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Barbara Hannigan, Ivan Ludlow, Jochen Schmeckenbecher, hinten: Marta Świderska, Matthias Klink. Foto: Monika Rittershaus.
Barbara Hannigan, Ivan Ludlow, Jochen Schmeckenbecher, hinten: Marta Świderska, Matthias Klink. Foto: Monika Rittershaus.
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„Lulu ist meine Heldin“ – Barbara Hannigan ist als sensationelle Lulu in Alban Bergs „Lulu“ an der Hamburgischen Staatsoper

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Mit einem markerschütternden Schrei stirbt Lulu, ermordet von ihrem letzten Freier. Sie erhält als Requiem ein gut halbstündiges Violinkonzert. Mit diesem ebenso überraschenden wie ergreifenden Schluss endete die Premiere von Alban Bergs 1935 entstandener unvollendeter Oper „Lulu“ an der Hamburgischen Staatsoper.

Diese Lulu ist in der Interpretation des Regisseurs Christoph Marthaler und der kanadischen Sängerin Barbara Hannigan kein männerverschlingender Vamp, sondern ein eher liebes und bedauernswertes Leichtgewicht, das sich einfach nicht verständlich machen kann. Sie experimentiert so allerlei für ihr Verhalten, probiert Körperbewegungen aus, turnt auf den Schultern der Männer, soll vom Athleten sogar zur „pompösesten Luftgymnastikerin der Jetztzeit“ gemacht werden, „dirigiert“ auch mal die szenischen Stellungen.

Schon in ihrer Brüsseler Lulu (2012) wurde Hannigan für ihre überragende Dreifachbegabung zwischen Tanz, Singen und Schauspiel bewundert. Man kriegt sie als Person nie zu fassen, sie ist immer schon weg, woanders, wo es dann für sie auch nicht klappt. Dieses Bild wurde von Hannigan so unfassbar quirlig gut – und gekonnt in Richtung Tanz und Akrobatik – gespielt und mit den exorbitanten Schwierigkeiten vor allem gesungen, dass allein das schon einen Ausflug nach Hamburg lohnt. Lulu sei ihre Heldin, hat Hannigan einmal in einem Interview gesagt, sie macht das, was sie will und braucht (und das wolle sie, Hannigan, auch).

Marthaler deutet vieles nur an, lässt den Männern kaum eigene Charaktere zukommen, irgendwie sind sie alle gleich: Lulus Mann Dr. Schön, ihre Verehrer der Maler und der Komponist, der rätselhafte Schigolch. Im typischen Anna Viebrock-Bühnenbild – alte Möbel, Reste aus den fünfziger Jahren, plüschige Stehlampen – turnt sich Lulu durch diese Männerwelt, durch die sie letztendlich getötet wird, weil sie nicht erkannt werden konnte – „Mensch sieh mich an!“ klagt sie an einer Stelle ergebnislos ein und bezeichnet sich auch als „ein Tier“. Aber auch, weil sie sich andererseits immer angepasst hat: „Ich habe nie etwas anderes sein wollen, als man von mir verlangte“. Nur eine hat sie geliebt: die Gräfin Geschwitz, deren Abschied vom „Engel“ Lulu hier eine ergreifende stimmliche und darstellerische Studie von Anne Sofie von Otter wurde.

Auf diesen „Engel“ bezieht sich die konzeptionell sensationelle Präsentation des unvollendeten dritten Aktes. Der musikalische Leiter der Aufführung Kent Nagano, der Dirigent und Komponist Johannes Harneit, Christoph Marthaler und der Dramaturg Malte Übenauf beziehen sich in ihrer Lösung ganz auf diese Inszenierung, ja lassen sie regelrecht aus ihr hervorgehen. Sie kann nicht wie andere Bearbeitungen für andere Inszenierungen verwendet werden. Die vier benutzen nur, was im Particell, dem vorhandenen Entwurf, steht und die vorhandenen dreihundert Takte: das ist ein Soloklavier und eine Solovioline, die für die tote Lulu dann noch deren Requiem spielt: Das Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, Bergs letzte vollendete Komposition, ist ein solches, geschrieben auf den Tod der achtzehnjährigen Tochter von Alma Mahler, Manon Gropius, hier traumhaft schön gespielt von Veronika Eberle. Mit der Einarbeitung des Bach-Chorals „Es ist genug“ wird dann Lulus Schicksal verklärt, nicht ohne seine Wiederholbarkeit anzudeuten: Vier alter egos der Lulu und sie selbst auf der Bühne – das Bühnenbild ist wieder die Zirkusrampe des Anfangs. Das erfasst geradezu atemberaubend den Fragmentcharakter des ganzen Werkes.

Gesungen wird tadellos: Jochen Schmeckenbecher als Dr. Schön und und Jack the Ripper, Matthias Klink als rothaariger Alwa, Peter Lodahl als Maler, Serge Leiferkus als Schigolch und Ivan Ludiow als Athlet. Und musiziert wird mehr als tadellos: präzise, farbenreich und mitreißend expressiv die Wiedergabe durch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg. Der Dirigent Kent Nagano hinterließ mehr als Betroffenheit über eine vierstündige Aufführung.

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