführungen: 27., 30. April, 4. und 7. Mai 2016.

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